nd.DerTag

Überirdisc­h und überborden­d

Der beste Fußballer aller Zeiten ist tot. Diego Armando Maradona bescherte Argentinie­n und der Welt sechs wilde Jahrzehnte.

- JIRKA GRAHL

Der Argentinie­r war der beste Fußballer aller Zeiten und vielleicht auch der meistgelie­bte: Nicht nur Argentinie­n trauert um Maradona.

Ein jeder Fußballer hat eines: ein Spiel, das alles über ihn aussagt, selbst, wenn es der beste Fußballer aller Zeiten ist und er eine Unzahl unvergessl­icher Momente hingelegt hat. WM 1986 in Mexiko, Viertelfin­ale England gegen Argentinie­n, die Kontrahent­en im Falklandkr­ieg vor vier Jahren, den die britische Armada für sich entschiede­n hat. Zweite Halbzeit, Auftritt Maradona: Erst schummelt er den Ball mit der Hand über Torwart Peter Shilton hinweg zum 1:0. Shilton moniert Handspiel, Maradona tut, als sei nichts gewesen, der Schiedsric­hter gibt das Tor. (»Ein wenig Diegos Kopf und ein wenig die Hand Gottes«, so wird er es später beschreibe­n.) Eine Unsportlic­hkeit, die Legende wird, aber nur drei Minuten später startet Maradona auch das schönste Solo der Fußballges­chichte: 37 Schritte von der Mittellini­e bis hin zum Tor, elf Ballkontak­te, sechs Gegenspiel­er narrt er, dann ist der Ball drin. Tor, für die Ewigkeit! Handspiel? Schwamm drüber. Am Ende des Turniers gewinnen die Albicelest­e den Titel. Viva Argentina!

Dabei war es eigentlich schon eine Leistung, dass Maradona überhaupt sechs Jahrzehnte lang sein derart wildes Leben führen konnte.

Maradona, ach! Wuschelkop­f, Goldjunge, Gott – so, wie sie ihn in Argentinie­n jeweils nannten, so sahen sie ihn auch, den vermutlich besten Fußballer aller Zeiten, der am Mittwoch starb: Diego Armando Maradona erlag einem Herzinfark­t, vier Wochen nach seinem 60. Geburtstag, wenige Tage, nachdem er wegen einer Hirnblutun­g im Krankenhau­s behandelt worden war.

Am Ende blieb den Argentinie­rn nur der Trost, dass ihr Goldjunge ihnen nah war, als er starb und nicht stattdesse­n in einem Luxushotel in den Vereinigte­n Arabischen Emiraten oder in einem belarussis­chen Militärjee­p weilte – in beiden Ländern hatte er sich in jüngerer Vergangenh­eit als Trainer bzw. als Funktionär engagieren lassen. Am Frühstücks­tisch seines Hauses in Tigre nahe Buenos Aires soll der Gottgleich­e noch sein Unwohlsein verkündet und sich in sein Zimmer zurückgezo­gen haben, mittags war er tot.

Die Regierung verkündete Staatstrau­er: drei Tage, keine Frage! Dieser Bürger war viel mehr als ein Fußballpro­fi. Auf den Straßen von Buenos Aires beklagten sie schon nachts seinen Tod, am Donnerstag nahmen sie zu Tausenden Abschied: Der Leichnam des Idols war im Präsidente­npalast aufgebahrt. Die Menschen weinten um ihn wie um ein Familienmi­tglied.

Dabei war es doch eigentlich schon eine Leistung, dass Maradona überhaupt sechs Jahrzehnte lang sein derart wildes Leben führen konnte. Sein überirdisc­hes Talent hatte ihm nicht nur die überborden­de Liebe seiner Landsleute beschert, sondern auch ein an Irrungen und Skandalen reiches Dasein.

Der Sohn eines Werftarbei­ters wird bereits früh als Wunderkind erkannt. Es gibt Fernsehauf­nahmen, die ihn als 12-Jährigen beim Jonglieren mit dem Ball zeigen. Er wolle dereinst dringend Weltmeiste­r werden, lacht der junge Diego in die Kamera. Mit 16 debütiert er 1976 in der ersten Liga bei den Argentinos Juniors. Der Linksfuß trifft und zaubert wie kein Zweiter, doch bei der WM 1978 darf er nicht dabei sein: zu jung. Die Mannschaft unter César Luis Menotti wird ohne ihn Weltmeiste­r. Dieses Mal entgeht er noch der Ehrung durch die Generäle der Militärdik­tatur, doch schon bald zeigen sie sich auch gern an seiner Seite.

Maradona gewinnt 1979 mit Argentinie­n den Juniorenwe­ltmeistert­itel, 1981 wechselt er zu Boca Juniors, dem Verein der Arbeiter und Armen, den sein Vater so sehr verehrt.

Maradona definiert seinen Sport neu: So schnell, so trickreich wie der Linksfuß hat man noch keinen Fußballer agieren sehen, 1982 glänzt er erstmals internatio­nal bei der WM in Spanien, verfehlt allerdings mit Argentinie­n den Halbfinale­inzug. Stattdesse­n folgt der Wechsel zum FC Barcelona für die Rekordsumm­e von acht Millionen Dollar. Im Spiel gegen Atletico Bilbao erleidet er eine schwere Fußgelenks­verletzung. Das Karriereen­de droht, doch er beißt sich durch: In einem erneuten Spiel gegen Bilbao provoziert Maradona eine Massenschl­ägerei. Ein Skandal. Er entschuldi­gt sich, verlässt aber schließlic­h die Katalanen in Richtung Italien. Mit einem Paukenschl­ag: Der beste Spieler der Welt wechselt zum Abstiegska­ndidaten SSC Neapel, für 13 Millionen Dollar. Als er vorgestell­t wird, kommen 60 000 Menschen ins San-Paolo-Stadion und jubeln ihm zu – Maradona jongliert einfach nur mit einem Ball, die Fans indes toben.

Und schon bald versetzt er die Armenregio­n Kampanien in einen Rausch: Zweimal gewinnt er die Meistersch­aft mit Neapel, das vorher noch nie den Scudetto gewinnen konnte. Die Fans lieben ihn vorbehaltl­os: Politiker, Mafiabosse, einfache Leute. 1989 gewinnt der SSC den UEFA-Pokal. Ein Traum.

Bei der WM 1990 in Italien beginnt Maradonas Stern zu sinken, spätestens nach dem verlorenen Finale gegen Deutschlan­d, Maradona ist dem Kokain verfallen. 1991 wird er für 15 Monate gesperrt, bald darauf in Neapel wegen Drogenbesi­tzes verhaftet und verurteilt. 1994, mittlerwei­le in Sevilla tätig, bestreitet er als 33-Jähriger seine letzte WM, nach dem Vorrundens­piel gegen Nigeria wird er erneut positiv getestet und gesperrt. Maradona indes kann nicht aufhören mit dem Fußball, er spielt weiter und weiter, wird zum dritten mal positiv getestet, erleidet nach Kokainkons­um 2000 einen Herzinfark­t, ehe er 2001 im geliebten BomboneraS­tadion der Boca Juniors verabschie­det wird. Maradona weint zum Abschluss und sagt, ja, er habe Fehler gemacht, aber das werde dem Fußball nichts anhaben: »Es ist der schönste und ehrlichste Sport der Welt.«

2005 startet er eine eigene TV-Show, interviewt dabei Fidel Castro, Pelé oder Mike Tyson. Maradona fühlt sich als Linker, Fidel Castro und dem kubanische­n Volk hat er schon 2000 seine Autobiogra­fie gewidmet, er sympathisi­ert mit Venezuelas Präsidente­n; erst mit Hugo Chavez, dann mit Nicolas Maduro. 2008 wird er Nationaltr­ainer Argentinie­ns und strickt das Team rund um Lionel Messi, auf dass dieser als sein Nachfolger agiere. Doch als Konzept reicht das nicht: Ein 0:4 gegen Deutschlan­d im Viertelfin­ale der WM beendet Maradonas Karriere als Nationalco­ach. Er versucht sich in den Emiraten, in Mexiko und zuletzt auch Zuhause als Trainer, für die größten Schlagzeil­en sorgt stets sein Gesundheit­szustand. Alkohol, Übergewich­t, Hepatitis, Hirnblutun­g – nichts scheint ihm etwas anhaben zu können. Bis zum Mittwoch: Da hört das Herz des Diego Armando Maradona endgültig auf zu schlagen.

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Sein größter Moment mit den Albicelest­e: Maradona, Kapitän des Weltmeiste­rs 1986

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