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Dreitägige­r Streik bei Amazon

Während Amazon in Frankreich auf dem Land gut ankommt, wächst auch der Widerstand gegen die Übermacht des Onlinehänd­lers

- RALF KLINGSIECK, PARIS

Verdi ruft erneut zum Ausstand auf, um einen Tarifvertr­ag durchzuset­zen

Berlin. Mit mehrtägige­n Streiks beim Onlinehänd­ler Amazon will die Gewerkscha­ft Verdi im jahrelange­n Kampf für einen Tarifvertr­ag erneut Druck machen. Rund um den umsatzstar­ken Einkaufsta­g »Black Friday« hat die Gewerkscha­ft an sieben deutschen Versandzen­tren zu Arbeitsnie­derlegunge­n aufgerufen.

Mit Beginn der Nachtschic­ht von Mittwoch auf Donnerstag seien Beschäftig­te in Leipzig (Sachsen), Bad Hersfeld (Hessen/zwei Standorte), Rheinberg, Werne (beide NRW), Graben bei Augsburg (Bayern) und Koblenz (Rheinland-Pfalz) zu einem dreitägige­n Streik aufgerufen worden, teilte Verdi mit. Ziel sei die Anerkennun­g der Flächentar­ifverträge des Einzel- und Versandhan­dels durch Amazon sowie der Abschluss eines Tarifvertr­ags für gute und gesunde Arbeit.

Bei Amazon hieß es zu ähnlichen Aktionen bisher stets, Kunden würden nichts davon spüren. Mit Blick auf die neuen Proteste sagte ein Amazon-Sprecher, die Teams konzentrie­rten sich aktuell »darauf, die Pakete zum Kunden zu bringen«.

Frankreich war Ende der 1990er Jahre das erste Land Europas, in dem sich Amazon ansiedelte. Doch neue Standorte sind häufig sehr unbeliebt.

Während in Frankreich wegen der gegenwärti­gen Coronakris­e fast alle Geschäfte geschlosse­n bleiben müssen und viele kleine Händler vor dem Ruin stehen, boomt der Internetha­ndel. Auf den die Konsumente­n verständli­cherweise ausweichen. Der größte Nutznießer ist der US-Internethä­ndler Amazon. Er konnte durch die Regierung in Paris nur mit Mühe dazu bewegt werden, den eigentlich für den 27. November geplanten »Black Friday« in Frankreich um eine Woche zu verschiebe­n. Bis dahin sollen auch die kleinen Läden wieder öffnen dürfen und ihre Chance fürs Weihnachts­geschäft bekommen.

»Weihnachte­n ohne Amazon«, fordert nun eine Petition in Frankreich, die von Politikern linker und grüner Parteien und Organisati­onen sowie von Persönlich­keiten des kulturelle­n Lebens, Gewerkscha­ftern und Nichtregie­rungsorgan­isationen unterzeich­net wurde. In dem Text, der den Begriff »Boykott« vermeidet, um nicht mit dem Gesetz in Konflikt zu kommen, wird Amazon als »digitaler Wegelagere­r«

charakteri­siert. Gleichzeit­ig wird dazu aufgerufen, durch das eigene Kaufverhal­ten bewusst den lokalen Handel zu unterstütz­en. Noch weiter geht eine zweite Petition »Stoppt Amazon, bevor es zu spät ist«. Sie wurde von Attac, Greenpeace und weiteren 120 Organisati­onen und Persönlich­keiten im Internet gestartet. Sie prangern die sozialen Ungerechti­gkeiten an, die durch Corona und Giganten wie Amazon noch vertieft werden. Um dessen Steuerfluc­ht endlich ein Ende zu bereiten, wird eine Sondersteu­er auf den Umsatz internatio­naler Internethä­ndler in Frankreich gefordert. Die gegenwärti­ge Berechnung der Unternehme­nssteuer anhand des Gewinns lädt förmlich dazu ein, diesen trickreich zu »optimieren« und in Steueroase­n »in Sicherheit« zu bringen.

Frankreich war Ende der 1990er Jahre das erste Land Europas, in dem sich Amazon ansiedelte. Heute gibt es hier sechs große Distributi­onszentren und zwei weitere sind im Nordosten und im Südwesten des Landes geplant. Außerdem gibt es mehr als 20 regionale und lokale Umschlag- und Zustellzen­tren, zu denen pro Jahr bis zu zehn neue hinzukomme­n sollen. Doch dieses Wachstum wird dadurch gebremst, dass sich vielerorts Widerstand formiert, sobald Pläne für eine Amazon-Ansiedlung bekanntwer­den.

Gegenwärti­g konzentrie­rt sich der Widerstand auf geplante Standorte unweit von Nantes, Rouen und Mulhouse, während Amazon in Mondeville bei Caen schon aufgegeben hat. Deswegen geht der Internethä­ndler dazu über, Immobilien­unternehme­n vorzuschic­ken und sich zu einem neuen Standort erst zu bekennen, wenn der Bau fertig ist und vollendete Tatsachen geschaffen wurden. Es gibt aber durchaus auch Orte in wirtschaft­lichen Krisenregi­onen, in denen Amazon mit seinen Arbeitsplä­tzen und Lokalsteue­rn willkommen ist.

Das trifft beispielsw­eise auf ein Zustellzen­trum nahe dem bretonisch­en Quimper im Nordwesten Frankreich­s zu, das 2021 den Betrieb aufnehmen soll. Schon seit Monaten bewerben sich dort Menschen um einen Job. Für viele, vor allem junge Franzosen ist ein Arbeitspla­tz bei Amazon sicher kein Traumjob, aber oft ist er ein Einstieg ins Arbeitsleb­en oder eine Übergangsl­ösung. In den vergangene­n zehn Jahren hat Amazon in Frankreich 4500 der heute 9500 festen Arbeitsplä­tze geschaffen. Allerdings gingen für jeden hier neu geschaffen­en Platz schätzungs­weise zwei bis vier im traditione­llen Handel verloren, und die Arbeitsbed­ingungen bei Amazon sind immer wieder Anlass für Streiks und Prozesse vor den Arbeitsger­ichten.

Doch über einen Mangel an Kunden kann sich Amazon nicht beklagen. Zusammen mit seinen Händlern, die ihre Ware auf dem Amazon-Marketplac­e verkaufen, werden auf der französisc­hen Onlinepräs­enz des Konzerns rund 22 Millionen verschiede­ne Artikel angeboten. Im vergangene­n Jahr kam es zu insgesamt 186,2 Millionen Bestellung­en. Dabei macht der Marketplac­e rund die Hälfte des Gesamtumsa­tzes von Amazon in Frankreich aus.

Vor allem auf dem Lande, wo der Einzelhand­el dünn gesät ist und es oft auch bis zum nächsten Supermarkt weit ist, wird Amazon dankbar angenommen und kräftig genutzt. Die Logistik ist auf hohem Niveau und wird immer weiter perfektion­iert, um den Vorsprung zur Konkurrenz weiter auszubauen. Im vergangene­n Jahr haben 21 Millionen Franzosen bei Amazon eingekauft, das ist mehr als jeder zweite Erwachsene. Bei 20 Prozent liegt der Marktantei­l des US-Onlineries­en im Internetha­ndel, der in Frankreich wiederum 10 Prozent des gesamten Einzelhand­els ausmacht. Durch die Coronakris­e ist der Umsatz in diesem Jahr um 40 bis 50 Prozent gestiegen, erklärte Frédéric Duval, der Chef von Amazon France, in der vergangene­n Woche in einem Rundfunkin­terview.

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