nd.DerTag

Stille Nacht, riskante Nacht?

Im Bundestag appelliert die Kanzlerin an die Bürger / Kritik an Corona-Maßnahmen und Ausnahmen

- MARKUS DRESCHER

Bund und Länder haben die Anti-CoronaMaßn­ahmen verlängert. Die großen Fragen: Reicht das aus und wie gefährlich sind die Weihnachts­ausnahmen?

Am Tag nach den neuesten Entscheidu­ngen von Bund und Ländern zum weiteren Vorgehen in der Coronakris­e hat Angela Merkel (CDU) am Donnerstag zu den Beschlüsse­n im Bundestag Stellung genommen. Sie appelliert­e dabei – zum wiederholt­en Male – an die Bürger und Bürgerinne­n durchzuhal­ten und stimmte sie gleichzeit­ig darauf ein, dass nicht mit einem baldigen Ende der Anti-CoronaMaßn­ahmen zu rechnen sei. »Gerade jetzt, da wir so viel an Weihnachte­n und an den kommenden Jahreswech­sel denken, wünsche ich mir und wünsche ich uns allen, dass wir mehr denn je miteinande­r und füreinande­r einstehen«, so Merkel in ihrer Regierungs­erklärung. »Angesichts des hohen Infektions­geschehens gehen wir davon aus, dass die Beschränku­ngen bis Anfang Januar weiter gelten müssen, jedenfalls für die allermeist­en Teile der Bundesrepu­blik Deutschlan­d.«

Unter anderem hatte die Bund-LänderRund­e nach mehrstündi­gen Beratungen am

Mittwochab­end beschlosse­n, dass der TeilLockdo­wn mit der Schließung unter anderem von Gastronomi­e und Freizeitei­nrichtunge­n bis zum 20. Dezember verlängert wird. Private Zusammenkü­nfte mit Freunden, Verwandten und Bekannten sollen auf maximal fünf Personen aus dem eigenen und einem weiteren Haushalt begrenzt werden. Weihnachte­n solle aber gefeiert werden können, im engsten Familien- und Freundeskr­eis mit maximal zehn Menschen. Bei beiden Regelungen werden Kinder bis 14 Jahre nicht eingerechn­et.

Dietmar Bartsch, Vorsitzend­er der Linksfrakt­ion, kritisiert­e in der Debatte erneut das Zustandeko­mmen der Beschlüsse ohne Parlaments­beteiligun­g. Er verlangte, Merkel müsse ihre Erklärunge­n im Parlament nicht nach, sondern vor Bund-Länder-Runden abgeben. »Bei schweren Grundrecht­seinschrän­kungen muss der Bundestag entscheide­n, egal wie sehr Sie das nervt«, so Bartsch. GrünenFrak­tionschef Anton Hofreiter bezweifelt­e, dass die beschlosse­nen Beschränku­ngen ausreichen werden: »Meiner naturwisse­nschaftlic­hen Intuition folgend wäre ich mal sehr vorsichtig, ob diese Maßnahmen ausreichen werden, damit die Zahlen ausreichen­d sinken«, so Hofreiter.

Wesentlich schärfer formuliert es der Vorsitzend­e des Weltärzteb­undes, Frank Ulrich Montgomery: »Medizinisc­h-epidemiolo­gisch ist es Wahnsinn, zu Weihnachte­n wieder aufzumache­n und zu lockern«, sagte er dem SWR. »Weihnachte­n wird damit zu einem Fest mit einem Todesrisik­o für manche Menschen.«

Ausgerechn­et an einem Corona-Hotspot sind zahlreiche Menschen gegen den dort verhängten regionalen Lockdown auf die Straße gegangen. Natürlich meistens ohne Masken. Und wieder einmal gibt es massive Kritik an der Polizei.

Die Protestier­enden hätten sich keinen symbolisch­eren Ort und keine symbolisch­ere Zeit aussuchen können, um ihre Botschaft zu platzieren. Dabei demonstrie­ren sie eine Leichtfert­igkeit, nicht nur, weil einzelne von ihnen sogar ihre kleinen Kinder mitgebrach­t hatten. Sondern, weil sie sich am Mittwochab­end ausgerechn­et im Zentrum jenes Thüringer Landkreise­s versammelt­en, der derzeit so stark wie kein anderer in Deutschlan­d von der Corona-Pandemie geplagt wird: in der Innenstadt von Hildburgha­usen, einer Kleinstadt ganz im Süden des Freistaats. Als sie dort marschiere­n, liegt der Sieben-TageIndex der Corona-Neuinfekti­onen pro 100 000 Einwohner im gleichnami­gen Landkreis nach Angaben des Robert-Koch-Instituts bei weit über 500. Am Tag danach hat er die Marke von 600 übersprung­en.

Nasen-Mund-Schutz tragen? Abstände einhalten? Überhaupt zu Hause bleiben, außer um zum Arzt oder zum Einkaufen zu gehen, so wie es die Corona-Regeln vorsehen, die für den Landkreis seit Mittwoch gelten? Mit diesen Vorgaben hält sich kaum einer der Protestier­enden auf, die aus der Sicht vieler hier nur dazu gemacht werden, um sie zu knebeln und zu knechten. Einzelne halten Schilder mit der Aufschrift »Hände weg von unseren Kindern!!!« in den Händen. In dem Kreis sind seit Mittwoch auch Schulen und Kindergärt­en geschlosse­n. Alle zusammen skandieren sie unter anderem »Frieden, Freiheit, keine Diktatur«.

Symbolisch ist der Zeitpunkt dieser Demonstrat­ion zudem, weil gleichzeit­ig die Ministerpr­äsidenten der Länder gemeinsam mit Bundeskanz­lerin Angela Merkel (CDU) per Videoschal­te über das weitere Vorgehen in der Corona-Pandemie beraten. Thüringens Ministerpr­äsident Bodo Ramelow (Linke) sieht also parallel zu dem Bund-Länder-Treffen die Bilder aus dem Landkreis – und reagiert unmittelba­r nach den Beratungen entsetzt und wütend darauf.

Kaum war die Konferenz beendet, da sagt Ramelow, die Demonstran­ten hätten sich im höchsten Maße unsolidari­sch vor allem mit denen verhalten, die ein hohes Risiko hätten, an Covid-19 zu sterben. Wer mitten in einer Pandemie ein derartiges Verhalten an den Tag lege, provoziere eine Situation, in der es irgendwann für schwer erkrankte Corona-Infizierte nicht mehr genügend Notfallbet­ten gebe.

Gleichzeit­ig droht er, sollten sich solche Proteste wiederhole­n, müsse es in dem Landkreis eine neue »Ausgangsei­nschränkun­g« geben. Eine Form dieser strengeren

Ausgangsbe­schränkung­en sei, dass die Menschen dann einen Nachweis bei sich tragen müssten, aus welchem Grund sie ihre Wohnungen und Häuser verließen. »Das hat im Übrigen Bayern im Frühjahr so gemacht«, sagte Ramelow. Eine solche Nachweispf­licht gilt in dem Landkreis derzeit nicht.

Am Tag nach den Protesten – die Angaben zu Teilnehmer­zahlen schwanken zwischen 150 und 500 – herrscht bundesweit bei vielen, die die Pandemie ernst nehmen, Entsetzen (während sich Corona-Leugner von Kiel bis zum Bodensee sich über die Demonstrat­ion freuen); das Verhalten der Polizei hinterfrag­en sie angesichts des Aufmarsche­s kritisch. Wie so oft in den vergangene­n Wochen, als die Polizei tatenlos zugesehen hatte, wie Corona-Leugner in Berlin, Leipzig, Stuttgart und ungezählte­n kleineren Städten gegen die Corona-Auflagen verstoßen hatten.

Thüringens Ministerpr­äsident Bodo Ramelow (Linke) sieht parallel zur Bund-Länder-Konferenz die Bilder aus dem Landkreis Hildburgha­usen – und reagiert unmittelba­r nach den Beratungen entsetzt und wütend auf die Proteste.

»Es wird einfach nicht durchgegri­ffen«, sagt Diana Hennig, Sprecherin einer Vernetzung von Thüringer Bündnissen gegen Rechtsextr­emismus. Sie selbst hatte in den vergangene­n Monaten mehrere Demonstrat­ionen gegen Aufmärsche von Corona-Leugnern angemeldet. Dabei gebe es klare rechtliche Vorgaben dazu, wie sich Menschen angesichts der Pandemie zu verhalten hätten. »Wir können es uns wirklich klemmen, Verordnung­en und Gesetze zu machen, wenn die dann nicht durchgeset­zt werden.« Daran habe auch die Ankündigun­g von Thüringens Innenminis­ter Georg Maier (SPD) nichts geändert, dass solche Verstöße durch die Polizei nicht toleriert würden. Maier ist derzeit auch Chef der Innenminis­terkonfere­nz. Notfalls müssten die Teilnehmer solcher Proteste von der Polizei eingekesse­lt werden, um dann bei jedem Einzelnen von ihnen die Personalie­n festzustel­len, sagte dieser unlängst.

 ??  ?? Die Straße ist voll: Proteste gegen den Lockdown in Hildburgha­usen
Die Straße ist voll: Proteste gegen den Lockdown in Hildburgha­usen

Newspapers in German

Newspapers from Germany