Stille Nacht, riskante Nacht?
Im Bundestag appelliert die Kanzlerin an die Bürger / Kritik an Corona-Maßnahmen und Ausnahmen
Bund und Länder haben die Anti-CoronaMaßnahmen verlängert. Die großen Fragen: Reicht das aus und wie gefährlich sind die Weihnachtsausnahmen?
Am Tag nach den neuesten Entscheidungen von Bund und Ländern zum weiteren Vorgehen in der Coronakrise hat Angela Merkel (CDU) am Donnerstag zu den Beschlüssen im Bundestag Stellung genommen. Sie appellierte dabei – zum wiederholten Male – an die Bürger und Bürgerinnen durchzuhalten und stimmte sie gleichzeitig darauf ein, dass nicht mit einem baldigen Ende der Anti-CoronaMaßnahmen zu rechnen sei. »Gerade jetzt, da wir so viel an Weihnachten und an den kommenden Jahreswechsel denken, wünsche ich mir und wünsche ich uns allen, dass wir mehr denn je miteinander und füreinander einstehen«, so Merkel in ihrer Regierungserklärung. »Angesichts des hohen Infektionsgeschehens gehen wir davon aus, dass die Beschränkungen bis Anfang Januar weiter gelten müssen, jedenfalls für die allermeisten Teile der Bundesrepublik Deutschland.«
Unter anderem hatte die Bund-LänderRunde nach mehrstündigen Beratungen am
Mittwochabend beschlossen, dass der TeilLockdown mit der Schließung unter anderem von Gastronomie und Freizeiteinrichtungen bis zum 20. Dezember verlängert wird. Private Zusammenkünfte mit Freunden, Verwandten und Bekannten sollen auf maximal fünf Personen aus dem eigenen und einem weiteren Haushalt begrenzt werden. Weihnachten solle aber gefeiert werden können, im engsten Familien- und Freundeskreis mit maximal zehn Menschen. Bei beiden Regelungen werden Kinder bis 14 Jahre nicht eingerechnet.
Dietmar Bartsch, Vorsitzender der Linksfraktion, kritisierte in der Debatte erneut das Zustandekommen der Beschlüsse ohne Parlamentsbeteiligung. Er verlangte, Merkel müsse ihre Erklärungen im Parlament nicht nach, sondern vor Bund-Länder-Runden abgeben. »Bei schweren Grundrechtseinschränkungen muss der Bundestag entscheiden, egal wie sehr Sie das nervt«, so Bartsch. GrünenFraktionschef Anton Hofreiter bezweifelte, dass die beschlossenen Beschränkungen ausreichen werden: »Meiner naturwissenschaftlichen Intuition folgend wäre ich mal sehr vorsichtig, ob diese Maßnahmen ausreichen werden, damit die Zahlen ausreichend sinken«, so Hofreiter.
Wesentlich schärfer formuliert es der Vorsitzende des Weltärztebundes, Frank Ulrich Montgomery: »Medizinisch-epidemiologisch ist es Wahnsinn, zu Weihnachten wieder aufzumachen und zu lockern«, sagte er dem SWR. »Weihnachten wird damit zu einem Fest mit einem Todesrisiko für manche Menschen.«
Ausgerechnet an einem Corona-Hotspot sind zahlreiche Menschen gegen den dort verhängten regionalen Lockdown auf die Straße gegangen. Natürlich meistens ohne Masken. Und wieder einmal gibt es massive Kritik an der Polizei.
Die Protestierenden hätten sich keinen symbolischeren Ort und keine symbolischere Zeit aussuchen können, um ihre Botschaft zu platzieren. Dabei demonstrieren sie eine Leichtfertigkeit, nicht nur, weil einzelne von ihnen sogar ihre kleinen Kinder mitgebracht hatten. Sondern, weil sie sich am Mittwochabend ausgerechnet im Zentrum jenes Thüringer Landkreises versammelten, der derzeit so stark wie kein anderer in Deutschland von der Corona-Pandemie geplagt wird: in der Innenstadt von Hildburghausen, einer Kleinstadt ganz im Süden des Freistaats. Als sie dort marschieren, liegt der Sieben-TageIndex der Corona-Neuinfektionen pro 100 000 Einwohner im gleichnamigen Landkreis nach Angaben des Robert-Koch-Instituts bei weit über 500. Am Tag danach hat er die Marke von 600 übersprungen.
Nasen-Mund-Schutz tragen? Abstände einhalten? Überhaupt zu Hause bleiben, außer um zum Arzt oder zum Einkaufen zu gehen, so wie es die Corona-Regeln vorsehen, die für den Landkreis seit Mittwoch gelten? Mit diesen Vorgaben hält sich kaum einer der Protestierenden auf, die aus der Sicht vieler hier nur dazu gemacht werden, um sie zu knebeln und zu knechten. Einzelne halten Schilder mit der Aufschrift »Hände weg von unseren Kindern!!!« in den Händen. In dem Kreis sind seit Mittwoch auch Schulen und Kindergärten geschlossen. Alle zusammen skandieren sie unter anderem »Frieden, Freiheit, keine Diktatur«.
Symbolisch ist der Zeitpunkt dieser Demonstration zudem, weil gleichzeitig die Ministerpräsidenten der Länder gemeinsam mit Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) per Videoschalte über das weitere Vorgehen in der Corona-Pandemie beraten. Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke) sieht also parallel zu dem Bund-Länder-Treffen die Bilder aus dem Landkreis – und reagiert unmittelbar nach den Beratungen entsetzt und wütend darauf.
Kaum war die Konferenz beendet, da sagt Ramelow, die Demonstranten hätten sich im höchsten Maße unsolidarisch vor allem mit denen verhalten, die ein hohes Risiko hätten, an Covid-19 zu sterben. Wer mitten in einer Pandemie ein derartiges Verhalten an den Tag lege, provoziere eine Situation, in der es irgendwann für schwer erkrankte Corona-Infizierte nicht mehr genügend Notfallbetten gebe.
Gleichzeitig droht er, sollten sich solche Proteste wiederholen, müsse es in dem Landkreis eine neue »Ausgangseinschränkung« geben. Eine Form dieser strengeren
Ausgangsbeschränkungen sei, dass die Menschen dann einen Nachweis bei sich tragen müssten, aus welchem Grund sie ihre Wohnungen und Häuser verließen. »Das hat im Übrigen Bayern im Frühjahr so gemacht«, sagte Ramelow. Eine solche Nachweispflicht gilt in dem Landkreis derzeit nicht.
Am Tag nach den Protesten – die Angaben zu Teilnehmerzahlen schwanken zwischen 150 und 500 – herrscht bundesweit bei vielen, die die Pandemie ernst nehmen, Entsetzen (während sich Corona-Leugner von Kiel bis zum Bodensee sich über die Demonstration freuen); das Verhalten der Polizei hinterfragen sie angesichts des Aufmarsches kritisch. Wie so oft in den vergangenen Wochen, als die Polizei tatenlos zugesehen hatte, wie Corona-Leugner in Berlin, Leipzig, Stuttgart und ungezählten kleineren Städten gegen die Corona-Auflagen verstoßen hatten.
Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke) sieht parallel zur Bund-Länder-Konferenz die Bilder aus dem Landkreis Hildburghausen – und reagiert unmittelbar nach den Beratungen entsetzt und wütend auf die Proteste.
»Es wird einfach nicht durchgegriffen«, sagt Diana Hennig, Sprecherin einer Vernetzung von Thüringer Bündnissen gegen Rechtsextremismus. Sie selbst hatte in den vergangenen Monaten mehrere Demonstrationen gegen Aufmärsche von Corona-Leugnern angemeldet. Dabei gebe es klare rechtliche Vorgaben dazu, wie sich Menschen angesichts der Pandemie zu verhalten hätten. »Wir können es uns wirklich klemmen, Verordnungen und Gesetze zu machen, wenn die dann nicht durchgesetzt werden.« Daran habe auch die Ankündigung von Thüringens Innenminister Georg Maier (SPD) nichts geändert, dass solche Verstöße durch die Polizei nicht toleriert würden. Maier ist derzeit auch Chef der Innenministerkonferenz. Notfalls müssten die Teilnehmer solcher Proteste von der Polizei eingekesselt werden, um dann bei jedem Einzelnen von ihnen die Personalien festzustellen, sagte dieser unlängst.