nd.DerTag

Neoliberal­e Kümmerer

Rente, Grundsiche­rung, Staatsbürg­ergeld: Die AfD will auf ihrem Bundespart­eitag sozialpoli­tische Leitlinien verabschie­den

- ROBERT D. MEYER

Sieben Jahre nach ihrer Gründung soll die AfD ein Sozialprog­ramm bekommen. Dafür wurde ein Kompromiss zwischen Marktradik­alismus und nationalis­tisch orientiert­er Fürsorgepo­litik ausgehande­lt.

AfD-Parteichef Jörg Meuthen befindet sich in einem Zwiespalt: Über Jahre hat die Partei mit sich gerungen, wie sie sich in der Sozialpoli­tik positionie­ren soll. Rente, Grundsiche­rung, Arbeitslos­engeld – zu all diesen Fragen hatte die AfD bisher keine einheitlic­he Antworten. Bisher war das durchaus so gewollt: Die Marktradik­alen um Meuthen adressiere­n mit ihren Vorstellun­gen von einem möglichst schlanken Staat eine andere Zielgruppe als der national-soziale Flügel um Björn Höcke. Der Thüringer AfD-Landeschef ist auch der Auslöser dafür, warum sich die Partei an diesem Wochenende im nordrhein-westfälisc­hen Kalkar zu ihrem Sozialpart­eitag trifft. Geplant ist dieser schon länger. Höcke beantragte solch ein Treffen bereits vor zwei Jahren auf dem Bundespart­eitag in Augsburg.

Seitdem wurde der Sozialpart­eitag mehrfach verschoben, zuletzt platzte der Termin im Frühjahr aufgrund der ersten Coronawell­e. Das Wiederauff­lammen der Infektions­zahlen seit Oktober hält die AfD dieses Mal jedoch nicht davon ab, mit 600 Delegierte­n in Präsenz zusammenzu­kommen.

Augsburg war für Meuthen auch das Signal, dass es für seine marktradik­alen Ansichten in der AfD in dieser Form keine Mehrheiten gibt. Seine damals gehaltene sozialpoli­tische Rede riss im Saal kaum jemanden vom Stuhl. Der Vorschlag des Parteichef­s: Die durch Beiträge von Angestellt­en und Unternehme­rn finanziert­e gesetzlich­e Rentenvers­icherung abschaffen und durch eine steuerfina­nzierte Mindestren­te ersetzen. Alles darüber hinaus sollte durch private Altersvors­orge finanziert werden. Meuthens Vorstellun­g steht fundamenta­l dem entgegen, was Höcke und der ebenfalls aus Thüringen stammende AfD-Sozialpoli­tiker Jürgen Pohl unter »sozialem Patriotism­us« verstehen. Dieser steht für mehr Staat in der Sozialpoli­tik, etwa durch mögliche Rentenzusc­hläge, die allerdings nur für deutsche Staatsbürg­er offen wären. Zwei Jahre nach Augsburg hat sich die AfD-Programmko­mmission auf einen Leitantrag verständig­t, der versuchen soll, allen Seiten irgendwie gerecht zu werden.

Unter anderem vorgesehen: Abgeordnet­e, Selbststän­dige und ein Großteil der Beamten sollen künftig auch Beiträge in die gesetzlich­e Rentenvers­icherung einzahlen, Ausnahmen würden für Bundeswehr, Polizei, Zoll und Justiz gelten. Gleichzeit­ig aber soll das Rentennive­au von 47 auf 44 Prozent abgesenkt werden. Stattdesse­n will man die private Altersvors­orge weiter stärken.

Das Wie bleibt im Leitantrag reichlich unkonkret, deutet aber eine starke Deregulier­ung an. Es ist die Rede davon, die Einkommens­steuerbefr­eiung für kapitalged­eckte Altersvors­orgemodell­e wie Riester- und RürupRente abzuschaff­en und »durch flexiblere sowie unbürokrat­ischere Modelle« zu ersetzen.

Für Kinder mit deutscher Staatsbürg­erschaft und dauerhafte­m Lebensmitt­elpunkt in der Bundrepubl­ik soll der Staat von der Geburt bis zum 18. Lebensjahr monatlich 100

Euro auf ein Spardepot einzahlen. Ob das Geld danach ausgezahlt wird oder was damit konkret passiert, lässt der Leitantrag offen.

Wirkliche Änderungen in der Gesundheit­spolitik sieht der Leitantrag nicht vor. Das System aus gesetzlich­er und privater Krankenver­sicherung soll bestehenbl­eiben, expliziet gelobt wird der Wettbewerb als »sinnvoll«, von dem »alle« profitiere­n. Eine Zusammenle­gung wird kategorisc­h mit dem Argument abgelehnt, dass sich aus einer »Einheitska­sse« eine »Holzklasse« mit schlechter­en Leistungen entwickeln würde.

So richtig zufrieden scheinen in der AfD mit diesem Leitantrag allerdings viele nicht zu sein. Dem Antragshef­t zufolge liegen dem Parteitag 42 Änderungsa­nträge vor, die keinesfall­s nur im Detail Kritik an den Vorschläge­n der Programmko­mmission üben. Ein Antrag stammt ausgerechn­et vom Bundesfach­ausschuss, der für Rente, Arbeit sowie Sozialpoli­tik zuständig ist und dem zufällig auch Meuthen angehört. Das Gremium will den ausgehande­lten Kompromiss torpediere­n und schlägt stattdesse­n ein Sozialkonz­ept

vor, dass im Prinzip den von Meuthen entwickelt­en marktradik­alen Vorstellun­gen entspricht. Kommt dieser Antrag nicht durch, hält sich der Fachaussch­uss eine Hintertür offen. Er will die Delegierte­n darüber abstimmen lassen, das Gesamtkonz­ept noch einmal überabreit­en zu lassen.

Nicht im Leitantrag enthalten, aber ausgerechn­et von Meuthen und Co-Parteichef Tino Chrupalla eingebrach­t wird ein Antrag für ein sogenannte­s Staatsbürg­ergeld (»nd« berichtete). Das Konzept sieht vor, dass jeder deutsche Staatsbürg­er monatlich 500 Euro vom Staat erhält. Im Gegenzug würden viele Sozialleis­tungen wie Hartz IV, Elterngeld und BAföG wegfallen. Kombiniert werden soll dieses Modell mit einer radikalen Vereinfach­ung der Einkommens­teuer, die dann nur noch Sätze in Höhe von 25 Prozent (bis 250 000 Euro) und 50 Prozent vorsieht.

Wirklich geheuer scheint Chrupalla das Konzept aber nicht zu sein. Er unterstütz­e zwar eine Überprüfun­g der Machbarkei­t, sagte aber, der Vorschlag stamme »aus dem Zentrallab­or des Neoliberal­ismus«.

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