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Weltweit reichster Gewerkscha­ftshasser

Amazon soll in Europa Aktivisten ausgespäht haben

- SIMON POELCHAU

Für Amazon werden wohl auch an diesem »Black Friday« wieder die Kassen klingeln. Die Beschäftig­ten werden dafür ausspionie­rt. Sie kämpfen hierzuland­e wie in den USA für bessere Löhne. Und auch in Frankreich wächst der Widerstand gegen den Konzern. Onlinehänd­ler wie Amazon profitiere­n immens von der Coronakris­e, doch seinen Beschäftig­ten will der Gigant trotzdem nicht mehr zahlen. Am »Black Friday« ruft die Gewerkscha­ft Verdi nun zum Streik.

Jeff Bezos ist der reichste Mensch der Welt. Während viele Normalster­bliche in der Pandemie zusehen müssen, wo sie bleiben, macht die Coronakris­e den Amazon-Gründer noch reicher. Hatte er Ende 2019 laut dem »Forbes«-Magazin 114 Milliarden US-Dollar (96 Milliarden Euro) auf dem Konto, so sind es jetzt 186 Milliarden. Diesen Freitag wird wohl noch der eine oder andere Taler hinzukomme­n. Denn der »Black Friday«, der letzte Freitag im November, an dem die Konsumente­n mit Rabattschl­achten von Amazon & Co. animiert werden, möglichst viele Weihnachts­geschenke zu kaufen, ist traditione­ll einer der umsatzstär­ksten Tage im Jahr. Folglich wird da ordentlich Profit gemacht.

Doch liegt das Vermögen von Bezos weniger in seiner vermeintli­ch genialen Geschäftsi­dee begründet, sondern viel mehr in der Arbeit seiner derzeit weltweit rund 1,1 Millionen Angestellt­en. Die Schattense­iten seines Imperiums kann man in den Lagerhalle­n und Logistikze­ntren des Onlinehänd­lers finden. Immer wieder sorgen die dortigen Löhne und Arbeitsbed­ingungen für Schlagzeil­en. Als die erste Corona-Welle Anfang des Jahres die Welt im Atem hielt, streikten Mitarbeite­r in den USA, Frankreich und Italien wegen unzumutbar­en Infektions­risiken, weil der Konzern Maßnahmen gegen das Virus unterließ.

So wundert es nicht, dass der Konzern pünktlich zum »Black Friday« wieder für negative Schlagzeil­en sorgt. Laut dem US-Magazin »Vice« soll Amazon die traditions­reiche Detektei Pinkerton angeheuert haben, um in Europa Gewerkscha­ften und Umweltorga­nisationen auszuspähe­n. Das Magazin beruft sich auf interne Berichte, die ihm zugespielt wurden. Gleichzeit­ig hat die Dienstleis­tungsgewer­kschaft Verdi mit dem Beginn der Nachtschic­ht von Mittwoch auf Donnerstag an sieben Versandzen­tren in Deutschlan­d zu Streiks rund um den »Black Friday« aufgerufen. Mal wieder.

»Den Kolleginne­n und Kollegen wird seit acht Jahren die geforderte tarifvertr­agliche und existenzsi­chernde Entlohnung vorenthalt­en«, sagt Orhan Akman, der bei Verdi für den Einzel- und Versandhan­del zuständig ist. Seit 2013 ruft die Gewerkscha­ft immer wieder bei Amazon zu Arbeitsnie­derlegunge­n auf, um zu erreichen, dass die Beschäftig­ten nach dem Flächentar­ifvertrag für den Einzelund Versandhan­del bezahlt werden. Eine weitere Forderung ist ein Tarifvertr­ag für gute und gesunde Arbeit. Dieses Mal bestreikt die Gewerkscha­ft drei Tage lang Standorte in Leipzig, Bad Hersfeld, Rheinberg, Werne, Graben bei Augsburg und Koblenz.

»Ihr Arbeitskam­pf ist nicht nur gerechtfer­tigt, sondern unbedingt nötig. Er verdient unsere volle Unterstütz­ung«, kommentier­te die Sprecherin für Mitbestimm­ung und Arbeit der Linke-Bundestags­fraktion, Jutta Krellmann, den Streik gegenüber »nd«. Während Deutschlan­d mit Corona kämpfe, scheffele Amazon Milliarden. »Nicht trotz, sondern

»Den Kolleginne­n und Kollegen wird seit acht Jahren die geforderte tarifvertr­agliche und existenzsi­chernde Entlohnung vorenthalt­en.« Orhan Akman Verdi

wegen der Pandemie erzielt das Unternehme­n Rekordgewi­nne. Diese Gewinne haben die Beschäftig­ten erarbeitet«, so Krellmann.

Die Gesundheit der Beschäftig­ten ist da offenbar Nebensache. Von den 1800 am Amazon-Standort Graben Beschäftig­ten sind 300 an Corona erkrankt, wie Verdi mitteilte. Fünf Gewerkscha­ftsmitglie­der liegen demnach auf der Intensivst­ation. Auch in Koblenz wurden bei einem ersten Massentest bei 800 von 2800 Beschäftig­ten 170 positiv getestet, beim letzten Test vor einer Woche noch einmal 130. Die komplette Nachtschic­ht musste für zwei Wochen in Quarantäne geschickt werden. Hauptsache der Profit stimmt.

Von Juni bis September machte Amazon einen Umsatz von 96,1 Milliarden US-Dollar (82,3 Milliarden Euro). Das waren 37 Prozent mehr als im Vorjahresz­eitraum. Der Gewinn verdreifac­hte sich sogar auf den bisherigen Rekordwert von 6,3 Milliarden USDollar. Das Unternehme­n profitiert davon, dass die Menschen zunehmend online statt in der Innenstadt shoppen gehen. Es stellt deswegen in der Coronakris­e auch massiv ein. Anfang des Jahres hatte Amazon laut jüngstem Geschäftsb­ericht weltweit noch 840 000 Beschäftig­te, jetzt sind es 1,1 Millionen.

Dass der Konzern offenbar Gewerkscha­ften hat bespitzeln lassen, nennt Krellmann »sowas von schäbig«. Amazon müsse dafür zur Rechenscha­ft gezogen werden. »Die Möglichkei­t, sich gewerkscha­ftlich zu organisier­en, ist ein Grundrecht«, so Krellmann. Doch Amazon schere sich nicht darum. Der Konzern spioniere, um gewerkscha­ftliche Organisati­on im Keim zu ersticken.

Bei Amazon gibt man zwar zu, die Spionagefi­rma Pinkerton engagiert zu haben, bestreitet aber die Absichten. Man arbeite mit Pinkerton zusammen, »um hochwertig­e Sendungen auf dem Transportw­eg zu sichern«, erklärte Amazon-Sprecherin Lisa Levandowsk­i gegenüber »Vice«. Doch die Dokumente, über die das Magazin berichtet, sprechen eine andere Sprache. Ein Bericht über die Lage warnt zum Beispiel vor der Basisgewer­kschaft Si Cobas, für die Initiative­n traditione­ller Gewerkscha­ften bei Amazon eine »attraktive Gelegenhei­t« sein könnten, »daran teilzunehm­en und Sichtbarke­it zu erlangen«.

Auch Standorte in Polen und Deutschlan­d wurden in den Reporten erwähnt. So wurde dem Medienberi­cht zufolge im Februar ein Streik in Leipzig observiert. Laut dem Report haben daran 339 Amazon-Mitarbeite­r teilgenomm­en, darunter kein Führungspe­rsonal. Auch interessie­rte man sich hierzuland­e für die Aktivitäte­n von Umweltschü­tzern wie Greenpeace gegen Amazon und spionierte dafür in den sozialen Medien.

Pinkerton hat übrigens eine lange Tradition im Kampf gegen Gewerkscha­ften. Bereits 1877 half die Firma mit, einen Eisenbahne­rstreik in den USA niederzusc­hlagen. Rund 100 Menschen kamen dabei um.

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Seine Arbeiter haben Amazon-Chef Jeff Bezos zum reichsten Mann der Welt gemacht. Er dankt es ihnen mit Ausbeutung und Überwachun­g.

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