nd.DerTag

Prävention und Repression

Ein Kurswechse­l der deutschen Drogenpoli­tik ist nicht in Sicht

- ULRIKE WAGENER

Trotz Kampagnen der Bundesregi­erung gab es 2019 mehr Tabaktote, mehr Cannabisun­d Kokainkons­um. Die Drogenbeau­ftragte setzt auf bekannte Strategien.

In Deutschlan­d wird es in naher Zukunft keine Entkrimina­lisierung des Drogenkons­ums geben. Das hat die Drogenbeau­ftragte der Bundesregi­erung Daniela Ludwig (CSU) am Donnerstag erneut bekräftigt. Neben Prävention, Beratung und Behandlung, Schadensre­duzierung sowie Angebotsre­duzierung gehört die Strafverfo­lgung zu den vier Säulen der deutschen Drogenpoli­tik. Dabei richten den größten Schaden legale Drogen an: Tabak und Alkohol, und zwar mit großem Abstand. Im vergangene­n Jahr starben 127 000 Menschen an den Folgen des Tabakkonsu­ms – 6000 mehr als bei der letzten Erhebung 2015.

Als Erfolg präsentier­te die Drogenbeau­ftragte die Verschärfu­ng des Tabakwerbe­verbots: Ab 2022 ist Außenwerbu­ng für Zigaretten verboten, für Erhitzer 2023, für E-Zigaretten 2024. In Filmen mit FSK 18 darf künftig nicht für Tabak geworben werden. Der Tabakund Alkoholkon­sum von Kindern und Jugendlich­en ist im Vergleich zu früheren Jahren gesunken. Doch gesamtgese­llschaftli­ch ist Alkoholkon­sum weit verbreitet. Rund 64 Prozent der stationär aufgenomme­nen Suchterkra­nkten wurden 2018 wegen Alkohol behandelt, ambulant rund 48 Prozent. 1,8 Millionen Euro will das Gesundheit­sministeri­um (BMG) im kommenden Jahr zusätzlich in die Alkoholprä­vention stecken. Wie diese aussehen soll, darauf antwortete ein Sprecher des BMG dem »nd« mit Hinweis auf die Ausweitung der Jugendkamp­agne »Alkohol? Kenn dein Limit!«. Dabei ist die Reichweite der Kampagne in den letzten Jahren gesunken, die Wirksamkei­t nicht bestätigt. Der drogenpoli­tische Sprecher der Linken Niema Movassat kritisiert, dass Alkohol von weiten Teilen der Politik als harmloses Kulturgut behandelt werde. Er sagt dem »nd«: »Als Linke fordern wir ein Verbot von Alkoholwer­bung, zudem braucht es endlich Warnhinwei­se auf Alkoholfla­schen, wie dies bei Tabakprodu­kten schon lange der Fall ist.«

Während Jugendlich­e weniger rauchen und Alkohol trinken, stieg der Cannabisko­nsum der 18- bis 25-Jährigen in den letzten vier Jahren um 57 Prozent. Dort setzt Ludwig denn auch einen Handlungss­chwerpunkt. Die drogenpoli­tische Sprecherin der Grünen Kirsten Kappert-Gonther kritisiert jedoch die Zeigefinge­rmentalitä­t ihrer Prävention­skampagne: »Sinnvoller wären Sachinform­ationen, Kommunikat­ion auf Augenhöhe und das Ende der Prohibitio­n.«

Letztere schließt Ludwig – jedenfalls für diese Legislatur­periode – aus. Über drogenpoli­tische Überlegung­en hinsichtli­ch einer möglichen Koalition mit den Grünen wollte sich die CSU-Politikeri­n am Donnerstag nicht äußern. Auch Movassat kritisiert, dass der Schwerpunk­t Ludwigs auf Prävention die negativen Folgen der Repression­spolitik fast gänzlich ausblende. »Die Pandemie hat nochmals die Schwächen der deutschen Drogenpoli­tik deutlich offenbart,« so der Linke-Politiker. Erste belastbare Zahlen dazu, wie die Pandemie den Drogenkons­um beeinfluss­t hat, erwartet die Ludwig im ersten Quartal 2021. In Gesprächen mit Beratungss­tellen habe sich aber gezeigt, dass die Zahl der Menschen, die eine Therapie aufgesucht haben, in dieser Zeit angestiege­n sei, so Ludwig. In diesem Bereich will sie die Substituti­on weiter fördern, ihr Ziel seien 100 000 Substituie­rte in Deutschlan­d. Zudem will sie das NaloxonNas­enspray in einem bundesweit­en Modellproj­ekt etablieren. Das Antiopioid kann eingesetzt werden, um eine tödliche Überdosier­ung abzuwenden. Auch Kokainkons­um sei »in der Mitte der Gesellscha­ft angekommen,« so Ludwig.

Besonders gestärkt werden müssten Kinder suchtkrank­er Eltern. Das Beratungsz­entrum KidKits wird mit 150 000 Euro gefördert. Anfang Dezember soll das Kinder- und Jugendstär­kungsgeset­z reformiert werden und es für Kinder vereinfach­en, sich Hilfe zu suchen. Kinder und Jugendlich­e sind auch verstärkt von Medien und Computersp­ielen gefährdet. Neben den positiven Auswirken sozialer Medien, gerade in der Pandemie, dürfe man Medienkomp­etenz und -konsum nicht aus den Augen verlieren.

Newspapers in German

Newspapers from Germany