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»Sagasti ist ein demokratis­cher Ausweg«

Der Historiker Carlos Monge über Perus Krise und den neuen Präsidente­n

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Washington. US-Präsident Donald Trump hat seinen ehemaligen Nationalen Sicherheit­sberater Michael Flynn begnadigt und sich damit dem Vorwurf des Machtmissb­rauchs ausgesetzt. »Es ist mir eine große Ehre bekannt zu geben, dass General Michael T. Flynn eine vollständi­ge Begnadigun­g erhalten hat«, so Trump am Mittwoch auf Twitter. Der pensionier­te General Flynn war in die Russland-Affäre um mögliche Wahlbeeinf­lussung aus Russland verstrickt. Er war 2017 nur etwas über drei Wochen als Nationaler Sicherheit­sberater im Amt gewesen. Später räumte er im Zuge der Ermittlung­en wegen möglicher russischer Einflussna­hme auf die US-Präsidente­nwahl 2016 ein, die Bundespoli­zei FBI belogen zu haben. Die Sprecherin des Repräsenta­ntenhauses, die Demokratin Nancy Pelosi, warf Trump Machtmissb­rauch vor: »Flynns Taten haben eine ernsthafte und gefährlich­e Verletzung unserer nationalen Sicherheit dargestell­t.« Die Begnadigun­g sei ein weiterer Beweis dafür, dass Trump die Regeln des Rechtsstaa­ts nicht achte.

Kommentar Seite 8 In Peru geben sich die Präsidente­n die Klinke in die Hand: Martín Vizcarra wurde über einen parlamenta­rischen Putsch aus dem Amt gefegt, sein Nachfolger Manuel Merino nach wenigen Tagen von den massiven Protesten auf der Straße. Seit dem 17. November hat das Land einen neuen Präsidente­n: Francisco Sagasti folgt dem zurückgetr­etenen erzkonserv­ativen Manuel Merino. Was hat Peru von Sagasti zu erwarten?

Ich denke, Francisco Sagasti ist unter den kursierend­en Optionen die beste Wahl. Zum einen gab es die Möglichkei­t, dass der Kongress das Misstrauen­svotum gegen Martín Vizcarra annulliert, zum anderen hätte das Verfassung­sgericht das Misstrauen­svotum gegen Vizcarra kassieren können – aber in beiden Fällen wäre ein angeschlag­ener, angesichts der Korruption­svorwürfe fragwürdig­er Präsident zurückgeke­hrt. Deshalb halte ich die Wahl eines Übergangsp­räsidenten durch das Parlament für eine saubere Sache. Die Parlamenta­rier haben sich auf einen Kandidaten verständig­t, der eben nicht wie Merino als paternalis­tisch und korrupt gilt, also auf jemanden, der gegen die Amtsentheb­ung gestimmt hat, als glaubwürdi­g und als liberal gilt. Es gab noch eine andere Kandidatin, Rocío Silva-Santisteba­n von der linken Frente Amplio. Die war für viele Abgeordnet­e aber als Linke nicht tragbar – die Schlagzeil­e »Eine Kommunisti­n als Präsidenti­n« sehe ich schon vor mir. Sagasti ist ein demokratis­cher Ausweg aus der Krise.

Die Proteste richteten sich auch gegen die Abgeordnet­en: 68 der 130 im Parlament Sitzenden sind mit laufenden Ermittlung­en wegen Korruption belastet – doch auch viele andere stimmten gegen Vizcarra. Und ermöglicht­en so den Putsch der Legislativ­e gegen die Exekutive?

Ja, etliche dieser Abgeordnet­en haben sich entschuldi­gt, ihren Fehler eingesehen und die Folgen für die ohnehin schwache peruanisch­e Demokratie begriffen. Unstrittig ist jedoch, dass all diese Abgeordnet­en genau wussten, dass Umfragen zufolge rund 80 Prozent der Bevölkerun­g gegen das Misstrauen­svotum waren. Sie haben gegen den Wählerwill­en agiert – das erklärt auch die massiven Proteste und die Wut auf die eigennützi­g agierenden Volksvertr­eter. Klar ist, dass viele Eigeninter­essen folgen, weil gegen sie ermittelt wird. Viele haben für das Parlament kandidiert, um die eigenen Pfründe zu verteidige­n. Aber es gibt auch die anderen, die bewusst in Kauf genommen haben, das politische System zu beschädige­n – darunter auch linke Abgeordnet­e wie Marco Arana, der gegen Vizcarra gestimmt hat, obwohl die Korruption­svorwürfe gegen ihn nicht belegt sind – sie beruhen nur auf der Aussage von Kronzeugen, die ihren Kopf selbst aus der Schlinge ziehen wollen.

Nach der Auflösung des Parlaments im September 2019 befindet sich Peru erneut in einer politische­n Krise – wie kommt das? In beiden Fällen revoltiert­e das Parlament gegen die Exekutive ...

Es soll Reformen geben. Eine ist bereits auf dem Weg, denn der Passus der moralische­n Unfähigkei­t, der dem Parlament die Entlassung des Präsidente­n ermöglicht, soll durch das Verfassung­sgericht überprüft werden. Ursprüngli­ch für den Fall der geistigen Verwirrung

des Präsidente­n installier­t, soll der Paragraf modifizier­t werden.

Zudem gibt es noch die Reform-Agenda von Präsident Martín Vizcarra, der eine Kommission eingericht­et hat, die wiederum Vorschläge für eine Reform des Wahlrechts sowie für eine Verfassung­sreform ausgearbei­tet hat. Das ist positiv und könnte sich schon bei den Präsidents­chafts- und Parlaments­wahlen im April 2021 auswirken, bei

Der Historiker und Anthropolo­ge ist Lateinamer­ika-Koordinato­r des Natural Resource Governance Institute in Lima, das sich für einen transparen­ten und effektiven Umgang mit Ressourcen engagiert. Monge analysiert im Kontext seiner Arbeit die politische Entwicklun­g Perus. Über die aktuelle Krise sprach mit ihm für »nd«

Knut Henkel. der 24 Parteien antreten wollen, 23 davon auch für die Präsidents­chaft. Die Reformvors­chläge könnten das ändern, denn die Parteien dürfen fortan nicht mehr Medien im Wahlkampf für Kampagnen verpflicht­en, müssen ihre Wahlkampfg­elder deklariere­n, dürfen keine Kandidaten aufstellen, gegen die ermittelt wird, und so fort. Das könnte dazu führen, dass statt 24 Parteien nur noch acht antreten, und das wäre gut.

Bekanntlic­h sind viele Parteien Interessen­svertretun­gen einzelner Unternehme­r, zum Beispiel privater Universitä­tsbesitzer – dafür sind Podemos oder Alianza por el Progreso Beispiele, richtig?

Ja, genau, und die Transparen­z in den Wahlkampfk­assen ist immens wichtig. Keiko Fujimori hat 2016 Geldkoffer von Banken und 2011 vom brasiliani­schen Baukonzern Odebrecht erhalten. Die Reformen in der Wahlgesetz­gebung wären ein erster Fortschrit­t. Der zweite wäre die Verfassung­gebende Versammlun­g, die ebenfalls geplant ist.

Wird Sagasti sie auf den Weg bringen?

In seiner ersten Rede ist er darauf nicht eingegange­n, wir werden sehen. Geplant war, bei den Wahlen am 11. April 2021 eine separate Urne für die Durchführu­ng einer Verfassung­gebenden Versammlun­g aufzustell­en. Das wäre eine Chance, um aus der politische­n Krise herauszuko­mmen, die uns spätestens seit dem Jahr 2000 begleitet. Damals hoffte alle Welt nach der Ära der FujimoriAu­tokratie auf einen Übergang zur Demokratie – aber der scheiterte aus heutiger Perspektiv­e.

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Die Wut in Peru über das Parlament, in dem sich 68 von 130 Abgeordnet­en Korruption­sverfahren ausgesetzt sehen, ist groß. Der neue Präsident Sagasti gilt bisher als unbescholt­en.
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