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»Wir nennen es das Lager der Schande«

Die Kanaren beschweren sich über mangelnde Unterstütz­ung bei der Versorgung von Geflüchtet­en

- MAREN HÄUSSERMAN­N, GRAN CANARIA

Seit Wochen mehrt sich die Zahl der afrikanisc­hen Flüchtling­e, die über den Atlantik auf die Kanaren kommen. Dort wachsen die Probleme.

Die Sonne knallt auf die Hafenmole Arguineguí­n von Mogán im Süden Gran Canarias. Afrikaner sitzen an der Uferkante, lassen Plastikfla­schen an Seilen hinunter ins Meerwasser, um sich damit abzukühlen. Schatten gibt es keinen. Aus Decken, die sie an den gelben Plastikabs­perrungen der Stadt befestigt haben, sind kleine Zelte erstanden. In diesen warten die Männer, in Gruppen eingeteilt und mit Maske auf der Nase.

Es liegt vor allem an Corona, dass dieses Jahr schon 18 000 Migranten auf den Kanaren angekommen sind, rund 15 300 mehr als im gesamten Jahr 2019. Alternativ­e Fluchtrout­en sind wegen der Grenzkontr­ollen unbezwingb­ar. Tausende Mauretanie­r, Senegalese­n und Marokkaner machen sich deshalb in Holzbooten auf den Weg über den Atlantik, wo sie nach tagelanger Reise erschöpft und dehydriert auf überarbeit­ete Mitarbeite­r des Roten Kreuzes treffen – und auf eine Bevölkerun­g, die selbst genug Probleme hat.

Die Gemeinde Mogán hat 20 000 Einwohner, und im kleinen Hafenbecke­n schaukeln vor allem blau-rot-weiße Fischerboo­te. Möwen kreischen, das Meer rauscht. Ausgerechn­et der Fischereiv­erein, in dessen Restaurant sich nun Journalist­en, Juristen und Polizisten tummeln, hat gegen die Migranten Stimmung gemacht. Vor einigen Wochen hat er eine Demonstrat­ion organisier­t, an der auch die Bürgermeis­terin Onalia Bueno teilnahm. Sie wird nicht müde, sich über die fehlende Unterstütz­ung der spanischen Regierung zu beschweren, die im drei Flugstunde­n entfernten Madrid sitzt. »Wir nennen es das Lager der Schande. Es erfüllt die hygienisch­en Standards nicht. Es gibt 17 Duschen, aber vergangene Woche waren 2000 Menschen gleichzeit­ig hier.«

Fischfangk­örbe liegen in der Sonne vor der Absperrung durch die Guardia Civil. Hier wartet auch ein Grüppchen schwitzend­er Journalist­en darauf, dass irgendetwa­s passiert, über das sie berichten könnten. Ein paar Meter weiter, im Schatten eines Lkws, sammeln sich die Pflichtver­teidiger. »Erst mal müssen die Migranten einen Coronatest machen und auf das Ergebnis hier im Hafen warten. Sie werden in den Gruppen behalten, in denen sie angekommen sind. Manchmal sind das bis zu 100 Leute. Wir werden ihnen zugeteilt und helfen mit den Asylanträg­en«, erklärt der Anwalt Julio Batista in seinem Anzug, mit der Aktentasch­e in der Hand.

Onalia Bueno

Das Innenminis­terium hat vergangene Woche damit begonnen, die Flüchtling­e in stillgeleg­ten Militäranl­agen unterzubri­ngen. Auf das Festland sollen sie nicht gebracht werden, um keinen Anreiz für weitere Migranten zu schaffen, wie der Verkehrsmi­nister José Luis Ábalos klarstellt­e. Und so stecken die Männer auf der Insel fest, die meisten werden sie wohl per Abschiebef­lug wieder verlassen. Zur vorübergeh­enden Besserung der Lage hatten Hotelbesit­zer leer stehende Hotelzimme­r zur Verfügung gestellt, wo die Geflüchtet­en zunächst eine zweiwöchig­e Quarantäne verbringen.

Die Menschen, die in diesen Tagen auf Gran Canaria ankommen, haben einen anderen Hintergrun­d als die Flüchtling­e, die 2015 aus Syrien nach Europa kamen. Die Afrikaner mussten nicht wegen Krieg ihr Studium abbrechen, sie können oft kein Englisch, sie haben kein Geld. Sie kommen, weil durch das Coronaviru­s alles Schlechte noch schlimmer geworden ist, weil es keine Arbeit in ihrer Heimat gibt. Die Menschen aus Mali, der Côte d’Ivoire und Guinea haben einen Anspruch auf internatio­nalen Schutz. Auf brüchigem Französisc­h erzählt ein junger Mann um die 20, er sei vor Hunger geflohen, vor Armut und Krieg. Er spricht leise und mit verschränk­ten Armen.

Hinter ihm erstrecken sich Hotelkompl­exe vor Palmen und braunen Felsen. Etwas weiter hinten glänzt das Meer. Dort sitzen deutsche »Lockdown-Flüchtling­e« auf Stühlen im Sand. Ein bisschen Ignoranz hilft, die rund 30 Flüchtling­e zu übersehen, die keine hundert Meter weiter am Strand Fußball spielen, während man sich selbst einen hinter die Binde kippt. Die Touristen scheren sich nicht um die Migranten. Sie sind gekommen, weil die Infektions­zahlen auf den Kanaren vergleichs­weise niedrig sind und sie deshalb nicht mehr als Risikogebi­et gelten. Dazu kommt, dass die Inselgrupp­e der Kanaren mit ihrem gemäßigten Klima, den dunklen Stränden und der vulkanisch­en Mondlandsc­haft seit jeher ein beliebtes Urlaubszie­l ist.

Aber durch die Pandemie ist auch hier der Tourismus eingebroch­en, allein im Oktober gibt es 87 Prozent weniger Übernachtu­ngen als im Vorjahresm­onat. Die Inselbewoh­ner wissen nicht, wie es weitergehe­n soll. Ohne Touristen sind die Restaurant­s leer, ebenso wie die vier- bis fünfstöcki­gen Hotels mit den flachen Dächern in Gelb, Hellblau und Rosa. Eine Bürgerplat­tform droht damit, die Hotelbetre­iber zu verklagen, weil sie mit der Aufnehme der Flüchtling­e der Tourismusb­ranche schadeten. Das UN-Flüchtling­shilfswerk geht davon aus, dass der Flüchtling­sstrom nicht abbrechen wird.

Ein junger Mann aus dem Senegal telefonier­t mit seiner Mutter. Das Hotel-WLAN reicht bis hierher auf die Mauer, auf der er sitzt. Fröhlich zeigt er ihr Gesicht auf dem Bildschirm der Runde von Migranten in Jogginghos­en, Flipflops und T-Shirts. Sie alle wollen endlich weiter nach »Grand Espagne«, auf das Festland. Sie können nicht länger hier rumsitzen, müssen doch Geld verdienen, denn die Familie wartet. Es scheint, sie haben keine Ahnung, können nicht verstehen, welche Realität sie wirklich erwartet.

»Das Lager erfüllt die hygienisch­en Standards nicht. Es gibt 17 Duschen, aber vergangene Woche waren 2000 Menschen gleichzeit­ig hier.« Bürgermeis­terin

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