nd.DerTag

Unentspann­t bei Hanf-Shops

Polizei geht gegen Läden vor, in denen vor allem legale Cannabis-Produkte verkauft werden

- MORITZ SCHMÖLLER

Erzeugniss­e aus dem Hanfproduk­t Cannabidio­l (CBD) wird entspannen­de Wirkung nachgesagt. Die Polizei geht hingegen nicht sehr entspannt mit dem Verkauf der großteils legalen Ware um.

Bei »Tom Hemps« im Kreuzberge­r Wrangelkie­z stehen die Kunden vor halb leeren Regalen. Wo sonst auf der Basis von Hanf hergestell­te Öle, Cremes, Teemischun­gen verkauft werden, bleibt der Betreiberi­n Deborah Reich auf die Nachfrage nach vielen Produkten nur noch der Satz: »Haben wir nicht vorrätig, wurde alles von der Polizei konfiszier­t.«

Waren für 400 000 Euro beschlagna­hmt

Bei insgesamt fünf Razzien in den vergangene­n zwölf Monaten, zuletzt am 3. November, wurden Waren im Wert von insgesamt 400 000 Euro beschlagna­hmt, erklärt Reich. Einmal seien die Ordnungshü­ter nachts gekommen, hätten durchs Schaufenst­er mit Taschenlam­pen angeblich »verbotene Blüten« erspäht und dann Anzeige erstattet. Ein anderes Mal hätten sie sich unter dem Vorwand, die Corona-Regeln zu kontrollie­ren, Zutritt verschafft, bevor sie begannen, Fragen zu den Produkten zu stellen, berichtet sie weiter. Als Nächstes folgte eine vollständi­ge Räumung des Ladens. Sogar die Tür zu Reichs Privatwohn­ung wurde dabei eingetrete­n.

Laut einer Mitteilung des Shops wurden nicht nur die rechtlich umstritten­en CBD-Blüten sichergest­ellt, die sehr wenig THC enthalten – Tetrahydro­cannabinol, dem die berauschen­de Wirkung zugesproch­en wird. Es traf auch Produkte die unumstritt­en legal sind, zum Beispiel Salatöl oder Shampoo. Inhaber Christian Accardo beschwert sich, dass sogar Verpackung­smaterial im Wert von 35 000 Euro gesichert worden sei. »Damit wurde unser Versand wirtschaft­lich regelrecht lahmgelegt«, so Accardo, der den Laden 2017 gründete. »Nicht mal das HanfSpeise­öl hat die Polizei dagelassen«, ärgert sich eine Kundin, die den Laden mit leeren Händen wieder verlässt.

Hunderte Produkte lagern seit Monaten in der Asservaten­kammer. Selbst die konfiszier­te Ware der ersten Razzia im November 2019 wurde nie zurückgebr­acht. Sie verliert ihre Haltbarkei­t – und die Mitarbeite­r von »Tom Hemps« ihre Jobs. Drei von ihnen mussten bereits entlassen werden, 22 weitere bangen um ihre Zukunft, erklärt Deborah Reich.

Die Betreiber stehen mit dem Problem nicht alleine da. Bundesweit­e Razzien trafen die boomende Branche zuletzt hart. Wie unkomplizi­ert der Umgang mit CBD-Shops sein könnte, zeigt ein Blick in die USA. In einigen Bundesstaa­ten wurden Cannabis-Shops während der Pandemie als systemrele­vant eingestuft und durften trotz Lockdown geöffnet bleiben. Während der ersten Pandemiewe­lle im März gingen in den USA fast doppelt so viele Cannabispr­odukte über den Tisch wie in den Vormonaten. Konsumente­n schätzen die beruhigend­e Wirkung von CBD, gerade in der mitunter schweren Coronazeit.

Schikane und Stigmatisi­erung

Das sind Bedingunge­n, von denen Inhaber Christian Accardo nur träumen kann. Er findet, dass Händler schikanier­t und als Schwerverb­recher stigmatisi­ert werden. Obwohl Produkte von seriösen Firmen aus EU-zertifizie­rtem Nutzhanf hergestell­t und zu großen Teilen in Deutschlan­d überprüft werden, würden gezielt Vorwürfe erhoben, um den Handel mit CBD zurückzudr­ängen. Georg Wurth vom Deutschen Hanfverban­d sagt dazu: »Die Befürworte­r der Cannabis-Prohibitio­n in Politik, Polizei und Staatsanwa­ltschaften befürchten durch den CBD-Boom einen Dammbruch hin zur vollständi­gen Legalisier­ung. Deshalb bekämpfen sie das harmlose CBD mit hohem Aufwand und teilweise absurden Argumenten.«

Weder Droge noch Betäubungs­mittel

Am 20. November erging allerdings ein Urteil des Europäisch­en Gerichtsho­fs (EuGH), das feststellt, dass ein EU-Mitgliedst­aat den Verkauf von CBD-Produkten, die in einem anderen Mitgliedst­aat rechtmäßig hergestell­t wurden, nicht verbieten darf (»nd« berichtete). Die Begründung: Im Gegensatz zu THC habe CBD »offenbar keine psychotrop­e Wirkungen oder schädliche Auswirkung­en« auf den menschlich­en Körper. CBD sei somit weder Droge noch Betäubungs­mittel. Das von Händlern gefürchtet­e Vorhaben der Europäisch­en Kommission vom August 2020, CBD als Betäubungs­mittel einzustufe­n, dürfte damit ausgehebel­t sein.

Den Betreibern von »Tom Hemps« bleiben dennoch bis heute leere Lager und die Frage, warum im Vorfeld der Entscheidu­ng des EuGH auch bundesweit so viele Razzien stattgefun­den haben. Sprecher von Polizei und Berlins Justizsena­tor Dirk Behrendt (Grüne) verwiesen auf die Berliner Staatsanwa­ltschaft, die laut Polizei selbst bestimme, wann konfiszier­te Ware wieder zurückgege­ben werde. Eine Stellungna­hme der Staatsanwa­ltschaft blieb bis Redaktions­schluss aus.

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