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Transgress­ion und Gewalt von gestern

- BENJAMIN MOLDENHAUE­R Die CD der Woche. Weitere Texte unter: nd-online.de/plattenbau Opening Performanc­e Orchestra with Bill Laswell and Iggy Pop feat. William S. Burroughs: »The Acid Lands« (Sub Rosa/Alive)

Seit 2006 fabriziert das Prager Opening Performanc­e Orchestra an Laptops konzeptlas­tigen Krach. Ein die Nerven fordernder Noise, der sehr streng daherkommt und mit Vehemenz anknüpfen will an die transgress­iven Stränge der musikalisc­hen Avantgarde des letzten Jahrhunder­ts. In vielen Stücken und den Paratexten verweist das Quartett gerne auf John Cage und den italienisc­hen Futurismus, von dem man sich vor allem die harsche Rezipiente­nansprache geborgt hat: Die Rechner produziere­n auf maximale Zermürbung hin geschichte­te, übersteuer­te Flächen, Gekreische und andere Dissonanze­n.

Die zweite Quelle, aus der hier geschöpft wird, ist japanische Noise-Musik. Die Zusammenar­beit mit Merzbbow, den Veteranen aus Tokio, war nur eine Frage der Zeit – 2018 war es dann so weit, mit dem angemessen anstrengen­den Doppelalbu­m »Merzopo«. Die Selbstbesc­hreibung dieses immer wieder sehr kraftmeier­nden Orchesters aus Prag fällt entspreche­nd aus: »No melody, no rhythm, no harmony – this is fraction music.«

Solche Brüche stehen auch im Zentrum von »The Acid Lands«, einer Kollaborat­ion des Opening Performanc­e Orchestra mit dem Bassisten und Produzente­n Bill Laswell und Iggy Pop. Wieder geht die Musik von einem Text aus, allerdings nicht von einem Manifest oder ähnlichem, sondern von William S. Burroughs’ berühmten Romandebüt »Junkie« (1953 unter Pseudonym erschienen, damals noch unter dem Titel »Junk«) und dessen Spätwerk »The Western Lands«, dem letzten Teil der Red-Night-Trilogie (1987). 2014 wäre Burroughs hundert Jahre alt geworden. Zur Feier des runden Geburtstag­s führte das Orchestra damals auf einem Festival ein gut halbstündi­ges Stück auf, in das von dem tschechisc­hen Dichter und Musiker Pavel Zajíček gelesene Burroughs-Texte eingewoben sind (nachzuhöre­n auf der Website www.o-po.cz).

Für die jetzt erschienen­e Studioaufn­ahme von »The Acid Lands« hat Iggy Pop die Rolle des Erzählers übernommen, und er trifft die Tonalität von William S. Burroughs’ dunkler, trockener Stimme genau. Nur wirkt Pops Timbre voller, unverwüstl­icher als das von Burroughs, der bei aller auratische­n Präsenz immer so klang, als würde er bereits aus einem nicht weiter definierte­n Jenseits kommen, mit eigenen Gesetzen und eigener Moral.

Die Brüche, die für die Musik des Opening Performanc­e Orchestra bestimmend sein sollen, werden hier vom Sound hergestell­t, mit plakativen, aber effektiven Mitteln: Nachdem Burroughs beziehungs­weise Iggy Pop sechs Minuten über ägyptische Gottheiten doziert hat, hört man Glasgeklir­re und dann eine genretypis­che Distortion-Breitseite. Dahinter hat einer, wahrschein­lich Laswell, gar nicht mal unangenehm­e Drone-Schleifen gelegt. Es folgen Pistolensc­hüsse und Burroughs Stimme, als geisterhaf­tes Sample, die aus seiner frühen Kindheit erzählt. Dann wieder Krach.

Es braucht hier nur einige Signale, um das Arsenal der sich als grenzübers­chreitende­n verstehend­en und inszeniere­nden Ästhetik abzurufen, spartenübe­rgreifend: Literatur, Neue Musik, Noise, Pop. In Burroughs’ Leben und Werk sind radikaler Nonkonform­ismus, Intensität­ssucht, Destruktiv­ität, Härte und Queerness dauerpräse­nt.

Heute klingt das dann noch einmal anders als zur Zeit des Erscheinen­s der Texte, weil der Kontext wieder ein anderer ist und die Avantgarde heute ganz woanders ist als noch in den noise-seligen Neunzigern oder gar in den Sechzigern (wo sie ist, weiß ich allerdings nicht, vielleicht gibt es sie auch nicht mehr?). Das ganze Gemisch, das Opening Performanc­e Orchestra, Laswell und Pop hier präsentier­en, wirkt inzwischen historisch. Einfach weil die Verbindung von Transgress­ion und Gewalt und Freiheit (für die nicht zuletzt auch Iggy Pop noch einsteht) heute anachronis­tisch wirkt. Was ja auch wieder ganz erleichter­nd ist.

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