nd.DerTag

Rinde, Splitter und Späne

Über das Holzhacken, das Heizen und die Sonne, jetzt, da es kalt wird

- LEONHARD SEIDL

Während meiner Turmschrei­berschaft in Abenberg residierte ich, sofern ich nicht im Ostturm arbeitete oder die Umgebung erkundete, in einem kleinen Häuschen mit Garten im Schatten der Burg. Das geduckte Wohnzimmer, die angrenzend­e Küche und den ersten Stock heizte ich mit in einem kleinen Kaminofen in der Stube. Dafür musste ich Holz hacken. Das Häuschen besaß lediglich eine Eingangs- und Badtür, Stube, Küche und erster Stock lagen offen.

Das Holz hakte ich in einem Anbau, in dem früher Ziegen lebten. Zu Beginn fiel es mir schwer, mit der Klinge des kleinen Beils den richtigen Winkel zu treffen. Jeder Axthieb und der damit einhergehe­nde Schlag auf den Hackstock, dröhnte von den Wänden wider. Noch durchdring­ender schrillten die Schläge des Schmiedeha­mmers auf die flache Seite des Beils, wenn es sich verklemmte. Irgendwann flogen die gespaltene­n Scheite nur so um mich herum, verteilten sich um den Hackstock: Rinde, Splitter, Späne, zerfaserte Holzscheit­e, rankes und eckiges Feuerholz.

Ein besonders dickes Scheit hob ich mir bis zum Schluss auf. Ich holte aus, die Klinge fuhr in den Klotz, verklemmte sich. Ich hob das Beil und damit den Klotz erneut an. Donnerte Beil und Scheit auf den Bock; das Holz knackste und splitterte. Aber der Hieb reicht nicht aus, um es gänzlich zu teilen. Also nahm ich den Schmiedeha­mmer, schlug auf das flache Ende der Axt und trieb die Klinge weiter in den Holzspalt; die Schläge klirrten grell von den engen Wänden wider. Beim dritten Schlag zerbarst das Scheit, die Holzschwar­te

löste sich und krachte zu Boden. Zu meinem Erstaunen hatte ich einen dunkelbrau­nen Ast freigelegt, dessen Ende auseinande­rklaffte. Der wiederum dem verblieben­en Holz entwachsen war und sich von den Fasern des hellen Scheits abhob. Um ihn herum bog sich kreisförmi­g das hellbraune Holz. Daraus entsprang er als Ast, mit seinen weißen Pilzzeichn­ungen entlang der Faserung,

aus dem Kernholz, dem er seine Härte verdankte. Freudig erregt präsentier­e ich es meiner Familie; wir spannen Fantasiefi­guren von Fischmaul bis Kleiderhak­en.

Später schürte ich das Feuer an. Auch mit der Holzschwar­te, in die der Ast eingedrung­en war. Die Wärme schlich aus der Stube, durch den Türstock, in die Küche und weiter die Holztreppe hinauf. Den Ast wiederum, der gleich einem (sprach-)künstleris­chen, ästhetisch­en Werk im großen Ganzen verborgen gewesen war und erst enthüllt werden musste, stellte ich auf das Fensterbre­tt.

Zu Beginn wissen wir nicht, was wir da vor uns haben, was entstehen wird. Wenn wir es zulassen, kann sich unsere Kreativitä­t wie die Wärme des Feuers, wie ein »Denken ohne Geländer« (Hannah Arendt) in uns und in unserer Welt ausbreiten, uns neue Sichtweise­n ermögliche­n.

Als die Tage dann wärmer wurden, saß ich vor Sonnenunte­rgang barfuß, in Shirt und kurzer Hose, auf einer Bank im Garten, zwischen Pfingstros­en und Thymian, umgeben von Amselgezwi­tscher und Grillenzir­pen. Die breitgefäc­herte Buche und die Apfelbäume des Nachbarn verdeckten die Sicht auf das Hauptgebäu­de der Burg zur Hälfte, Schatten hatte sich über den Garten gelegt. Mein Blick wanderte in den Himmel, zu den segelnden

Schwalben und kreisenden Mauersegle­rn. Ich legte meinen Kopf weiter zurück in den Nacken, eine auch körperlich spürbare, ungewöhnli­che Kopf- und Sehhaltung. Ich fühlte mich wie ein Kind, das in der Wiese liegt und in den Himmel schaut, ohne dabei auf die Zeit zu achten. Und da entdeckte ich es: Die Sonne strahlte auf die Flügel der Schwalben und Mauersegle­r, wenn sie in ihrem Flug, in einem gewissen Winkel schwenkten; obwohl hier unten bereits Schatten herrschte.

Ein Wohlgefühl durchström­te mich jedes Mal, wenn sie ihre langen, schmalen Flügel im Gleitflug derart lenkten und in der Sonne erstrahlte­n. Wenn die letzten Strahlen des Tages, samt ihrer Wärme, ihrer Helligkeit und ihrem Schein, ihren Weg zu mir fanden. Später gesellte sich mein neunjährig­er Sohn zu mir, entdeckte das Naturschau­spiel, ohne, dass ich ihn darauf hinwies und sagte: »Die Flügel der Mauersegle­r leuchten golden.« Die Schwalben und Mauersegle­r trugen die Sonne zu uns herunter, obgleich sie uns nicht mehr schien.

Zu Beginn fiel es mir schwer, mit der Klinge des kleinen Beils den richtigen Winkel zu treffen. Jeder Axthieb auf den Hackstock dröhnte von den Wänden wider.

Leonhard Seidl ist Schriftste­ller und lebt in Fürth. Dieses Jahr war er Turmschrei­ber in Abenberg, Mittelfran­ken. Nächste Woche erscheint sein Roman »Der falsche Schah« im Volk-Verlag.

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