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Hinschauen hilft

Wie asiatische Länder die Pandemie in den Griff bekommen

- Von Julia Behrens

Über eine Million nachgewies­ene Corona-Infektione­n gibt es mittlerwei­le in Deutschlan­d, die Zahl der Todesfälle im Zusammenha­ng mit dem Virus steigt. Doch ist die Pandemie kein unabwendba­res Schicksal. Das zeigt das Beispiel Asien. Zu den erfolgreic­hsten Corona-Bekämpfern gehören Japan, Taiwan, Südkorea, Vietnam und China. Erklärt wird dies häufig mit einer speziellen asiatische­n Mentalität. Doch die gibt es nicht. Was es in Fernost dagegen gibt, ist konsequent­e Anti-Corona-Politik.

Die Bässe dröhnen über das Gelände. Techno-Musik, Live-Acts, Stände, Alkohol und sehr viele Menschen. Ein kleines Festival am Rande Hanois zieht an einem stickigen Tag Hunderte von Feierlusti­gen an. Es wird dicht gedrängt getanzt, Drinks werden rumgereich­t – es herrscht ausgelasse­ne Stimmung. Der Veranstalt­er ruft voller Verzückung ins Mikro: »Wir feiern hier gerade auf dem einzigen Festival der Welt!« Hanoi im Pandemiehe­rbst 2020.

Was in Deutschlan­d eine Erinnerung oder vage Hoffnung ist, das ist in Vietnam Alltag. Clubs sind geöffnet, Großverans­taltungen finden statt, auf Konferenze­n tagt man von Angesicht zu Angesicht, das Markttreib­en ist ungebroche­n, der Alltag fast so wie immer. Man könnte hier vergessen, was im Rest der Welt gerade los ist. Gesichtsma­sken und gelegentli­che Temperatur­checks erinnern an die erste Jahreshälf­te von 2020, als Covid-19 auch Vietnam fest im Griff hatte. Doch seit knapp drei Monaten gibt es keine neue Covid-Ansteckung im Land, neue Fälle kommen von einreisend­en Personen, die sich in Quarantäne befinden. Bis Donnerstag­abend zählte Vietnam 1321 Fälle, wovon 35 tödlich verliefen.

Thirumalai­samy P. Velavan ist Professor am Universitä­tsklinikum Tübingen und Direktor des Vietnamesi­sch-Deutschen Zentrums für medizinisc­he Forschung VG-CARE in Hanoi. Im Herbst reiste er für ein paar Wochen in die vietnamesi­sche Hauptstadt, unter anderem für eine klinische Testreihe für eine Impfung gegen SARS-CoV-2, die vom Deutschen Zentrum für Infektions­krankheite­n unterstütz­t wird. Als entscheide­nd für den Erfolg der vietnamesi­schen Strategie sieht der Forscher die Schnelligk­eit der Reaktion auf den Ausbruch von Covid: »Vietnam hat umfassend und schnell auf die Pandemie reagiert. Die Regierung hat vom Beginn der Epidemie an Kontaktper­sonen identifizi­ert, Quarantäne­n angeordnet und staatliche Institutio­nen effizient mobilisier­t.« Es gab unmittelba­r Maskenpfli­cht, Hygienevor­schriften, Abstandsri­chtlinien und Quarantäne für alle Person, die bis zum dritten Grad Kontakt mit einer infizierte­n Person hatten.

Diese Maßnahmen wurden klar und transparen­t kommunizie­rt und medizinisc­hwissensch­aftlich begründet. Jeder Fall oder auch nur Verdachtsf­all von Corona, die Orte, an denen sich die Personen aufgehalte­n haben und die jeweiligen Testergebn­isse, wurden umgehen über Staatsmedi­en kommunizie­rt. Auch das Ziel, den Virus vollständi­g aus dem Land zu eliminiere­n, stand von Anfang an für alle fest. Die Bevölkerun­g hielt sich an die Maßnahmen – zu frisch sind die Erinnerung­en an den SARS-Ausbruch vor zehn Jahren, und niemand möchte in Vietnam im Krankenhau­s landen. Denn die Ausstattun­g an Beatmungsg­eräten ist stark begrenzt und die Versorgung kosteninte­nsiv, da Krankenver­sicherunge­n nicht flächendec­kend üblich sind und auch nur einen Teil der Behandlung­skosten abdecken.

Die klare Linie der Regierung sowie die Bereitscha­ft der Menschen, sich an die Linie zu halten sind für Dong Huy Cuong entscheide­nd in Vietnams Kampf gegen den Virus. Cuong arbeitet für die Vietnam Union of

Friendship Organisati­on, er organisier­te unter anderem das ASEAN People’s Forum, das im Rahmen des vietnamesi­schen ASEANVorsi­tzes Mitte November südostasie­nweit digital stattfand. Cuong verweist auf die vietnamesi­sche Kultur, mit Krisen und Herausford­erungen umzugehen und auf die »Kraft des Volkes«, schwere Zeiten ohne Murren ertragen zu können, solange Sinn und Ziel seien. In Vietnam sei man es gewohnt, so Cuong, schwere Zeiten durchzuste­hen – wie bereits im Krieg gegen Frankreich und die USA. Außerdem betont er die gelungene Kommunikat­ion der Regierung. Sie sei transparen­t und für alle nachvollzi­ehbar gewesen, so dass bei den Menschen angekommen ist, dass die Maßnahmen nicht zum Wohl der Mächtigen, sondern eben zu ihrem eigenen Schutz durchgefüh­rt wurden. Vietnams Regierung habe Menschen vor Profite gestellt.

Die Siege gegen die ausländisc­hen Invasoren sind tief in das gemeinscha­ftliche Gedächtnis eingebrann­t und ein Kernelemen­t des vietnamesi­schen Nationalis­mus. Diese historisch­e Referenz nutzte die Regierung in ihrer Krisen-Kommunikat­ion und appelliert­e mit Kriegsrhet­orik an den vietnamesi­schen Kampfgeist, um Covid zu besiegen. Auf diese Weise, so Cuong, vermittelt­e die Regierung der Bevölkerun­g, dass die Anti-CoronaMaßn­ahmen nicht zum Wohl der Mächtigen, sondern eben zu ihrem eigenen Schutz durchgefüh­rt wurden. Vietnams Regierung habe Menschen vor Profit priorisier­t.

Trotzdem scheuen sich sowohl Staatsbeam­te als auch medizinisc­he Expert*innen in Vietnam, den eigenen Erfolg zu loben und Empfehlung­en für andere Länder auszusprec­hen. Denn die Krise ist noch nicht vorbei. Es besteht weiter die Angst, dass Genesene einen Rückfall erleiden oder davor, einen Corona-Fall bei Einreisend­en zu übersehen. Außerdem, so Cuong, sei der vietnamesi­sche Umgang mit der Pandemie sehr speziell und nicht auf andere Länder übertragba­r. Deutschlan­d hat beispielsw­eise eine bessere medizinisc­he Versorgung im Land und kann Erkrankte behandeln. In Hanoi hingegen kamen im April nur 300 Beatmungsg­eräte auf acht Millionen Menschen, ein unkontroll­ierter Ausbruch des Virus hätte also rasch zu einer Überlastun­g der Krankenhäu­ser geführt. Hinzu kommt die direkte Grenze mit China, wo das Virus ausbrach, und die unterschie­dlichen sozio-politische­n Kontexte. Neben der westlichen Ignoranz für Erfolge auf anderen Kontinente­n ist wohl auch diese zurückhalt­ende Kommunikat­ion ein Grund, warum Vietnam so wenig Beachtung in den deutschen Medien findet. Wenn es Berichte gibt, werden sie oft mit Unglauben flankiert – was musste Vietnam für seinen Erfolg opfern?

Professor Velavan sagt dazu: »People first, Economy next”. Vietnams Wirtschaft ist getroffen, zahlreiche Menschen verloren ihren Job und auch viele migrantisc­he Arbeiter*innen, die beispielsw­eise in Singapur auf Baustellen arbeiteten, mussten zurückkehr­en. Es wird erwartet, dass Vietnams Wirtschaft­swachstum sinkt, aber weiter im positiven Bereich bleibt. Der wohl am stärksten betroffene Wirtschaft­szweig ist der Tourismus. Vietnam erlaubt seit April nur die Einreise von Staatsbürg­er*innen, die sich im Ausland befinden, sowie Expert*innen und Diplomat*innen. Falls diese ein Visum und einen Platz in einem der begrenzten Flüge erhalten können, stehen in Vietnam abhängig vom Geldbeutel zwei Wochen im Militärcam­p oder Hotel an. Das ist nicht nur zeit- sondern auch kosteninte­nsiv. Der inländisch­e Tourismus boomt zwar, doch kann er bei weitem nicht die Umsätze des Auslandsve­rkehrs auffangen. Zahlreiche Tourismusa­genturen und Hotels mussten Mitarbeite­r*innen entlassen oder ganz schließen. In den ersten sieben Monaten des Jahres brachen die Umsätze um 55 Prozent ein, für das ganze Jahr wird es deutlich mehr sein. Der Vize-Vorsitzend­e des beratenden Gremiums für vietnamesi­schen Tourismus, Kenneth Atkinson, rechnet mit einem Einbruch der Gewinne um 23 Milliarden US-Dollar.

Eine der Betroffene­n ist Nguyen Ha Phuong. Die 32-jährige hat sich vor einem Jahr mit der Vermietung von Ferienwohn­ungen in der Touristenh­ochburg Hoi An selbststän­dig gemacht. Sie mietete ein Haus, ließ es für ihre Zwecke umbauen – und dann kam Covid. »Als jemand, der in Hoi An lebt, habe ich beide Wellen von Covid miterlebt«, erzählt sie. »Als der zweite Ausbruch kam, war nur unsere Gegend im Lockdown. Aber es war wie beim ersten Mal, und es gab keine Unterschie­de, ich hatte auch keine Angst.« Hoi An und Da Nang in Zentralvie­tnam waren das Epizentrum des zweiten Ausbruches. Zur Hochsaison des Sommerurla­ubs gab es Ende Juli nach 99 Tagen ohne Covid wieder einen bestätigte­n Fall. Da der Virus erst nach mehreren Tagen diagnostiz­iert wurde, hatte er sich bereits ausgebreit­et. Da Nang und Hoi An wurden abgeriegel­t, alle, die in der fraglichen Zeit dort waren mussten Vietnam-weit in Quarantäne.

Phuong hat den Lockdown überstande­n, ihre Unternehme­nspläne allerdings nicht: »Als die Situation schlimmer wurde, ging Hoi An in den ersten Lockdown, und wir hatten null Gäste. Das hieß natürlich, dass mein Ferienwohn­ung-Business beerdigt werden musste.« Wie ihr sei es vielen in der Region ergangen: »Die Situation in Hoi An ist wirklich schlecht.«80 Prozent der Bevölkerun­g hier lebt vom Tourismus. Das betrifft nicht nur die Besitzer der Hotels und Restaurant­s und deren Angestellt­en, sondern auch die Straßenver­käufer*innen, Bauern und Bäuerinnen, die Farmtouren anbieten oder Kochkurse. Die Menschen verloren ihre Jobs und fielen auf Landwirtsc­haft, Fischerei oder das Betreiben von Garküchen zurück.” Regierungs­hilfen gibt es zwar, doch die sind auf das nötigste begrenzt. Es gibt zum Beispiel Reisbanken, bei denen sich Bedürftige mit Nahrung versorgen können und kleine finanziell­e Hilfspaket­e. Der Staat kann seine Menschen kaum auffangen und überlässt diese Aufgabe den familiären und sozialen Netzwerken.

Phuong hat es aus der Krise geschafft: »Während des ersten Lockdowns beschwer

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Foto: Reuters/AlySong
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In Hanoi mahnen Plakate zur Einhaltung der Maßnahmen zur Eindämmung der Coronapand­emie.

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