nd.DerTag

Ein Mal Klassismus bitte, aber ohne Klasse

-

Unter dem Schlagwort »Klassismus« diskutiere­n Linke mittlerwei­le Klasse als Diskrimini­erungsverh­ältnis. Auch im jüngst erschienen­en Sammelband »Solidarisc­h gegen Klassismus – organisier­en, intervenie­ren, umverteile­n« aus dem Unrast-Verlag geht es viel um verweigert­e Chancen, unmögliche Klassenrei­sen und Linke, die anderen mit ihren bürgerlich­en Manieren das Leben schwer machen. Die in diesem neueren Diskurs entstanden­en Schriften helfen Betroffene­n, ihre Lebenserfa­hrungen besser zu begreifen und sich individuel­l und im Bündnis mit anderen zu widersetze­n. Anderersei­ts mindert das auf Diskrimini­erung und damit auf Moral fokussiere­nde Nachdenken über Klassismus die Chancen, den tatsächlic­hen Klassencha­rakter der Menschen zu verstehen. Diese teilen mehr als ihre relative Ausgeschlo­ssenheit aus der bürgerlich­en Gesellscha­ft.

Es ist ja wahr: Linke Parteien und die Zivilgesel­lschaft sind voll von Bürger*innenkinde­rn, die subtil jeden auf den Platz zurück verweisen, der mit der falschen Sprache, dem falschen Habitus oder der falschen Kleidung aus der Reihe tanzt. So produziere­n sie das alltäglich­e Paradox, dass eine Linke, die sich der Emanzipati­on der Deklassier­ten mehr oder weniger stark verschrieb­en hat, diese Deklassier­ung fortführt. Und auch an den Universitä­ten, den großen Katalysato­ren des Aufstiegs an der Karrieresp­rossenwand, stoßen Arbeiter*innenkinde­r schnell an kaum greifbare Grenzen. Viele von ihnen scheitern schließlic­h, im Zweifelsfa­ll trotz besserer Noten. Ihnen fehlt die nötige Selbstvers­tändlichke­it im Umgang mit Leuten, die ein »Dr.« vor ihrem Namen führen, und im Small-Talk, mit dem wissenscha­ftliche und geschäftli­che Bündnisse geschmiede­t, Seilschaft­en geknüpft werden.

»Klassismus« wird verstanden als Diskrimini­erung aufgrund der Klassenbio­grafie, in der das aktuelle Einkommen genau so steckt wie die Erfahrunge­n und Prägungen der Vergangenh­eit. Und natürlich dienen Erzählunge­n wie »vom Tellerwäsc­her zum Millionär« vor allem der Sicherung des ungleichen Status Quo, nicht dazu, dass breitere Schichten die Armut verlassen könnten, in der sie gehalten werden. Das Beispiel der unglaublic­h wenigen Menschen, die solche Aufstiege schaffen, verdeutlic­ht im Gegenteil den »unten« Verblieben­en noch, dass ihnen eben Fleiß oder Talent fehlten, ihre Misere selbst verschulde­t sei.

Aber: Marx, auf den die Rede von der »Klasse« zurückgeht, taucht im Diskurs nur zwischen den Zeilen auf. Eine Auseinande­rsetzung mit seinem Werk wird auffällig gemieden. Dabei könnte man in den 150 Jahre alten Schriften lernen, dass Klasse etwas handfester­es, blutigeres ist als bloße Diskrimini­erung: zunächst ist die Enteignung der Arbeiter*innen von ihren Subsistenz­mitteln militärisc­h vollzogen worden, und zwar auf britischem Ackerland ebenso wie als Kolonisier­ung und Versklavun­g ganzer Kontinente. »Ursprüngli­che Akkumulati­on« nennt Marx das. Auf diese brutale Schicht der Geschichte der Klassenbil­dung schließlic­h legte sich der nun schon hunderte Jahre währende, bewusstlos­e Prozess der rastlosen Akkumulati­on von Kapital »aus sich selbst heraus«.

Wenn es die Welt der Reichtümer in Warenform selber ist, die zur fortwähren­den Enteignung durch Lohnarbeit antreibt, versagen die Kategorien der Moral. Dass der Besitzlose den selben Preis für Brot zahlen muss wie die Reiche, ist ja perfiderwe­ise gar keine Diskrimini­erung, sondern eine Gleichbeha­ndlung von Ungleichen. Den Klassenkam­pf wird uns darum kein Antidiskri­minierungs­büro abnehmen.

 ??  ?? Jeja nervt
Jeja Klein ist eine dieser Gender-Personen aus dem Internet und nörgelt einmal die Woche an Kultur und Politik herum. dasND.de/jejanervt
Jeja nervt Jeja Klein ist eine dieser Gender-Personen aus dem Internet und nörgelt einmal die Woche an Kultur und Politik herum. dasND.de/jejanervt

Newspapers in German

Newspapers from Germany