nd.DerTag

Linienbus nach Buchenwald

Die Geschichte des KZ bei Weimar in drei Etappen.

- Von Velten Schäfer

Der Tag nach dem Anschlag auf Hitler im Münchner Bürgerbräu­keller wurde in Buchenwald zu einer Zäsur. Der Attentäter Georg Elser, noch vor der Explosion in Konstanz beim versuchten Grenzübert­ritt aufgegriff­en, war zwar kein Jude. Doch nahm die SS am 9. November 1939 ihre Rache gezielt an jüdischen Insassen. 21 von diesen, die meisten noch jung, wurden herausgegr­iffen. Man ließ sie vom Lagertor aus in Richtung des Steinbruch­s marschiere­n, in dem viele Häftlinge arbeiten mussten. Ohne Vorwarnung wurden sie hinterrück­s erschossen. Das war damals, schreibt der Historiker Michael Löffelsend­er, selbst für KZ-Verhältnis­se »beispiello­s«: »Nie zuvor hatte die SS in einem Konzentrat­ionslager so viele Menschen am helllichte­n Tag ermordet – und dies in Eigenregie, ohne Befehl ›von oben‹«. Die anderen jüdischen Insassen wurden kollektiv mitbestraf­t. Tagelang sperrte man sie hungernd in die Baracken.

Über die KZ und auch über Buchenwald ist schon viel geschriebe­n worden. Oft meint man, schon »alles« zu wissen. Die knappe Nahaufnahm­e des Lagers bei Weimar, die der Gedenkstät­tenmitarbe­iter Löffelsend­er jetzt vorlegt, mag indes vielen zeigen, dass dem nicht ganz so ist – und eignet sich gegebenenf­alls zur Abhilfe. Löffelsend­er beleuchtet nicht nur die Geschichte Buchenwald­s in drei Etappen, sondern ordnet sie auch in das Gesamtsyst­em der Lager ein. »Buchenwald war 1938 etwas ganz anderes als im Sommer 1939 und wieder etwas anderes nach Kriegsausb­ruch; es wechselte sein Gesicht noch mehrere Male«: Dieser Satz des Häftlings Benedikt Kautsky – später stellvertr­etender Generaldir­ektor des österreich­ischen Geldinstit­uts Creditanst­altBankver­ein – organisier­t den Aufbau der Broschüre.

Das im Juli 1937 in Betrieb genommene »K.L. Buchenwald« zählt zur zweiten Generation des Lagersyste­ms. Zunächst hatte dieses der Ausschaltu­ng der Opposition gedient. Doch bei den Lagern der späteren 1930er stand bereits eine Reinigung des sogenannte­n Volkskörpe­rs von »Gemeinscha­ftsfremden« im Vordergrun­d, die keineswegs opposition­ell aktiv gewesen sein mussten. So wurde die Zahl der als »politisch« markierten Buchenwald­insassen von »Berufsverb­rechern«, »Bibelforsc­hern« – Zeugen Jehovas –, »Homosexuel­len«, »Asozialen« – darunter Sinti und Roma sowie Jenische – und Juden übertoffen. Anhand des Schicksals der nach den Novemberpo­gromen von 1938 verhaftete­n Juden lässt sich jenes frühere Buchenwald von späteren Entwicklun­gen abgrenzen: Zwar erlitten diese »Aktionsjud­en« Gewalt, Demütigung und Willkür; etwa 250 kamen im Lager ums Leben. Doch war ihre Haft meistens kurz. Durch den Terror sollten sie »dazu gezwungen werden, ihren Besitz aufzugeben und so rasch wie möglich zu emigrieren«.

Unter dem Titel »Krieg und Verbrechen« beschreibt Löffelsend­er die Jahre 1939 bis 1942 als eine zweite Phase des Lagers. Die eingangs erwähnte »Racheaktio­n« nach dem Attentat im Bürgerbräu­keller steht exemplaris­ch für die Eskalation des Terrors nach Kriegsbegi­nn. 1939 wurden bestimmte Gruppen – zunächst Polen, an denen sich die Rache für den sogenannte­n Bromberger Blutsonnta­g austobte sowie aus Wien verschlepp­te Juden – in Sonderbere­ichen vor aller Augen dem Sterben durch Hunger, Kälte und Krankheit überlassen. Es folgte die »Aktion 14f13«: Im Frühjahr 1941 wurde ein planmäßige­r Massenmord an Invaliden und Kranken verübt, im Herbst traf eine zweite Welle 384 jüdische Häftlinge. Bis 1943 wurden infolge des »Kommissarb­efehls« 8000 sowjetisch­e Kriegsgefa­ngene erschossen.

Die Jahre 1943 und 1944 stellt Löffelsend­er unter Goebbels’ Parole vom »totalen Krieg«. Bestimmt war diese dritte Phase von einer kriegswirt­schaftlich­en Ökonomisie­rung des Schreckens. Karl Otto Koch, der korrupte, willkürlic­he und brutale Lagerchef – zwischenze­itlich tatsächlic­h der Bereicheru­ng angeklagt – setzte sein Treiben in Majdanek fort. In Buchenwald übernahm Hermann Pister mit einem »buchhalter­lich-planenden Führungsst­il«. Er verwandelt­e das Lager in einen Zwangsarbe­itskraft-Überlassun­gskonzern mit am Ende 89, teils weit entfernten Außenlager­n. Zugleich blieb Buchenwald, obwohl es nicht zu den Vernichtun­gslagern im besetzten Polen zu zählen ist, eine Tötungsmas­chine: Hatten – ermordete sowjetisch­e Kriegsgefa­ngene nicht eingerechn­et – 1942 insgesamt 3049 Häftlinge ihr Leben verloren, waren es 1944 bereits 9715. Besonders die Bedingunge­n in den Außenlager­n, für die Mittelbau Dora exemplaris­ch stehen mag, »führten zu einem steilen Anstieg der Toten«.

So sinnvoll es ist, die Geschichte von Buchenwald zu periodisie­ren, so gewiss ist anderersei­ts eine Konstante: Zwischen Weimar und dem Lager, das 1938 als Stadtteil Buchenwald eingemeind­et und 1939 in das städtische Linienbusn­etz einbezogen wurde, bestand eine enge Beziehung. Eine SS-Fußballman­nschaft spielte in der regulären Liga, das Deutsche Nationalth­eater gab Sondervors­tellungen im Lager. Und als Kulturkrei­se vor der Eröffnung gegen den eigentlich vorgesehen­en Namen »K.L. Ettersberg« protestier­ten, weil dieser Berg eng mit Goethes Werk verbunden ist, wurde dem rasch stattgegeb­en. So dementiert schon der Name des Lagers spätere Legenden, man habe von alledem nicht viel gewusst.

Michael Löffelsend­er: Das KZ Buchenwald 1937 bis 1945. 125 S., brosch. Erhältlich bei der Landeszent­rale für politische Bildung Thüringen.

Newspapers in German

Newspapers from Germany