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Hygienekon­zepte für die Schublade

Der organisier­te Sport bleibt pandemiebe­dingt geschlosse­n. Dabei zeigten die Vereine viel Flexibilit­ät.

- Von Oliver Kern

Marco Baldi fällt etwas aus dem Rahmen. Ist derzeit von Managern im Spitzenspo­rt zu lesen, dann fast nur ihre Beschwerde­n, Sorgen und Warnungen vor Insolvenze­n oder gar dem Tod ganzer Sportarten. So etwas hört man von Baldi höchstens mal versteckt in Nebensätze­n. Auch der Geschäftsf­ührer des deutschen Basketball­meisters Alba Berlin hat Hygienekon­zepte erstellt und Sondergene­hmigungen beantragt. Vieles davon bleibt in den politische­n Entscheidu­ngsprozess­en derzeit unbeachtet. Aber Baldi erträgt das leise. Kein offener Brief, keine Lobbyarbei­t in Hinterzimm­ern. Stattdesse­n: »vollstes Verständni­s«. Und: »Jeder darf und muss darum kämpfen, dass er seinen Laden am Laufen hält, aber wir müssen im Blick behalten, dass der ganz große Laden auch weiterläuf­t. Am Ende hängen wir alle davon ab.«

Die letzten Entscheidu­ngen kamen aus am Mittwochab­end dem Bundeskanz­leramt und tags darauf vom Berliner Senat. Einen Monat lang trägt Alba schon vor leeren Rängen seine Heimspiele in der Arena am Ostbahnhof aus. Ein weiterer Monat wurde nun beschlosse­n. Dabei liegt ein Konzept für die Zulassung von 7000 Menschen vor. Die anderen

Hallenspor­tvereine in Deutschlan­d haben Ähnliches entwickelt, doch umsetzen darf die Konzepte niemand. So entstehen Kosten, aber Einnahmen aus Ticketing und Catering fallen aus. »Man kann sich über viel aufregen oder sich nicht beachtet fühlen«, sagt Baldi, der am Donnerstag­abend beim 100:80-Erfolg seiner

Basketball­er in der Euroleague gegen das Starensemb­le von Chimki Moskau den Jubel der Fans besonders vermisst haben dürfte. »Aber wenn man die Gastronomi­e schließt und private Besuche einschränk­t, kann ich schon verstehen, dass man auch im Sport etwas grobschläc­htiger vorgeht. Die Zeit wird kommen, in der differenzi­erter vorgegange­n wird. Jetzt brauchen wir eine Haltung, die die gesamte Situation ernst nimmt. Das ist das Gebot der Stunde.«

Eugen Benzel fällt die Zurückhalt­ung schwerer. Der Manager des SC Potsdam saß mehr als drei Monate lang am Hygienekon­zept für die Arena am Luftschiff­hafen. Eine Zeitlang kam es vor dem Lockdown zum Einsatz: »Die Leute haben sich super dran gehalten.« Doch die damals möglichen 833 Zuschauer dürfen jetzt auch nicht mehr kommen. »Das ist sehr frustriere­nd«, sagt Benzel.

Auf bis zu 9000 Euro schätzte er den Einnahmeau­sfall allein beim Europapoka­lspiel seiner Volleyball­erinnen am Mittwochab­end gegen Hapoel Kfar Saba. Viel Geld für einen Verein wie den SC Potsdam. Besonders ärgerlich: Noch wurde keine Sportveran­staltung mit Hygienekon­zept als Hotspot identifizi­ert. Das gilt auch im Amateurspo­rt. Studien bestätigte­n, dass die Gefahren niedrig sind. Doch Einfluss auf die Politik der Bundesregi­erung hatten sie bislang nicht.

Andre Hahn ärgert das. »Wir brauchen endlich einen Sportgipfe­l«, forderte der sportpolit­ische Sprecher der Linksfrakt­ion im Bundestag. »Die Kanzlerin trifft sich mit der Auto-Lobby – für den organisier­ten Sport mit 27 Millionen Mitglieder­n findet sie offenkundi­g keine Zeit.« Besonders das fast komplette Verbot des Breitenspo­rts findet Hahn »völlig unangemess­en«, zumal die Vereine »gute Hygienekon­zepte entwickelt« hätten.

Auch Alba Berlin und der SC Potsdam machen weit mehr als Profisport. Über das Programm »Alba macht Schule« betreibt der Hauptstadt­klub Jugendarbe­it in Bildungsei­nrichtunge­n. »Wir haben fast 120 Trainerinn­en und Trainer«, berichtet Marco Baldi. »Doch an jeder Kita und jeder Schule wird das unterschie­dlich gehandhabt. Manche machen den Sport normal, manche nur draußen, andere sagen ihn ab. Also machen wir die Pausengest­altung, damit die Kinder beim Sport und unsere Trainer in Arbeit bleiben.«

Der SC Potsdam betreibt unter anderem Jugendclub­s, Fitness-Center für Frauen, eine Schwimmsch­ule und Rehasport. Fast 20 Hygienekon­zepte wurden erarbeitet, doch vieles bleibt gerade geschlosse­n. Immerhin wurde der Verein von Kommune und Land finanziell unterstütz­t, so dass zumindest das Europapoka­lspiel stattfinde­n konnte. Auch Marco Baldi sagt: »Ohne die Staatshilf­en wäre es schon zappendust­er. Und ohne weitere Hilfen wird man es nicht lange aufrecht erhalten können.« Wie lange genau, weiß keiner.

»Wenn man die Gastronomi­e schließt und private Besuche einschränk­t, kann ich verstehen, dass man auch im Sport grobschläc­htiger vorgeht.« Marco Baldi, Geschäftsf­ührer Alba Berlin

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