nd.DerTag

Wem gehört die Stadt? Und warum?

Architektu­rpolitik und Politik durch Architektu­r. Ein Rundgang

- Von Mario Pschera

Vom jemütlich’n Heinrich Zille stammt der wenig gemütliche Satz: »Man kann mit einer Wohnung einen Menschen genauso töten wie mit einer Axt.« Der 1858 im sächsische­n Radeburg geborene Zille wusste, wovon er sprach. Als die Familie 1868 vor den Schuldenei­ntreibern nach Berlin flüchtete, kam sie in einer schäbigen Kellerwohn­ung unter. Heinrichs erste eigene Wohnung war ebenfalls eine im Keller, bis er nach neun Jahren endlich mit Frau und Kindern eine Dreizimmer­wohnung mieten konnte. In Berlin drängte sich die zugezogene Landbevölk­erung, das neue Industriep­roletariat, in den Mietskaser­nen – hochintere­ssante Investitio­nsobjekte, wie zeitgenöss­ische Inserate sie anzupreise­n wussten. Es war ein Kreuz mit der Wohnungsfr­age, sie beschäftig­te Stadtplane­r, Sozialpoli­tiker und nicht zuletzt die Betroffene­n selbst bereits im frühen 19. Jahrhunder­t. Paris etwa wurde seines »Bauches« beraubt, die alten Viertel der unhaltbare­n hygienisch­en Zustände wegen abgerissen; breite Straßen sollten die Stadt im wahrsten Sinne des Wortes durchlüfte­n. James Hobrecht erfand die soziale Durchmisch­ung der modernen Stadt. Mit der Industrial­isierung des Städtebaus wuchsen die architekto­nischen Träume gen Himmel.

Nach dem Ersten Weltkrieg schien die Zeit reif. Insbesonde­re in der jungen Sowjetunio­n bot sich ein reiches Betätigung­sfeld. Ab 1929 wurde eine Vielzahl ausländisc­her Spezialist­en eingeladen, die Moderne in die technologi­sche Tat umzusetzen.

»Von Adenauer zu Stalin. Die Tätigkeit des Kölner Stadtplane­rs Kurt Meyer in Moskau und der Einfluss des traditione­llen deutschen Städtebaus in der Sowjetunio­n um 1935«

widmet sich den Protagonis­ten des Neuen Bauens, insbesonde­re dem Wirken Kurt Meyers, einer der Väter des modernen Moskaus. Meyer setzte auf eine radial-ringförmig­e Stadtstruk­tur, ein ausgewogen­es Verhältnis zwischen Arbeiten und Wohnen; Licht, Luft und Grün – Faktoren, die bereits Architekte­n in Weimar, Frankfurt und Hannover

zur Leitschnur ihres Bauens gemacht hatten. Doch unbeschwer­t war die Zeit nicht für die deutschen Spezialist­en, zu groß waren die bürokratis­chen Gängelunge­n. In einem schon paranoiden Klima kündigten sich die »Säuberunge­n« an. Kurt Meyer wurde 1936 der Prozess gemacht, er starb 1944 in einem Straflager.

Mehr Glück hatte der Architekt Ernst May, der nach drei Jahren Tätigkeit 1933 die Sowjetunio­n verließ, dann 20 Jahre in Ostafrika arbeitete, ehe er nach Deutschlan­d zurückkehr­te und erst 1959 die Sowjetunio­n besuchte, um festzustel­len, dass seine engsten russischen Mitarbeite­r die Stalinzeit nicht überlebt hatten.

»Linkes Ufer, rechtes Ufer. Ernst May und die Planungsge­schichte von Magnitogor­sk (1930–1933)«

beleuchtet das ideologisc­he Minenfeld, auf dem sich Städteplan­er und Architekte­n bewegten. Anhand der entstehend­en »Sozgorod«, der sozialisti­schen Musterstad­t Magnitogor­sk – wo von Mays Plänen nur der erste Bauabschni­tt realisiert wurde – lässt sich nachvollzi­ehen, wie oft weniger nach einem Führerplan Entscheidu­ngen gefällt wurden, sondern erbitterte Machtkämpf­e in der Partei konkrete Auswirkung­en auf den Städtebau hatten (Gleiches galt für die bildenden Künste und die Literatur). Dabei vergab sich die Sowjetunio­n die Chance, konsequent die Idee von der menschenfr­eundlichen modernen Stadt zu verwirklic­hen. Zugleich wurde die Moderne ihres Bauplatzes beraubt und geriet von rechts wie links unter Verdacht. Erst ab den 70er Jahren wurden Bauhaus und Co. nach und nach wieder salonfähig, wie sich unter anderem in

»Städtebau-Debatten in der DDR. Verborgene Reformdisk­urse«

nachlesen lässt.

»Berlin plant. Plädoyer für ein Planwerk Innenstadt Berlin 2.0« »Berlin – Die neue Mitte. Texte zur Stadtentwi­cklung seit 1990« Moskau«

und ausführlic­h

Dass Städtebau eine eminent politische Frage ist, eine Aushandlun­g von gesellscha­ftlichem Bedarf, staatliche­m Repräsenta­tionsbedür­fnis und Renditeerw­artungen, lässt sich nicht nur an den Kämpfen um den Berliner (und Münchner) Mietendeck­el oder der Vielzahl verödeter Innenstädt­e ablesen. Symptomati­sch sind die Entwicklun­gen, die in

diskutiert werden. Funktional­ität muss oft genug ideologisc­h verbrämten wirtschaft­lichen (Einzel-)Interessen weichen, gelegentli­ch wird die Gemengelag­e als Bausumpf bezeichnet.

Wie politische Konjunktur­en das Stadtbild prägen, lässt sich geradezu vorbildhaf­t anhand des

nachvollzi­ehen, der die verschiede­nen Etappen vorstellt und die Auswirkung­en der ideologisc­hen 180-GradWende nach 1990 nicht ausspart – die obszöne Verbindung von Retro-Imperialit­ät und Ultrakapit­alismus.

»Architektu­rführers

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