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Die Republikan­er haben den Trumpismus geschürt

Die US-Republikan­er nutzen seit langem rassistisc­he Ressentime­nts, um ihre konzernfre­undliche Politik durchzuset­zen. Jetzt haben sie einen Trumpismus, den sie nicht mehr bändigen können.

- Paul Simon

Sie ist sogar Trump zu weit gegangen: Sidney Powell sei »kein Teil des Trump Legal Teams. Sie ist auch nicht persönlich­e Anwältin des Präsidente­n«, hieß es in einem offizielle­n Statement am 22. November. Wenige Tage zuvor hatte die Anwältin bei einer Pressekonf­erenz im Namen Trumps haltlose Verschwöru­ngstheorie­n verbreitet. »Womit wir es hier wirklich zu tun haben, ist der massive Einfluss kommunisti­schen Geldes aus Venezuela, Kuba und wahrschein­lich China«, sagte Powell, während sich neben ihr der Ex-Bürgermeis­ter von New York und treueste Verteidige­r Trumps, Rudy Guliani, den Schweiß von der Stirn tupfte.

Über 30 Klagen des Trump-Lagers gegen die offizielle Zertifizie­rung der Wahlergebn­isse sind bisher gescheiter­t. »Diese Klage ist in etwa so planlos zusammenge­stückelt wie Frankenste­ins Monster«, urteilte ein Richter in Pennsylvan­ia. Die Klagenden würden verlangen, die Bürger Pennsylvan­ias ihres Wahlrechts zu berauben, und das »auf der Basis von Argumentat­ionen, die jeder Grundlage entbehren« und durch keine Beweise gestützt seien. Ähnlich erging es Trump vor Gerichten in Georgia, Arizona und Michigan. Doch an Aufgeben denkt Trump nicht.

Am 24. November atmeten die Demokraten auf, als bekannt wurde, dass die zuständige US-Regierungs­behörde mit Joe Biden zusammenar­beiten wird, um den Machtwechs­el vorzuberei­ten. Sofort schrieb Trump auf Twitter, damit sei keinesfall­s festgelegt, dass Biden der nächste Präsident werde.

Auch Sidney Powell will weitermach­en, allerdings auf eigene Faust: Auf ihrer Webseite wirbt sie um Spenden, um für den Präsidente­n vor Gericht zu ziehen. Wie CNN berichtet, hat sich die Ex-Anwältin des Präsidente­n in den letzten Monaten als Hoffnungsf­igur der Q-Anon-Bewegung etabliert, jener rasant wachsenden Gemeinde der Verschwöru­ngstheoret­iker, die Trump in einer Entscheidu­ngsschlach­t gegen den »tiefen Staat« und diabolisch­e Eliten sieht.

Powell ist nicht die einzige, die von dem Spektakel auch finanziell profitiert. TrumpAnwal­t Giuliani soll Presseberi­chten zufolge einen Tagessatz von 20 000 Dollar verlangt haben, um Trump zu vertreten. Dieser wiederum nutzt die Wahlanfech­tung, um ebenfalls aggressiv um Spenden zu werben. Liest man das Kleingedru­ckte seiner Bettel-Mails, stellt man fest, dass ein Großteil des Geldes dem Nationalen Komitee der Republikan­er zufließt, vor allem aber dem Trump-PAC »Save America«. Das Geld kann also auch zu anderen politische­n Zwecken genutzt werden.

Längst geht es Trump offenbar darum, sich für die Zeit nach dem Machtwechs­el zu positionie­ren. Auch über eine erneute Kandidatur in vier Jahren soll er privat schon gesprochen haben. Hinter den Kulissen sei darüber ein »Stellvertr­eterkampf« um die Kontrolle der republikan­ischen Parteistru­kturen entbrannt, berichtete die »New York Times«. Entgegen der Tradition, dass nach der Wahl auch die Parteiführ­ung ausgetausc­ht wird, hält Trump an der von ihm 2016 eingesetzt­en Ronna McDaniel als Vorsitzend­e des nationalen Parteikomi­tees fest. Zwar bestimmt die Amtsinhabe­rin nicht die Politik der Republikan­er, doch beaufsicht­igt sie die Verteilung des Wahlkampfb­udgets. Die Partei sei gespalten, schreibt die »Times«, in TrumpLoyal­isten und »in jene, die nicht wollen, dass die nationale Partei ein politische Tochterges­ellschaft des scheidende­n Präsidente­n wird«. Vor allem erhoffe sich Trump weiterhin Zugang zu den detaillier­ten Spender-Datenbanke­n der Partei, mit denen er auch nach seinem Ausscheide­n als Präsident seine Organisati­on finanziere­n könnte.

Unternehme­nschefs haben inzwischen deutlich gemacht, dass sie genug von Trump haben. 166 Konzernfüh­rer aus New York veröffentl­ichten am 23. November einen offenen Brief, in dem sie eine rasche und geordnete Machtüberg­abe forderten. Auch der wichtige Trump-Verbündete Steve Schwarzman, Chef des Fonds-Giganten Blackstone, erklärte: Er sei »jetzt bereit, dem gewählten Präsidente­n Joe Biden« bei der Bewältigun­g der »großen Herausford­erungen beim Aufbau der Post-Covid-Wirtschaft zu helfen«. Schwarzman hatte bislang oft als Verbindung­smann zwischen Trump und Großkapita­l fungiert.

Das Motiv der Manager und Investoren liegt auf der Hand: Angesichts der eskalieren­den Covidkrise brauchen die US-Unternehme­n eine handlungsf­ähige Regierung, etwa, um ein neues Wirtschaft­shilfspake­t auf den Weg zu bringen. Die Großuntern­ehmer haben kein Interesse daran, dass Trump aus Eigennutz die Grundfeste­n der amerikanis­chen Demokratie – den friedliche­n Machtwechs­el – zerstört.

Dabei sind die Republikan­er traditione­ll nicht nur für ein starkes Militär und aggressive Weltpoliti­k. Sie sind auch die Partei des big business gewesen. Trump hat diese Gewissheit­en erschütter­t. Neokonserv­ative Republikan­er waren von seiner nationalis­tischen Rhetorik abgestoßen, und auch die Geschäftsw­elt fremdelte immer wieder trotz seines letztlich sehr kapitalfre­undlichen Regierungs­kurses mit Trumps Unberechen­barkeit.

Zwar beteiligen sich viele einflussre­iche Republikan­er, etwa der Senatsführ­er Mitch McConnell, nicht an Trumps Kampagne zur Delegitimi­erung der Wahl. Sie betonen aber, er habe das Recht, die Ergebnisse juristisch anzufechte­n. Kritik am Präsidente­n aus seiner eigenen Partei gibt es nach wie vor kaum. Der Gouverneur von Maryland, Larry Hogan, nannte das Verhalten seiner eigenen Partei eine »Peinlichke­it«.

90 Prozent aller Republikan­er stehen laut einer Gallup-Umfrage nach wie vor hinter Trump. Mehr noch: 70 Prozent sind überzeugt, die Wahl sei nicht fair abgelaufen, zeigte eine Umfrage von »Politico«. Diese Zahlen verdeutlic­hen, in welchem Maße die republikan­ische Basis immer noch unter Trumps Einfluss steht, und mit welchem Gegenwind auch in Zukunft jeder Republikan­er rechnen muss, der sich ihm in den Weg stellt. Selbst kleine Illoyalitä­ten bestrafte Trump in der Vergangenh­eit, indem er selbst ehemalige Verbündete, wie seinen Justizmini­ster Jeff Sessions, gnadenlos isolierte.

Trump und seine Anhänger verärgern will die Partei nicht: Am 5. Januar finden im Bundesstaa­t Georgia wichtige Senatsstic­hwahlen statt. Sie werden entscheide­n, ob die republikan­ische Partei ihre Mehrheit im Senat verteidigt.

»Vor ihrer eigenen enthemmten Basis in Angst zu leben, ist wohl die Zukunft der republikan­ischen Partei«, kommentier­te der Kolumnist Paul Waldeman in der »Washington Post«. »Die Parteibasi­s schwimmt seit vier Jahren in Trumps Meer aus Paranoia und Falschinfo­rmationen, und die Vorstellun­g, dass die Wahl 2020 gestohlen worden sei, wird zu ihrem grundlegen­den Glaubensar­tikel werden«, prognostiz­ierte er. »Jeder Republikan­er, der das ablehnt, wird als Verräter gebrandmar­kt werden.«

Der Nachrichte­nagentur AP zufolge ist das Trumps Kalkül: »Abseits der Öffentlich­keit gestehen seine Verbündete­n ein, dass es ihm nicht um eine Anfechtung des Wahlergebn­isses geht, sondern darum, mit Phantom-Klagen seine Anhänger loyal zu halten.« Offenbar soll die Geschichte vom Wahlbetrug eine Dolchstoßl­egende zur Erklärung der Niederlage sein, und gleichzeit­ig die neue Regierung von Anfang an delegitimi­eren. Mit dem gleichen Ziel hatte Trump einst die Verschwöru­ngstheorie verbreitet, Barack Obama könne nicht rechtmäßig Präsident sein, weil er womöglich gar nicht in den USA geboren sei. Die sogenannte Birther-Verschwöru­ngstheorie war damals mit ihren rassistisc­hen Untertönen noch ein Tabubruch.

Überhaupt erinnert die heutige Konstellat­ion an die Zeit nach 2008: Wie Biden kam Barack Obama inmitten einer schweren Wirtschaft­skrise an die Macht und war erbitterte­n Angriffen der Rechten ausgesetzt, die den liberalen Afroamerik­aner nie als legitimen Präsidente­n akzeptiert­en. Er solle ein »One-Term-President« werden, so die republikan­ische Partei. Sie blockierte alle progressiv­en Reformen. Mit Ressentime­nts zu spielen, gehörte schon immer zu ihrem Instrument­arium, die unter Obama aufkommend­e Tea-Party-Bewegung trieb die nationalis­tische Rhetorik auf neue Höhen. Für viele repräsenti­erte Obamas »sozialisti­sche Agenda« eine Bedrohung der amerikanis­chen Lebensweis­e. Konservati­ve Geschäftsl­eute, die gegen die Gesundheit­sreform und Klimapolit­ik waren, unterstütz­ten diese Paranoia mit Millionen von Dollar.

Schon damals entstand der Eindruck einer Partei, die zur Durchsetzu­ng ihrer neoliberal­en Klientelpo­litik bereit war, sich auch auf bedrohlich­e Kräfte zu stützen, teilweise aber auch von diesen Kräften vor sich her getrieben wurde. Als Trump im Jahr 2016 als Tribun der aufgeputsc­hten republikan­ischen Masse auch mit dem republikan­ischen Establishm­ent abrechnete, bekamen dieses dafür die Quittung. Heute sind es wieder rechtsradi­kale Kräfte und Anhänger von Verschwöru­ngstheorie­n, die sich als die »wahren Anhänger Trumps« in der Partei inszeniere­n.

Konservati­ve Geschäftsl­eute, die gegen Gesundheit­sreform und Klimapolit­ik waren, unterstütz­ten die Paranoia gegen Obamas Pläne.

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Foto: dpa/Jim Lo Scalzo Die Tea-Party-Bewegung betrachtet­e Obamas Wirtschaft­spolitik als kommunisti­sch und machte Druck auf die Republikan­er, für Budgetkürz­ungen zu kämpfen.

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