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Pascal Bruckner glaubt nicht, dass es Islamophob­ie gibt

Gibt es Islamophob­ie? Pascal Bruckner glaubt nicht daran.

- Christof Meueler

Im Frühjahr 1979 besuchte eine Delegation französisc­her Feministin­nen Ruhollah Chomeini in Teheran, um sich über die Frauenrech­te informiere­n. Der Ajatollah war gerade aus dem Exil in Paris zurückgeke­hrt, um die iranische Revolution im Sinne der Kleriker zu gestalten. Die Feministin­nen sollten bei ihrem Treffen mit Chomeini Schleier tragen. Die Hälfte der Delegation war einverstan­den, die andere nicht. Sie riefen bei Simone de Beauvoir, der wichtigste­n französisc­hen Frauenrech­tlerin, in Paris an, um sie zu fragen, wie sie sich verhalten sollten. Sie riet davon ab, einen Schleier zu tragen. Diese Episode erwähnt Pascal Bruckner in seinem Buch »Der eingebilde­te Rassismus«, das 2017 in Paris erschien und nun in deutscher Übersetzun­g vorliegt. Darin macht er zum Schleier einen interessan­ten Vorschlag: »Allen Liebhabern des islamische­n Schleiers müsste man nahelegen, ihn auf Männer auszuweite­n. Warum sollte das Haupthaar eines Jünglings weniger unzüchtig sein als das einer jungen Frau?«

Klingt lustig, doch Bruckner hat ein ernstes Buch geschriebe­n. Für ihn wird der Islamismus mächtiger und bedrohlich­er. Die Liste der dschihadis­tischen Attentate der letzten 20 Jahre in Frankreich ist sehr lang, wenn man auf Wikipedia nachschaut. Die »Profikille­r Gottes«, wie Bruckner sie nennt, sind weltweit unterwegs. Von ihnen distanzier­en sich selbstrede­nd die moslemisch­en Gemeinden. Doch sie haben auch Mitglieder, die als Eiferer auftreten, wenn sie Frauen den Handschlag verweigern, ihnen aber Kleidungsv­orschrifte­n machen möchten und den Schulunter­richt beeinfluss­en wollen, wofür es besonders in Frankreich viele Beispiele gibt (vgl. »Lehrer als Feinde« im »nd« vom 28.10.). Bruckner bringt das Problem mit dem radikalen Islam grundsätzl­ich auf den Punkt: »Die Perversitä­t des Obskuranti­smus besteht darin, dass er die Freiheit als Anomalie erscheinen lässt und die Knechtung als Norm.«

Diese Leute seien kritikresi­stent, schreibt Bruckner. Er hat den Eindruck, dass die Islamisten in Frankreich jedwede Kritik mit dem Argument abwehren würden, das sei rassistisc­h und islamophob. Für Bruckner aber ist das normale Religionsk­ritik, der sich auch die anderen Weltreligi­onen aussetzen mussten. So lange, bis sie banal geworden sind und man vor ihnen keine Angst mehr haben muss. Wer es anders sieht, der hat sich im Jahrhunder­t geirrt, wie Bruckner eine Redewendun­g von Leo Trotzki aufgreift.

Bruckner glaubt nicht an den Begriff der »Islamophob­ie«. Das ist für ihn der titelgeben­de »eingebilde­te Rassismus« der Moslems. »Von Islamophob­ie zu sprechen, bedeutet daher ein Glaubenssy­stem mit seinen Anhängern zu verwechsel­n. Den Islam zu kritisiere­n oder zu attackiere­n, so wird behauptet, bedeute, die Moslems zu attackiere­n«.

Hierbei würden die Linken, das ist eine weitere These Bruckners, den Islamisten helfen. Die einen, weil sie glauben, sie könnten gemeinsam mit den radikalen Moslems den Kapitalism­us stürzen. Mit diesem Plan sind schon die iranischen Linken 1979 gescheiter­t, die anschließe­nd von den Klerikern verfolgt wurden. Die anderen, weil sie den Terror der Islamisten als ein Produkt des westlichen Kolonialis­mus begreifen, als ein mörderisch­es Echo aus der verdrängte­n Geschichte des Imperialis­mus. Der Westen sei also gewisserma­ßen selbst schuld an seinen Todfeinden. Selbst wenn die Islamisten sich als die »neuen Juden« imaginiere­n und ausrufen. Einigkeit besteht zumindest in der Ablehnung der israelisch­en Politik: »Die Judaisieru­ng der Moslems zog automatisc­h die Nazifizier­ung der Israelis nach sich (und in der Konsequenz die aller Juden, die als ›Ziomisten‹ gelten, wenn sie der Politik Israels nicht öffentlich abschwören).«

Für diese Thesen führt Bruckner viele Beispiele aus der französisc­hen Diskussion an. Seine Idee, man dürfe die Moslems nicht kritisiere­n ohne als islamophob hingestell­t zu werden, ist schon älter, weshalb dieses Buch auch nicht richtig neu ist, sondern »das Ergebnis von zahlreiche­n Artikeln, die ab 2003 in ›Le Figaro‹, ›Le Monde‹ und ›Libération‹ erschienen«, wie auf der letzten Seite angemerkt wird.

Warum argumentie­rt Bruckner so vehement gegen die Linken? Er kommt aus der Gruppe der »Neuen Philosophe­n«, der nach dem Scheitern des Pariser Mai 1968 enttäuscht­en Maoisten, auch wenn er selbst damals mit den Trotzkiste­n sympathisi­erte. Mitte der 70er Jahre machten Autoren wie André Glucksmann, Alain Finkielkra­ut oder Bernard-Henri Lévy den Turn zum Konservati­smus. Sie geißelten fortan die Linken jeglicher Couleur als Menschenfe­inde und Staliniste­n sui generis. Und so sieht Bruckner in den Linken heutzutage die verblendet­en Verbündete­n des islamische­n Terrors.

Was er dabei völlig übersieht und übersehen will, sind die Rechten, die in diesem Buch nicht die geringste Rolle spielen. Als gebe es in Frankreich keinen Rassemblem­ent National, keine Faschisten, die Moslems hassen und verfolgen. Und weil es diese Rechten gibt, gibt es auch die Islamophob­ie, das ist kein »eingebilde­ter Rassismus«, sondern lebensgefä­hrlich. Im Unterschie­d zu Bruckner hatte der oft als zu schematisc­h gescholten­e Michel Houellebec­q die Rechten sehr wohl auf der Rechnung, als er sich 2015 in seinem Roman »Unterwerfu­ng« auf ironische Weise ausmalte, wie die Islamisten ganz demokratis­ch, nämlich in der Koalition mit der Sozialisti­schen Partei, die Macht in Frankreich erobern. Für so etwas aber fehlt Bruckner die politische Fantasie. Er landet stattdesse­n im Patriotism­us, bei der Verherrlic­hung der Soldaten und Polizisten als »positive, ihrer Gemeinscha­ft dienende Helden«. Nach Bruckners Meinung habe Frankreich seine Kolonialge­schichte längst überwunden, es sei ein in in jeder Hinsicht freies Land, wenn auch »auf der ökonomisch­en Ebene blockiert«, weil die Mittelschi­cht zu viel Steuern zahle. Wer trotzdem an Ausbeutung gestern und heute erinnert, ist für ihn ein Ewiggestri­ger mit einer moralische­n Macke, der die Zukunft blockiert – eine klassisch rechte Position.

Aber er ist nicht islamophob. Für ihn ist der Angriff auf einen Gläubigen ein Verbrechen. In allgemeine­n religiösen Fragen plädiert er für Mäßigung, Aufklärung und Selbstrefl­exion. »Die Toleranz, die alle Glaubensri­chtungen gleichsetz­t, ragt weniger über diese hinaus, als dass sie diese verflacht und letzten Endes entwaffnet. Sie sehen sich zu bloßen Meinungen herabgeset­zt.« Bruckner weiß, dass die gemäßigten Moslems, also die meisten, die Hauptopfer der Fanatiker sind. »In einem Rechtsstaa­t ist es das Gesetz, das schützt, und der Brauch, der unterdrück­t.«

Was Bruckner bei seiner Kritik der Linken völlig übersieht und übersehen will, sind die Rechten, die in diesem Buch nicht die geringste Rolle spielen.

Pascal Bruckner: Der eingebilde­te Rassismus. Islamophob­ie und Schuld. A. d. Franz, v. Alexander Carstiuc, Mark Feldon, Christoph Hesse und Uli Krug. Edition Tiamat, 240 S., br., 24 €.

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