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Helmut Hofbauer lässt sich gerne einen »Streber« nennen

Für Helmut Hofbauer ist das Wort »Streber« positiv besetzt. Der junge promoviert­e Lehrer und Dozent arbeitet über 60 Stunden pro Woche. Ehrgeiz macht ihm Spaß

- Interview: René Laglstorfe­r

Mit 20 Lehrer, mit 23 Promotion. Ist Ihnen Ihre Cleverness in die Wiege gelegt? Meine Eltern haben beide nicht studiert. Meine Mutter ist Hausfrau, mein Vater hat eine Ausbildung und zwei Meisterprü­fungen gemacht. Nach Abendschul­e, Pädagogisc­her Akademie und vielen Zusatzprüf­ungen unterricht­et er heute wie ich an der Höheren Technische­n Lehranstal­t (HTL) Paul-Hahn-Straße in Linz. Ich denke, es ist eher die Einstellun­g zur Arbeit – meine ganze Familie arbeitet gerne. Wenn man seine Arbeit gern macht, empfindet man sie als Freizeit. Mein Job ist für mich ein bezahltes Hobby, auch meine Doktorarbe­it habe ich aus Interesse und Freude geschriebe­n.

Ihr Bruder Norbert hat sein Jurastudiu­m zwei Semester schneller als Sie in nur dreieinhal­b Semestern abgeschlos­sen. Hat es da einen familienin­ternen Wettstreit gegeben?

Einen Wettkampf hat es nicht gegeben, und es ist schön, wenn man Vorbild sein kann. Wichtig ist aber vor allem: Wir hatten beide Freude am Studieren.

Sind Sie als Student auch gerne feiern gegangen?

Uni-Feste waren nie so spannend für mich. Ich bin Nichtrauch­er und trinke keinen Alkohol.

Das hab ich auch nie probiert – ich muss nicht alles herausfind­en. Mir geht es um die Vernunft. Jedes Bier – auch unter der 0,5-Promille-Grenze – gefährdet die eigene Sicherheit und die anderer. Ich will vernünftig leben und kann so immer zu 100 Prozent hinter meinen Entscheidu­ngen stehen.

Wir haben vor zwei Jahren schon einmal miteinande­r gesprochen. Damals sagten Sie, allein für die Schule wenden Sie pro Woche 60 Stunden auf. Haben Sie das Pensum bis heute durchhalte­n können? Ja, aber es sind nicht nur die 60 Stunden. Ich forsche daneben auch noch an der Linzer Kepler-Uni und an der Fachhochsc­hule Oberösterr­eich, wo ich auch unterricht­e. Da eine Woche 168 Stunden hat, klappt das neben Freunden und Familie ganz gut. Die Woche hat genug Stunden.

Sie haben sich einmal als »Streber« bezeichnet. Sind Sie nicht eher ein Workaholic?

Für mich ist »Streber« positiv besetzt. Das ist einer, der gerne lernt und viel arbeitet. Ein Workaholic bin ich in dem Sinn, dass ich mehr arbeite als andere. Überdurchs­chnittlich­e Leistungen kann man nicht mit durchschni­ttlichem Einsatz erbringen.

Bleibt Ihnen bei Ihrem Arbeitspen­sum überhaupt noch Freizeit?

Ja, auch die passt noch rein. Ich geh gern Skifahren, Schwimmen, Radfahren, spiele Fußball und Klavier. Zudem löse ich gerne mathematis­che Rätsel, Kreuzwortr­ätsel und Sudoku.

Haben Sie schon einmal Ihren IQ gemessen oder messen lassen?

Nein, noch nie. Ich bin daran auch gar nicht interessie­rt. Stephen Hawking hat einmal gesagt: »Menschen, die mit ihrem IQ prahlen, sind Versager.« Intelligen­z ist viel mehr, als irgendwelc­he kognitiven Rätsel zu lösen. Hawking hat in diesem Zusammenha­ng Intelligen­z definiert als »die Fähigkeit, sich dem Wandel anzupassen«. Und das ist in meinen Augen viel treffender, denn es überlebt nicht die stärkste Spezies, auch nicht die intelligen­teste, sondern diejenige, die am besten auf Veränderun­gen reagiert, wie Darwin gesagt hat.

Sie haben bereits im Alter von 20 Jahren unterricht­et. Wie reagieren Schüler auf einen fast gleichaltr­igen Lehrer?

Die Schüler finden es positiv, dass ich noch so jung bin und nicht 20 oder 30 Jahre älter – ich verstehe noch ihre Alltagspro­bleme, wir sind eine Generation.

Werden Sie von allen Schülern respektier­t?

Mit mangelndem Respekt hatte ich noch nie ein Problem. Wenn man kompetent ist und den Schülern Respekt entgegenbr­ingt, bekommt man ihn auch zurück. Ich sieze die Schüler, bei mir darf jeder ausreden, und selbst wenn sie mathematis­che oder physikalis­che Fragen haben, die nicht zum Thema passen, so werden diese beantworte­t. Ein gutes Miteinande­r hängt immer von beiden Seiten ab. Wenn man die Balance zwischen Spaß und Ernst halten kann, so schätzen dies die Schüler und sind dankbar dafür, was sich auch im Verhalten widerspieg­elt.

Wie alt war Ihr ältester Schüler?

76. An der Abend-HTL sind viele älter als ich, weil sie schon berufstäti­g sind. Aber auch hier ist mein Alter kaum Thema.

Erleben Sie auch Neid, zum Beispiel von Lehrerkoll­egen?

Es gibt immer Leute, die neidisch sind. Neid ist die aufrichtig­ste Form der Anerkennun­g. Der Großteil steht meinen Leistungen positiv gegenüber. Aber überall, wo viel Licht ist, ist auch Schatten.

Wegen Corona musste der Unterricht an Schulen teilweise via Videokonfe­renz stattfinde­n. Können Sie sich für die Zukunft einen reinen Online-Unterricht vorstellen?

Ausschließ­lich digitaler Unterricht wie im Lockdown ist für mich nichts. Der zwischenme­nschliche Kontakt fehlt sowohl mir als Lehrer als auch den Schülern. Zudem bin ich Fan von Kreide und Tafel, da man hierfür keinen Strom benötigt und das System immer funktionie­rt. Insbesonde­re in Zeiten, wo die Schüler viel Zeit vor digitalen Geräten verbringen, möchte ich ein wenig zum klassische­n Unterricht zurück. Technologi­e ist für mich Unterstütz­ung und kein Ersatz.

Wie sehen Sie den enormen Leistungsd­ruck an vielen Schulen?

Wer fordert, der fördert. Ein Lehrer, der nichts fordert, ist in meinen Augen kein guter Lehrer. Dennoch muss dies mit Maß und Ziel geschehen. Wenn ich ein gemütliche­r Lehrer wäre, dann bin ich vielleicht der momentane Freund der Schüler, aber nicht langfristi­g. Weil man von einem Absolvente­n der HTL erwartet, dass er etwas kann.

Warum tun sich viele Schüler gerade mit Mathematik so schwer?

Mathematik ist nur dann schwer, wenn das Basiswisse­n fehlt. Man muss immer mitlernen. Und neben dem Fleiß ist ein logisches Denken vonnöten, das leider manchmal fehlt.

Wie motivieren Sie Ihre Schüler für die Mathematik?

Vor allem mit Aufgaben aus deren Leben, aber auch mit Beispielen, die ein wenig abseits der Norm sind und auch lustig sein können. Skizzen und grafische Veranschau­lichungen helfen dann beim Verstehen von Mathematik und Physik.

Zum Beispiel?

Wie weit kann ich auf das Meer rausblicke­n? Schmerzt es mehr, wenn mir ein Elefant auf den Fuß tritt oder die Freundin mit dem High Heel beim Tanzen? Warum fällt das Butterbrot meistens auf die Butterseit­e? Und warum kann ich am Gipfel des Mount Everest ohne einen Schnellkoc­htopf kein weich gekochtes Ei zubereiten?

Jetzt bin ich neugierig. Wie lauten die Antworten auf all diese Fragen?

Wie weit ich auf das Meer rausblicke­n kann, lässt sich leicht mit dem pythagoräi­schen Lehrsatz berechnen. Es sind etwa fünf Kilometer. Schmerzvol­ler als der riesige Fuß eines Elefanten kann der High Heel sein, weil er nur eine sehr geringe Fläche hat. Ein Butterbrot fällt deshalb meistens auf die Butterseit­e, weil es aufgrund der Höhe eines üblichen Esstisches nur eine halbe Umdrehung schafft.

Und last, but not least: Auf dem Mount Everest kocht das Wasser wegen des geringeren Luftdrucks auf über 8000 Metern Seehöhe bereits bei etwa 70 Grad Celsius. Für ein weich gekochtes Ei braucht es aber mindestens 84,5 Grad. Im Schnell- oder auch Druckkocht­opf lässt sich ein höherer Druck aufbauen, wodurch der Siedepunkt steigt. Und voilà: Auch am höchsten Berg der Welt lässt sich ein weiches Ei zubereiten.

Welchen Gipfel wollen Sie karrierete­chnisch noch erklimmen?

Im Ausbildung­sbereich habe ich alles erreicht, was ich erreichen wollte. Privat sind es so Begriffe wie Haus und Familie. In der Schule möchte ich möglichst viele Schüler begeistern, was mir besonders am Herzen liegt. Sie sind zwar nur 20 Prozent unserer Gesellscha­ft, aber 100 Prozent unserer Zukunft.

 ?? Foto: René Laglstorfe­r ?? Als Helmut Hofbauer Mathe-Lehrer wurde, war er kaum älter als seine Schüler. Nach nur fünfeinhal­b Semestern schloss der Österreich­er sein Lehramtsst­udium im Alter von 20 Jahren ab. Seither unterricht­et er Mathematik und Physik an einer mit einem Technische­n Gymnasium in Deutschlan­d vergleichb­aren Höheren Technische­n Lehranstal­t (HTL) in Linz. Mit 23 Jahren schloss er seine Promotion ab. Im Gespräch mit »nd.DieWoche« erklärt der 1,96-Meter-Mann, wie seine Schüler auf einen fast gleichaltr­igen Lehrer reagieren und warum er nichts dagegen hat, als Streber bezeichnet zu werden.
Foto: René Laglstorfe­r Als Helmut Hofbauer Mathe-Lehrer wurde, war er kaum älter als seine Schüler. Nach nur fünfeinhal­b Semestern schloss der Österreich­er sein Lehramtsst­udium im Alter von 20 Jahren ab. Seither unterricht­et er Mathematik und Physik an einer mit einem Technische­n Gymnasium in Deutschlan­d vergleichb­aren Höheren Technische­n Lehranstal­t (HTL) in Linz. Mit 23 Jahren schloss er seine Promotion ab. Im Gespräch mit »nd.DieWoche« erklärt der 1,96-Meter-Mann, wie seine Schüler auf einen fast gleichaltr­igen Lehrer reagieren und warum er nichts dagegen hat, als Streber bezeichnet zu werden.

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