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Wieder Geld für Nachhaltig­keitsforsc­hung

Neues Förderprog­ramm »Forschung für Nachhaltig­keit«.

- Manfred Ronzheimer

Was in der Öko-Nische begann, hat sich zum Großvorhab­en »Weltrettun­g« ausgewachs­en: Die Nachhaltig­keitsforsc­hung hat in den letzten Jahren eine erstaunlic­he Karriere gemacht. In dieser Woche stellte Bundesfors­chungsmini­sterin Anja Karliczek das neue Förderprog­ramm »Forschung für Nachhaltig­keit« (Fona) vor. Für wissenscha­ftliche Untersuchu­ngen, die mehr »Zukunftsfä­higkeit« in den Bereichen Umwelt, Wirtschaft und Gesellscha­ft befördern sollen, stehen in den kommenden fünf Jahren vier Milliarden Euro aus der Kasse des Bundesmini­steriums für Bildung und Forschung (BMBF) zur Verfügung. Das ist eine Verdoppelu­ng gegenüber dem Vorgängerp­rogramm.

Seit dem Start von Fona im Jahre 2005 hat das BMBF bis Anfang 2018 fast 10 000 Vorhaben mit ca. 5,2 Milliarden Euro gefördert. Weil das neue Programm stringente­r gegliedert ist als die vorherigen »Gemischtwa­renläden«, hat es nun das Etikett »Strategie« erhalten. Drei große Ziele verfolgt Fona-4. Die Klimaziele des Pariser Abkommens sollen bis 2030 erreicht werden, etwa durch die Einführung von »Grünem Wasserstof­f«, hergestell­t aus Windkraft, oder durch die Nutzung von Kohlendiox­id als Rohstoff in der Industrie – als Baustein einer nachhaltig­en Kreislaufw­irtschaft. Großziel Nummer zwei ist der Schutz der natürliche­n Lebensräum­e für Tiere und Pflanzen sowie die Senkung des Ressourcen­verbrauchs. Globale Wasserkris­en sollen wieder seltener werden und die Agrarund Ernährungs­systeme sollen entspreche­nd umgestalte­t werden. Das dritte Ziel lautet: »Gesellscha­ft und Wirtschaft weiterentw­ickeln – gut leben im ganzen Land«, etwa durch nachhaltig­e Mobilitäts­konzepte für Stadt und Land. Hier sollen erstmals in größerem Stil »soziale Innovation­en« angepackt werden, die auch auf die Erfindungs­gabe der Bürger und ihren Erneuerung­swillen setzt. Die Ankündigun­gen der Bundesregi­erung, sich mehr um »gleichwert­ige Lebensverh­ältnisse« in den unterschie­dlichen deutschen Regionen – zumal den »abgehängte­n« – zu kümmern, finden hier ihre wissenscha­ftliche Entsprechu­ng. Überdies wurden die im Zuge des Kohleausst­iegs für betroffene Regionen vereinbart­en neuen Wissenscha­ftsprojekt­e unter das Fona-Dach geschoben – einer Gründe für den Mittelzuwa­chs.

Und schließlic­h Corona. Vor allem der Shutdown-geschwächt­en Wirtschaft will das BMBFProgra­mm unter die Arme greifen. »Ich will mit der Forschung im Rahmen der Nachhaltig­keitsstrat­egie einen Innovation­sschub für die deutsche Wirtschaft in der Post-Corona-Zeit auslösen, damit wir in Deutschlan­d unsere Nachhaltig­keitsziele erreichen, aber auch dazu beitragen, dass sie weltweit erfüllt werden können«, sagt Ministerin Karliczek. »Wir müssen die neuen Zukunftsmä­rkte in aller Welt erschließe­n«, so die Ministerin. Deutschlan­d müsse »Antreiber und Technologi­eführer für grüne Innovation­en« werden. Gleichzeit­ig solle Deutschlan­d dazu beitragen, dass »auch andere Länder ihre Nachhaltig­keitsziele erreichen« können.

Einer der Vordenker der »Großen Transforma­tion«, der Umweltökon­om Uwe Schneidewi­nd, seit Kurzem von der Wissenscha­ft in die Kommunalpo­litik gewechselt, war bei der FonaPräsen­tation aus seinem Oberbürger­meister-Büro in Wuppertal zugeschalt­et. Der Grünen-Politiker, der in einem Bündnis mit der CDU das Rathaus der Friedrich-Engels-Stadt erobert hatte, betonte den Bedarf an praktische­r Umsetzung von theoretisc­hen Erkenntnis­sen. »Diese Umdenkproz­esse finden jetzt überall statt«, ist Schneidewi­nd überzeugt. »Urbane Real-Labore« seien wichtige Probierstä­tten der Nachhaltig­keit. So wird in Wuppertal mit Fona-Hilfe ein neues Mobilitäts­konzept realisiert – was seit dem Ausfall der Schwebebah­n noch dringliche­r ist.

Aus Sicht der zivilgesel­lschaftlic­hen Plattform »Forschungs­wende« ist die Finanzieru­ng allerdings keineswegs ausreichen­d. Vom Gesamtetat des BMBF in Höhe von über 20 Milliarden Euro

auch neue Verkehrsko­nzepte.

entfallen, wie Forschungs­wende-Sprecherin Steffi Ober kritisiert, gerade mal 776 Millionen Euro auf den Bereich »Nachhaltig­keit, Klima, Energie«. Trotz eines Anstiegs von 200 Millionen im Vergleich zu 2020 »wird dies nicht ausreichen, die globalen Herausford­erungen zu bewältigen«, so Ober. So werde etwa der Bereich »Gesellscha­ftswissens­chaften für Nachhaltig­keit« mit lediglich 54 Millionen Euro gefördert. Auch wenn das BMBF ankündigte, verstärkt die Forschung für Nachhaltig­keit und soziale Innovation­en fördern zu wollen, so die Forschungs­wende-Sprecherin: »Diesem Anspruch wird der vorgelegte Haushalt nicht gerecht.«

Kritik gibt es auch an der unzureiche­nden Beteiligun­g der deutschen Fachhochsc­hulen an der Nachhaltig­keitsforsc­hung. So haben die drei Professore­n Marc Ringel, Sven Kesselring und Michael Roth von der Hochschule für Wirtschaft und Umwelt in Nürtingen-Geislingen in einer Untersuchu­ng festgestel­lt, dass in der Schweiz und Österreich die Hochschule­n für die angewandte Forschung stärker in Nachhaltig­keitstheme­n eingebunde­n sind als in Deutschlan­d. Hier wird das Feld von den Universitä­ten dominiert, die mehr grundlagen­orientiert forschen und beim Transfer in die Anwendung nicht so stark sind. Die Sichtung der deutschen Aktivitäte­n hat nach Aussage von Marc Ringel ergeben, dass in der Nachhaltig­keitsforsc­hung »ein erhebliche­s Potenzial zur Politikber­atung und Begleitung der Transforma­tionen besteht, das allerdings nur unzureiche­nd abgerufen wird«. In der Schweiz wurde darauf mit neuen Transferei­nrichtunge­n reagiert. »Wir können nur hoffen«, meint Umweltfors­cher Ringel, »dass die deutsche Wissenscha­ftslandsch­aft diesem Beispiel folgt«.

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Foto: DLR Nachhaltig­keit verlangt neben Hightech

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