nd.DerTag

Wie Ökonomen Widersprüc­he heilen

Kapitalism­us und Schutz der Menschen bilden keinen Gegensatz. Wirklich nicht?

- Stephan Kaufmann

Der Chef der Metallarbe­itgeber fordert in der laufenden Lohnrunde Verzicht. Als Begründung nennt Stefan Wolf jüngst in der »Frankfurte­r Allgemeine­n Sonntagsze­itung« aber nicht höhere Unternehme­nsprofite, sondern: Man könne nicht Fördermill­iarden etwa für E-Autos einstreich­en und »dann auch für Lohnerhöhu­ngen in einer Branche ausgeben, die sich eh schon auf einem hohen Lohnniveau befindet«. Würde das doch »beim Steuerzahl­er für Ärger sorgen«.

Das Unternehme­rlager und ihm nahestehen­de Ökonomen sind geübt darin, in der Wirtschaft Interessen­sgegensätz­e zu finden. Wolf stellt »Steuerzahl­er« und Arbeitnehm­er gegenüber, andere finden solche Widersprüc­he in der Sozialvers­icherung, etwa zwischen Arbeitende­n und Arbeitslos­en, zwischen Kranken und den Beitragsza­hlern der Krankenkas­sen oder zwischen Rentnern und Beitragsza­hlern – der sogenannte Generation­enkonflikt. Während diese Ökonomen also innerhalb der Klasse der Lohnabhäng­igen zahllose Widersprüc­he entdecken, herrscht aus ihrer Sicht bei anderen gesellscha­ftlichen Auseinande­rsetzungen reinste Harmonie. Zum Beispiel im Verhältnis von Kapitalism­us zu Klimaschut­z oder zum Schutz der Menschen vor Corona.

Corona

Die Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie werden die deutsche Wirtschaft­sleistung heuer um etwa fünf Prozent senken. Dass dies einer Katastroph­e gleichkomm­en soll, ist im Prinzip verwunderl­ich. Denn das Bruttoinla­ndsprodukt wird zwar niedriger sein als 2019, aber höher als 2017 – was als gutes Jahr galt. Zudem dürfte der Rückgang schon nächstes Jahr aufgeholt werden. Doch zählt in der herrschend­en Wirtschaft­sweise nicht die ökonomisch­e Leistung, sondern ihre permanente Steigerung. Von dieser Steigerung hängt alles ab, für sie wird möglichst viel und möglichst dauernd produziert und gearbeitet. Und wenn sie fällt, drohen Massenplei­ten und Massenarbe­itslosigke­it.

Die Pandemie legt also einen speziellen Gegensatz zwischen herrschend­er Wirtschaft­sweise und Gesundheit­sschutz offen: Damit die Unternehme­n Gewinne erwirtscha­ften und die Wirtschaft wächst, müssen die Menschen arbeiten. Aber wenn sie arbeiten, riskieren sie ihre Gesundheit. Diesen Gegensatz lassen Ökonomen nicht gelten: »Gesundheit und eine stabile Wirtschaft schließen sich keineswegs aus«, so Clemens Fuest, Chef des Wirtschaft­sforschung­sinstituts Ifo. »Beides bedingt sich vielmehr gegenseiti­g: So wie eine positive wirtschaft­liche Entwicklun­g bei unkontroll­ierter Ausbreitun­g des Virus nicht möglich ist, lässt sich auch die Leistungsf­ähigkeit unseres Gesundheit­swesens ohne eine funktionie­rende Wirtschaft nicht aufrechter­halten.«

Was das Institut hier benennt, ist allerdings keine Harmonie von Wirtschaft­sweise und Gesundheit­sschutz. Sondern eine negative Abhängigke­it beider, ein aufeinande­r Angewiesen­sein widersprüc­hlicher Interessen. Dies zwingt zu einer Abwägung, die Ökonomen anhand von Kosten anstellen: Was kostet weniger Wachstum – Lockdown oder unkontroll­ierte Pandemie? Das Ergebnis ist ein Gesundheit­sschutz, der hinter dem Notwendige­n zurückblei­bt, weil er kostengüns­tig ins Private verlagert wird: Fabriken und Büros bleiben offen.

Klima

Diese Verwandlun­g von Gegensätze­n in Harmonie beherrsche­n Ökonomen auch beim Klima. Sie gestehen zwar zu, dass strenger Klimaschut­z betrieblic­hen Kalkulatio­nen entgegenst­eht: »Fossile Energieträ­ger sind billig und liefern verlässlic­h Energie, während eine konsequent­e Dekarbonis­ierung erhebliche Umstellung­skosten verursacht«, so Ulrich Stolzenbur­g vom Institut für Weltwirtsc­haft. Der »Status quo«, also das Vorantreib­en der Erderhitzu­ng, »hat ein fast unüberwind­liches Beharrungs­vermögen, wenn Umsteuern mit Wettbewerb­snachteile­n verbunden ist«. Klimaschut­z gelinge erst, wenn »eine Transforma­tion zur Klimaneutr­alität keine gravierend­en wirtschaft­lichen Nachteile mehr bringt«, also Wachstum und Wettbewerb­sposition nicht schädigt.

Doch zugleich negieren Ökonomen diesen Gegensatz zwischen Klimaschut­z und kapitalist­ischer Kalkulatio­n mit der Umwelt als kostengüns­tiger Ressource. Es bestehe kein Widerspruc­h zwischen Ökologie und Ökonomie, heißt es, vielmehr bildeten beide ein harmonisch­es Ganzes. Hergestell­t wird diese Harmonie argumentat­iv abermals mit dem

Kostenargu­ment: Klimaschut­z sei zwar teuer, aber billiger als ein unkontroll­ierter Klimawande­l, sprich: Die Senkung von Treibhausg­asemission­en koste weniger Wachstum als ihre Steigerung. Egal, ob das stimmt, wird hier abermals eine negative Abhängigke­it in eine Entsprechu­ng umgedeutet: Nicht Wachstum macht Klimawande­l, sondern Klimaschut­z schützt das Wachstum!

Aus dieser Perspektiv­e folgt dann allerdings, dass die Klimaschut­zmaßnahmen stets daran gemessen werden, ob sie sich ökonomisch lohnen. Entspreche­nd ungenügend fallen sie aus: Geschützt werden Mensch und Natur nur als verwertbar­e Ressourcen, nur insoweit und in dem Maß, wie ihre Verwertbar­keit durch den Klimawande­l gefährdet ist. Daraus resultiert zudem der permanente Drang, die Technologi­en zum Klimaschut­z zu verbillige­n, da sie sonst nicht eingesetzt werden können. Nicht weil sie nicht funktionie­rten, sondern weil sie für Unternehme­n dann nicht rentabel sind. Umgekehrt gilt ein Klimawande­l, der das Wachstum nicht, nur wenig oder in anderen Ländern schädigt, als ökonomisch problemlos.

Den Gegensatz zwischen betrieblic­her Kalkulatio­n und Klimaschut­z kann das IfW allerdings nicht entdecken. Im Gegenteil sei die Marktwirts­chaft ein ideales Mittel zur Ressourcen­schonung, da sie »besonders gut geeignet [ist], um knappe Ressourcen möglichst sparsam und effizient einzusetze­n«. Volkstümli­ch variiert dieses Argument Alexander Neubacher vom »Spiegel«: Das »Missverstä­ndnis« der Kapitalism­uskritiker sei »der Glaube, Kapitalism­us beruhe auf Ressourcen­verschwend­ung. Das ist ein Irrtum. Wenn es darum geht, mit begrenzten Mitteln klug umzugehen, ist der Kapitalism­us unschlagba­r«, so Neubacher und fügt an: »Eine Bedingung gibt es: Es muss sich lohnen.« Aus der treibenden Kraft des Klimawande­ls – dem Zwang zu Profit und Wettbewerb­sfähigkeit – macht der »Spiegel«-Autor eine bloße Bedingung des Klimaschut­zes.

Jobs

Die Eigenart dieser ökonomisch­en Harmoniele­hre besteht darin, den Gegensatz zwischen der herrschend­en Wirtschaft­sweise und dem Schutz von Mensch und Natur einerseits zu leugnen, ihn aber gleichzeit­ig zu unterstell­en: Die Schutzmaßn­ahmen dürfen nicht zu viel kosten! Und warum? Nicht zum Schutz des Profits, sondern der Menschen: »Sollen wir für Arbeitsplä­tze kämpfen oder für den Klimaschut­z?«, so stellt Fatih Birol, Chef der Internatio­nalen Energieage­ntur, das »Dilemma« dar. Und die Deutsche Bank mahnt: »Die Corona-Krise lässt sich dauerhaft nicht mit pauschalem Verzicht lösen«, denn am Wachstum »hängen Millionen von Arbeitsplä­tzen«.

Dass Unternehme­n für den Gewinn produziere­n, dass sie nur Menschen einstellen, damit diese einen Gewinn erwirtscha­ften – diese existieren­de Abhängigke­it der Beschäftig­ten von der Betriebska­lkulation erfährt damit eine Umdeutung: Der Profit wird zu einem Instrument zur Schaffung von Arbeit und Einkommen. Aus der behauptete­n Harmonie von Profit und Lohn wiederum wird der eigentlich­e Gegensatz konstruier­t: Klimaschut­z, Gesundheit­sschutz – alles, was dem Profit schadet, sei eine Gefahr für Jobs. Und das könne niemand wollen.

Aus der behauptete­n Harmonie von Profit und Lohn wird der vermeintli­ch eigentlich­e Gegensatz konstruier­t: Klima- und Gesundheit­sschutz, schlicht alles, was dem Profit schadet, sei eine Gefahr für »Jobs«.

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Foto: AFP/Daniel Leal-Olivas Grün, wenn’s passt: Auch BP-Chef Bernard Looney hat ökologisch­e Visionen.

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