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Die Stasi-Akten im Bundesarch­iv

Zur Überführun­g der Stasi-Akten ins Bundesarch­iv.

- Karsten Krampitz

Bevor wir zum neuen Umgang mit den Stasiakten kommen, das Resümee vorweg: Geschichte, wie sie sich tatsächlic­h zugetragen hat, ist immer komplizier­ter und widersprüc­hlicher als unsere Fähigkeit, davon zu berichten. Um Geschichte wurde schon immer gerungen; sie ist Teil unserer Wirklichke­it, die eben nicht nur aus unserer Gegenwart besteht, auch aus unseren Wünschen – und unserer Vergangenh­eit. Doch nicht das, was wirklich geschehen ist, zählt, sondern das, woran Menschen sich erinnern. Und wenn linke Mandatsträ­ger, wie anno 2019 im Berliner Abgeordnet­enhaus, den Bau eines »Mahnmals für Opfer der kommunisti­schen Gewaltherr­schaft« durchwinke­n – als Regierungs­fraktion! – ja sogar vom Rednerpult aus begrüßen und ansonsten nicht mit dem Identitäts­thema der Ostdeutsch­en behelligt werden wollen, dann wird das hierzuland­e für die Menschen der Zukunft Konsequenz­en haben. Wir stellen uns vor: Eines Tages werden Schulklass­en vor besagtem Denkmal stehen und zu hören bekommen, dass im 20. Jahrhunder­t der Kommunismu­s ebenso gewütet habe wie der Faschismus; beide Ideologien hätten hierzuland­e eine »Gewaltherr­schaft« errichtet. »Oh je«, werden die Kinder*innen dann rufen. »Dann ist Links also genauso schlimm wie Rechts?« – »Nee«, wird die Lehrerin sagen, »schlimmer! Deren Diktatur hat doch viel länger gedauert.« Wieder was gelernt.

Und sollte es in fünfzig Jahren noch einmal junge Menschen geben, die die Verhältnis­se zum Tanzen bringen wollen, so wird diese neue Generation wahrschein­lich mit der Totalitari­smuskeule geprügelt werden. Das ist mal sicher. Und zwar mit Verweis auf das Berliner Mahnmal! Wenn im Berliner Abgeordnet­enhaus damals sogar die Linksparte­i diesem Denkmal zugestimmt hat, muss doch was dran sein, an der »Kommunisti­schen Gewaltherr­schaft«.

Vor dem Hintergrun­d solcher Erinnerung­spolitik, einer immer wieder kolportier­ten Metaerzähl­ung vom Schrecken und Terror einer Ulbricht-Honecker-Junta, ist die nun vom Bundestag

beschlosse­ne Überführun­g der Stasiakten in die Verantwort­ung des Bundesarch­ivs nicht hoch genug einzuschät­zen. Simone Barrientos, kulturpoli­tische Sprecherin der Linksfrakt­ion, sieht in dieser Entwicklun­g den Ausdruck einer Versachlic­hung der Debatte, auch wenn das neue Gesetz keine genauen Vorgaben mache, wie die Erforschun­g der Akten in Zukunft

gewährleis­tet sei. Außerdem sei unklar, wie die Aufgaben, die auf das Bundesarch­iv zukommen, finanziert werden sollen. Fest steht: Auch in Zukunft soll jeder Bürger und jede Bürgerin die Möglichkei­t haben, in die eigene MfSAkte zu schauen – so eine solche denn vorhanden ist: Vom einstigen »Bürgerrech­tler« Hans Schwenke beispielsw­eise, der früher einmal als Bundesvors­itzender des »Bundes der stalinisti­sch Verfolgten« fungierte, gibt es keine StasiAkte. Auch gut.

Was sich mit der Aktenüberf­ührung auf jeden Fall ändern wird: Anders als die Gauck-Birthler-Jahn-Behörde tritt das Bundesarch­iv nicht als politische­r Akteur in Erscheinun­g; die Bewertung der Quellenbes­tände obliegt den Benutzern und nicht den Archivaren. Das Bundesarch­iv stellt seine Bestände der Aufklärung zur Verfügung, betreibt aber keine Vergeltung.

Der »Nominalsoz­ialismus« (Rudolf Bahro) im SED-Staat sollte weder verklärt noch dämonisier­t werden. Ohnehin bewegt sich der DDRDiskurs unter den Wissenscha­ftlern in gänzlich anderen Bahnen als teils in der breiteren Öffentlich­keit. An den Universitä­ten redet kein ernst zu nehmender Historiker von einer »kommunisti­schen Gewaltherr­schaft«, die dann in der Friedliche­n Revolution mit Kerzen besiegt wurde, ohne dass ein Schuss gefallen ist.

Gerd Dietrich schreibt im Vorwort seiner unlängst erschienen­en »Kulturgesc­hichte der DDR«, dass dreißig Jahre nach dem Ende der DDR ein differenzi­erter Blick in die Geschichte verlangt werde. »Keine Perspektiv­e, die einseitig Opfer- und Tätererfah­rungen artikulier­t, sondern ein Interpreta­tionsansat­z, der entwicklun­gsoffen und historisch-kritisch die relative Normalität des Lebens in der DDR beschreibt, einer Gesellscha­ft, die nicht in der diktatoris­chen Herrschaft aufging und ihren Eigensinn und -wert besaß.« Dietrich verweist auf den Soziologen Detlef Pollak, der von einer »konstituti­ven Widersprüc­hlichkeit« der DDR spricht, wie auch auf das Diktum des Historiker­s Martin Sabrow, von der »unaufhebba­ren Multipersp­ektivität« der DDR-Gesellscha­ft – von der im Übrigen auch die MfS-Akten erzählen.

Die Forscher werden da sicher noch einiges finden. Aber wie eingangs schon erwähnt, ist Geschichte immer komplizier­t und widersprüc­hlich. Nur ein letztes Beispiel für diese Erinnerung­sprobleme: Noch vor dem Beitritt der DDR zur Bundesrepu­blik wurden die Abgeordnet­en der ersten frei gewählten Volkskamme­r nach einer möglichen Stasimitar­beit überprüft. Demnach verteilten sich im Frühjahr 1990 die Parlamenta­rier mit tschekisti­schem Hintergrun­d auf die Fraktionen wie folgt: 35 CDU, elf FDP, ebenfalls elf PDS – und zwei fanden sich bei der grünen Partei. Bei neuer gründliche­r Recherche in den MfS-Akten dürften in der letzten Volkskamme­r noch einige »Kundschaft­er« hinzukomme­n. Und wer weiß, am Ende haben wir die deutsche Wiedervere­inigung gar den fleißigen Helfern der Staatssich­erheit zu verdanken?

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 ?? Foto: imago images ?? Abgelausch­tes auf Magnetband: Auch diese Hinterlass­enschaft des MfS wird nunmehr ins Bundesarch­iv wandern.
Foto: imago images Abgelausch­tes auf Magnetband: Auch diese Hinterlass­enschaft des MfS wird nunmehr ins Bundesarch­iv wandern.

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