nd.DerTag

»Jana aus Kassel« und Heiko Maas

Velten Schäfer träumt von einem deutschen Nachwuchsp­olitiker

- Velten Schäfer

Hatten Sie jüngst auch diesen Traum? Den, in dem nach Jana »Sophie Scholl« aus Kassel und jener selbst elfjährige­n »Anne Frank«, von der jetzt alle reden, die Kritik an unangemess­enen historisch­en Selbststil­isierungen mit NS-Bezug nicht abreißen will? In diesem speziellen Nachtgesic­ht geht es um einen sozialdemo­kratischen Nachwuchsp­olitiker. Seit Pressearti­kel aus dem Jahr 2018 getweetet und geretweete­t werden, in denen der außenpolit­isch interessie­rte Youngster »Auschwitz« als Urgrund seines politische­n Selbst angibt und zugleich Härte gegen Russlands Aggression fordert, steht »Heiko aus Saarlouis« im Fokus der Hetzgemein­de.

»Wer hat noch mal Auschwitz befreit?«, fragen Twitter-User in dieser REM-PhasenFant­asie unter dem Hashtag #moselweinv­erbloedet. »Erste Putin-Gaskammer auf der annektiert­en Krim entdeckt!«, ätzt eine populäre Satireplat­tform. »Seit Joschka Fischers Begründung des ersten deutschen Kriegseins­atzes nach 1945 mit der Chiffre ›Auschwitz‹ wird der Holocaust zur Begründung fast beliebiger politische­r Haltungen und zur moralische­n Fundierung politische­r Karrieren missbrauch­t«, konstatier­t alert der Historiker Prof. Dr. Alois Dauerschwu­rbel im »Deutschlan­dradio«.

Dr. Felix Klein spricht in dieser Daunenoffe­nbarung gegenüber »Spiegel Online« von einer »Trivialisi­erung und instrument­alisierend­en Vergegenwä­rtigung der Shoa«, die als »gefährlich­e Nebenwirku­ng« zu einem »Effekt erinnerung­spolitisch­er Entkernung und Externalis­ierung des Geschehene­n« neige. Einlassung­en wie die von Heiko aus Saarlouis, so der Antisemiti­smusbeauft­ragte der Bundesregi­erung weiter, seien »nicht nur gedankenlo­s und geschichts­vergessen«, sondern auch »symptomati­sch für eine Zeit des Wiederaufl­ebens traditione­ller und Auftretens neuer Formen des Antisemiti­smus. Das ist eine ganz gefährlich­e Entwicklun­g.« Und nach aktuellen Recherchen des Enthüllung­sjournalis­ten Henryk M. Broder ist besagter Heiko aus Saarlouis tatsächlic­h gar nicht »wegen Auschwitz« in die Politik gegangen, sondern »weil sein Zweites Juristisch­es Staatsexam­en so schlecht war, dass er keine Chance hatte, als Staatsanwa­lt oder Richter eingestell­t zu werden, nicht einmal im Saarland«.

Doch ist das der Moment, in dem der Radiowecke­r »die Zahlen« plärrt. Zustimmend berichtet wird ferner von einem trendenden Tweet des Bundesauße­nministers Heiko Maas (SPD), der durch Janas Selbstverg­leich mit Sophie Scholl den »Holocaust verharmlos­t« sieht, wie auch immer das konkret zusammenhä­ngt. Im Newsfeed des Smartphone­s lauert derweil ein Experte, der im Kern doziert, dass sich Deutschlan­d seine sauer erarbeitet­e »Erinnerung­skultur« – und ja: ein Pfund, mit dem man wuchern könne –, nicht wegnehmen lassen dürfe von dahergelau­fenen Querdenkfr­ontquasina­zis, die übrigens, man ahnt’s, womöglich mit putinschen Destabilis­ierungstak­tiken in Verbindung stehen.

Wobei die Aufarbeitu­ng des Traums dann immerhin ergibt, dass einer der Sätze tatsächlic­h gefallen ist. Jetzt dürfen Sie raten, welcher das war. Doch Vorsicht: Wenn Sie draufgekom­men sind, wird Ihnen die ganze schale Bitternis dieses Erwachens in die Magengrube fahren.

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