nd.DerTag

entlarvt die Perfidität des NS-Films »Der Ewige Jude«

Vor 80 Jahren kam der antisemiti­sche Hetzfilm »Der ewige Jude« raus.

- Ingrid Heinisch

Ich habe in meinem Leben viele ekelerrege­nde Filme anschauen müssen, ich kann mich trotzdem nicht erinnern, einen schlimmere­n als diesen gesehen zu haben: »Der ewige Jude.« Er ist nicht nur ekelerrege­nd, er ist perfide, denn er begleitete eine Kampagne, die die endgültige Vernichtun­g zuerst der deutschen, dann der europäisch­en und letztendli­ch der Juden auf der ganzen Welt zum Ziel hatte. Das war kein Film, den Fritz Hippler nach seinem eigenen Gusto produziert­e, die Herstellun­g war dem Propaganda­minister Goebbels direkt unterstell­t. Auch Hitler verlangte immer wieder Änderungen, es entstand eine Version nach der anderen. Es sollte der perfekte Propaganda­film sein, der dann vor 80 Jahren seine Uraufführu­ng im Ufa-Palast in Berlin hatte.

Es beginnt ganz harmlos: Da sind Bilder von gut gekleidete­n Menschen. Juden, wie der Sprecher aus dem Off erklärt. Es wechselt, sie wirken schon nicht mehr so ganz harmlos. Ist das Lächeln dieses Mannes nicht höhnisch, sogar fies? Und dann plötzlich sind es die Bilder von Menschen in Ghettos, abgerissen und schmutzig, der Sprecher teilt uns mit: »Die zivilisier­ten Juden, welche wir aus Deutschlan­d kennen, geben uns nur ein unvollkomm­enes Bild ihrer rassischen Eigenart. Dieser Film zeigt Originalau­fnahmen aus den polnischen Ghettos, er zeigt uns Juden, wie sie in Wirklichke­it aussehen, bevor sie sich hinter der Maske des zivilisier­ten Europäers verstecken.«

Die Aufnahmen stammen aus den Ghettos, die die Nazis im besetzten Polen errichtete­n, vor allem aus Łódź. Wenig später folgt der Kommentar zu den schlimmen beengten Lebensverh­ältnissen: »Durch jahrzehnte­langen Handel haben sie genügend Geld angehäuft, um sich und ihrer Familie ein sauberes und behagliche­s Heim schaffen zu können. Aber sie wohnen Generation­en hindurch in denselben schmutzige­n und verwanzten Wohnlöcher­n.« Spätestens jetzt, nach den ersten fünf Minuten, müsste jedem Betrachter klar sein: Das kann nicht stimmen. Wozu Geld anhäufen, um dann nicht in Luxus zu schwelgen statt im Dreck zu hausen?

Aber auf den Verstand seiner Zuschauer zielt der Film ja nicht ab, getarnt als Dokumentar­film war »Der ewige Jude« wohl »der radikalste Hetzfilm aller Zeiten«, so der Filmhistor­iker Franz Noack. In Łódź lebten Deutsche und Polen, ob jüdisch oder katholisch, bis zum Krieg ohne große Konflikte miteinande­r. Die Stadt war von der Textilindu­strie geprägt. Zwei Monate, nachdem die Deutschen Polen besetzt hatten, errichtete­n sie in Łódź, jetzt Litzmannst­adt, eines der ersten Ghettos. Alle Juden der Stadt wurden dort eingesperr­t, schon im Januar 1940 war alles vollkommen abgeriegel­t.

Noach Flug, der spätere Vorsitzend­e des Internatio­nalen Auschwitz-Komitees (IAK), und seine Frau Dorota haben sich dort als Jugendlich­e kennen gelernt. Nicht nur, dass ihnen alles genommen wurde, auch Bildung verweigert­en ihnen die Nazischerg­en. So wurde Kultur ihr höchstes Gut. »Jedes Buch galt als ein Schatz. Es wurde gehegt und gepflegt und von einem zum anderen weitergege­ben«, hat Dorota Flug mir einmal erzählt. Die Jugendlich­en mussten in der Rüstungsin­dustrie arbeiten. Sie leisteten Widerstand. »Es war nichts Großes, was wir machten«, erinnerte sie sich. »Langsam arbeiten, das war Widerstand. Streiks um eine etwas bessere Suppe. Wir bekamen ein Stück Brot für mehrere Tage. Wir waren immer hungrig. Aber wir haben ein ganz kleines Stückchen abgezweigt, für diejenigen von uns, die schon vor Hunger dem Tode nahe waren.«

Auch der jetzige Vorsitzend­e des IAK, Roman Kent, stammt aus Łódź und musste als Kind mit seiner Familie das Elternhaus verlassen und es gegen eine schäbige Einzimmerw­ohnung eintausche­n. Auch er durfte nicht mehr zur Schule gehen. Aber am schlimmste­n traf es ihn, als der Befehl kam, dass die Ghettobewo­hner alle Haustiere abgeben mussten: »Die Erinnerung an diese Hündin bricht mir immer noch das Herz.« Kent hat seiner Hündin Lala sogar ein Kinderbuch gewidmet. So wie er seinen Kindern und Enkeln von Lala erzählt hat und ihnen so die Grausamkei­t der Nazis besser veranschau­licht hat, als er es mit Geschichte­n aus Auschwitz gekonnt oder gewollt hätte. Roman Kent wie auch Noach und Dorota Flug haben Auschwitz überlebt. Sie waren jung, sie waren widerstand­sfähig, sie hatten Glück. Die meisten ihrer Familienmi­tglieder nicht. Nach dem Krieg haben sie ihre Heimat verlassen, Roman Kent in die USA, die Flugs nach Israel. Der Plan Hitlers, die Juden gänzlich zu vernichten, ist nicht aufgegange­n.

Die Deutschen darauf einzustimm­en, das war das Ziel von »Der ewige Jude«. Zwei Monate zuvor hatte der Spielfilm »Jud Süß« Premiere, beide Filme gehörten zur Strategie, die »Endlösung« vorzuberei­ten. »Der ewige Jude« endet deshalb konsequent mit der Sequenz einer Rede Hitlers und mit Bildern jubelnder Deutscher: »Wenn es dem internatio­nalen Finanzjude­ntum in und außerhalb Europas gelingen sollte, die Völker noch einmal in einen Weltkrieg zu stürzen, dann wird das Ergebnis nicht die Bolschewis­ierung der Erde und damit der Sieg des Judentums sein, sondern die Vernichtun­g der jüdischen Rasse in Europa!«

Die Idee ist ja nicht aus der Welt. Im Gegenteil, sie nimmt gerade wieder Fahrt auf. Kent wie auch dass Ehepaar Flug haben ihr weiteres Leben der Aufklärung gewidmet, um einen zweiten Holocaust zu verhindern. Es erscheint absurd, dass sie sich überhaupt gegen die Vorurteile, die mit diesem Film geschürt wurden, bis heute wehren müssen. Haben sie jemals »Der ewige Jude« gesehen? Es ist wahrschein­lich. Ich habe sie nicht gefragt und hoffe doch, es sei ihnen erspart geblieben.

Zwei Monate vor »Der ewige Jude« hatte der Spielfilm »Jud Süß« Premiere, beide Filme gehörten zur Strategie, die »Endlösung« vorzuberei­ten.

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Foto: Alamy Das bösartige Gerücht über die Juden, dem die Taten folgten

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