Brandmauer bekommt Risse
Sachsen-Anhalt: Koalitionskrise durch Streit um Rundfunkgebühr
Bleibt die CDU-Fraktion in Sachsen-Anhalt beim »Nein« zur Erhöhung des Rundfunkbeitrages, könnte die Regierungskoalition mit SPD und Grünen zerbrechen.
Cornelia Lüddemann hatte es sich in ihrem Wohnzimmer gemütlich gemacht – doch nach vorweihnachtlicher Behaglichkeit war der Grünen-Landtagsabgeordneten aus SachsenAnhalt, die auch Spitzenkandidatin für die Landtagswahl im kommenden Jahr ist, nicht zumute. Vielmehr wirkte sie verzweifelt. Senkte den Blick, zuckte mit den Schultern, schüttelte den Kopf. »Wenn dieses Bollwerk gegen rechts fällt«, sagte die Fraktionsvorsitzende und machte eine kurze Pause, »dann ist für mich auch die Geschäftsgrundlage dieser Koalition weg. Das tut mir in der Seele weh.«
Im Rahmen des Landesparteitages meldete sich Lüddemann am Freitagabend per Video aus ihrem Zuhause. Wegen der CoronaPandemie fand der Parteitag rein digital statt, aber die Grünen werden wohl dankbar sein, dass er überhaupt stattfand. Denn die Lage ist ernst. Die Regierungskoalition in SachsenAnhalt mit CDU und SPD, die Befürworter gern als »Bollwerk gegen rechts« bezeichnen – angesichts einer starken AfD, die bei der letzten Landtagswahl satte 23,4 Prozent holte –, steht so sehr auf dem Spiel wie nie zuvor.
Nachdem die CDU-Fraktion angekündigt hatte, bei der Landtagssitzung am 15. Dezember gegen den neuen Rundfunkstaatsvertrag und die damit verbundene Erhöhung des Rundfunkbeitrages um 86 Cent stimmen zu wollen, ist nicht nur die politische Landschaft in Sachsen-Anhalt ins Wanken geraten. Denn auch die AfD will wenig überraschend gegen die Erhöhung stimmen. Sollten die Konservativen bei einem »Nein« bleiben, würde sie damit zum wiederholten Mal gemeinsame Sache mit den Rechtsextremen machen. Dies käme aus Sicht vieler Beobachter einem »Dammbruch« gleich, wie er Anfang des Jahres in Thüringen zu beobachten war, als AfD und CDU den FDP-Kandidaten Thomas Kemmerich kurzzeitig zum Ministerpräsidenten wählten.
Noch vermeiden die Koalitionspartner SPD und Grüne eine klare öffentliche Positionierung, und doch wird immer klarer: Die Koalition könnte tatsächlich zerbrechen.
So blickte man auf dem Parteitag der Grünen in zwar kämpfende, aber doch ratlose Gesichter. »Das werden wir nicht mitmachen können, weil das gegen jede Grundüberzeugung von uns geht«, sagte Claudia Dalbert, einzige Grünen-Ministerin im Kabinett. Zwar wolle sie bis zum letzten Tag darum ringen, dass die Koalition Bestand hat. Doch das, so Dalbert, »wird nur passieren, wenn sich die CDU auf ihre Verantwortung besinnt«.
Auch die SPD hatte zuletzt den Druck auf die CDU erhöht. »Wir gehen davon aus, dass Haseloff ein hohes Interesse hat, die Koalition am Leben zu erhalten. Dann muss er jetzt dafür sorgen, dass der Regierungsentwurf eine Mehrheit bekommt«, wird Co-Landeschef Andreas Schmidt in einer Pressemitteilung zitiert. Zugleich schlagen die Sozialdemokraten vor, zusammen mit dem Zustimmungsgesetz einen Entschließungsantrag mit medienpolitischen Zielen – beispielsweise den Verzicht auf überzogene Intendantengehälter und eine stärkere Berücksichtigung Ostdeutschlands – zu verabschieden.
Einen solchen Antrag formulierte am Freitag die Linksfraktion und wandte sich in einem offenen Brief an den Ministerpräsidenten. Darin heißt es: »Wir fordern Sie auf, die von Ihnen postulierte Brandmauer gegen Rechts zu halten!« Aus ihrer Sicht würde ein Scheitern des Rundfunkstaatsvertrages vor allem Sachsen-Anhalt schaden, da der MDR als mitteldeutscher Regionalsender über besonders schlanke Strukturen verfüge.
Ob die CDU einen solchen Kompromiss mitträgt, ist ungewiss. Die Konservativen glauben offenbar, mit einem »Nein« zum Rundfunkbeitrag die Seele des Volkes anzusprechen. Laut einer ARD-Umfrage halten aber nur 19 Prozent der Sachsen-Anhalter den öffentlich-rechtlichen Rundfunk für verzichtbar, eine große Mehrheit spricht sich klar dafür aus. Ebenso haben mehrere Interessengemeinschaften und Verbände ihre Unterstützung für den Rundfunk kundgetan.