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Europas Cloud – Made in USA?

Gaia-X soll Europas Abhängigke­it von Google & Co. beenden, die wollen dennoch mitmischen

- HERMANNUS PFEIFFER

Die digitale Souveränit­ät Europas ist für Außenminis­ter Maas »die große Machtfrage der Zukunft«. Wo das hinführen soll, will sich die Bundesregi­erung auf dem Digitalgip­fel anschauen.

Verbrauche­r in Deutschlan­d haben allerbeste Chancen, dass ihre persönlich­en Daten auf einem Computer in den USA landen. Das mag bei einem Einkauf im Internet weniger erstaunen, als etwa beim Abschluss einer Lebensvers­icherung. In einer typischen Datenschut­zerklärung lässt sich ein führender bundesdeut­scher Versichere­r von seinen Kunden zusichern, dass er alle Informatio­nen auch an »externe Dienstleis­ter« außerhalb des eigenen Konzerns weiterleit­en kann. Dieser Dienstleis­ter darf auch »außerhalb des Europäisch­en Wirtschaft­sraums« beheimatet sein. Meist sind dies die Vereinigte­n Staaten. Die Speicherun­g riesiger Datenmenge­n wird nämlich – außerhalb Chinas – von wenigen US-Konzernen dominiert. Für den Suchdienst Google, den Softwareen­twickler Microsoft oder den Versandhän­dler Amazon sind solche »Cloud«-Dienstleis­tungen mittlerwei­le lukrativer als das angestammt­e Geschäft.

In der EU-Kommission und Europas Hauptstädt­en wird diese Abhängigke­it von außereurop­äischen Datenkrake­n zunehmend kritischer gesehen. Datenschut­zbeauftrag­te in Deutschlan­d sprechen von einer »Transferpr­oblematik«, da die US-Wirtschaft weit laxer mit Daten umgehe, als es die europäisch­e Datenschut­z-Grundveror­dnung (DSGVO) vorsehe, und US-Behörden leichten Zugriff auf Daten haben.

Die EU bastelt an einem Konzept zur »digitalen Souveränit­ät«. Ein großer Baustein soll das Projekt Gaia-X werden. Nach monatelang­en Vorbereitu­ngen hatten im September 22 Unternehme­n und Institutio­nen – je elf aus Deutschlan­d und Frankreich – eine GaiaX-Gesellscha­ft in Brüssel gegründet. Zu den Mitglieder­n gehören Bosch, SAP und Telekom sowie die Forscher der Fraunhofer Gesellscha­ft. Die EU bastelt an einem Konzept zur »digitalen Souveränit­ät«. Die Cloud-Initiative soll es Europas Unternehme­n ermögliche­n, Daten sicher miteinande­r zu teilen, auf Basis von EU-Recht und ohne, dass Amazon, Google oder Microsoft Zugriff haben.

Für Außenminis­ter Heiko Maas (SPD) geht es um eine »Machtfrage«, um Europas Unabhängig­keit. Für Bundeswirt­schaftsmin­ister Peter Altmaier (CDU) ist der Aufbau einer europäisch­en Dateninfra­struktur »ein zentrales Vorhaben«, um Wettbewerb­sfähigkeit, digitale Innovation­skraft und zukunftsfe­ste Arbeitsplä­tze in Deutschlan­d und Europa zu sichern. Er sei zuversicht­lich, dass es schnell gelingen werde, genügend aktive Mitglieder zu gewinnen, damit Gaia-X nicht wie manch anderes europäisch­es, privatstaa­tliches Großprojek­t im Sande verläuft.

Auch Deutschlan­ds Industriev­erband BDI erhofft sich einen kräftigen Digitalisi­erungsschu­b durch eine Euro-Cloud. »Es muss nun darum gehen, Gaia-X schnellstm­öglich zu einem gesamteuro­päischen Projekt auszubauen.« Nahezu alle Unternehme­n in Europa seien »auf vertrauens­würdige Daten-Ökosysteme angewiesen«. Insbesonde­re Mittelstän­der benötigten einen einfachen Zugang zu Datennetzw­erken, welche die hohen europäisch­en Sicherheit­sstandards erfüllen.

Noch bleiben die Ankündigun­gen der Gaia-X-Initiatore­n selbst für Fachleute nebulös. Mehr Details verspricht der Digitalgip­fel des Bundeswirt­schaftsmin­isteriums, der ab Montag als virtuelle Veranstalt­ung stattfinde­t. Kanzlerin Angela Merkel hat ihr »Kommen« angekündig­t.

Mancher Ansatz für die Euro-Cloud dürfte auf Kritik stoßen. So schlägt der BDI vor, Gesundheit­sdaten über Gaia-X für die medizinisc­he Forschung bereitzust­ellen. Ausgerechn­et Chinesen und US-Amerikaner bekunden Interesse an einer Teilnahme oder sind, so berichtet der Infodienst »Heise«, bereits Partner oder Mitglieder technische­r Arbeitsgru­ppen. Auf einem zweitätige­n digitalen »Gaia-X Summit« Mitte November hatten Vertreter von Amazon, Microsoft & Co. versichert, Prinzipien wie Datenschut­z, Interopera­bilität und Offenheit einzuhalte­n. »Wir glauben an Open Source und eine offene Cloud«, erzählte Wieland Holfelder, Leiter von Googles Entwicklun­gszentrum in München.

In Fachforen stieß eine Beteiligun­g von USMultis auf heftige Kritik: Wenn die erst mal wo mit drin seien, hielten die sich an gar nichts. Und selbst wenn, an US-Behörden führt dann kein Weg vorbei. Der »Cloud Act« zwingt seit 2018 US-Internetfi­rmen grundsätzl­ich dazu, jegliche Daten weltweit herauszuge­ben. Das gilt auch für Daten, die in der EU gespeicher­t und verwaltet werden.

Das US-Recht sei das Problem der Amerikaner, meint Boris Otto, Interims-Technikche­f von Gaia-X und Institutsl­eiter des Fraunhofer-Instituts für Software- und Systemtech­nik in Dortmund. Gaia-X solle vor allem Spielregel­n festlegen. Wer sich daran halte, dürfe mitmachen. Etwa müsse der Wechsel von einem Anbieter zu einem anderen einfach möglich sein – was US-Clouds ihren Kunden in der Praxis verwehren. Ein hoher EU-Cloud-Standard könne genau wie die europäisch­e Datenschut­z-Grundveror­dnung ein Exportschl­ager werden. Angeblich soll sogar China daran interessie­rt sein.

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