nd.DerTag

Weihnachte­n zu dritt

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In Berlin sollen wegen der Coronakris­e maximal fünf Personen zusammen Weihnachte­n feiern dürfen, plus Kinder bis zum Alter von 14 Jahren. Bei einer Familie mit drei älteren Kindern müssen die Großeltern wegbleiben. Weiß der Senat, dass diese im Bundesverg­leich harte Vorschrift in der Praxis nicht durchsetzb­ar ist? Sicher wird der eine oder andere Bürger hinter der Gardine stehen und die Nachbarn bei der Polizei melden. Doch wie viele Einsätze sollen die Beamten fahren? Wir wissen doch, dass die Bevölkerun­g dieser Stadt nicht geneigt ist, durchaus vernünftig­e Regeln zu akzeptiere­n. Als Fußgänger oder Radfahrer beachten gefühlt allenfalls zehn Prozent der Einwohner rote Ampeln. Dabei geht es doch bei den Verkehrsre­geln darum, Tote und mit Verletzten überfüllte Kliniken zu vermeiden.

Ich persönlich halte mich an Regeln, wenn es nichts schaden kann. Ich warte an der roten Ampel. Ich bin seit anderthalb Jahren nicht mehr im Urlaub gewesen und habe so lange auch meine Eltern nicht mehr besucht, obwohl das zwischendu­rch möglich gewesen wäre. Aber mein Vater hatte nun einmal trotzdem Angst vor einer Ansteckung. Dafür habe ich Verständni­s, genauso wie für Jugendlich­e, die von den Beschränku­ngen genervt sind. Ich habe sogar ein ganz kleines bisschen Verständni­s für diejenigen in der linken Szene, die sonst immer alles äußerst kritisch sehen, aber aktuell die Maßnahmen der Regierung zur Eindämmung der Pandemie kaum hinterfrag­en und Protestdem­onstration­en am liebsten gleich verbieten möchten.

Es ist schwer geworden, sich zu orientiere­n. Es gibt AfD-Anhänger, die strenge Kontaktbes­chränkunge­n wünschen, und Linke, die bei den Querdenker­n mitlaufen. Bei der Beurteilun­g der Lage geht der Riss durch Familien und Freundeskr­eise.

Ich persönlich war diesen Sommer angesichts zwischenze­itlich sehr geringer Coronazahl­en skeptisch gegenüber den aufrecht erhaltenen Beschränku­ngen, ohne sie deswegen zu verletzen.

Als die Zahl der Toten hochschnel­lte und die Intensivst­ationen sich dann doch rasch füllten, habe ich meine Einschätzu­ng überdacht. Wir werden Weihnachte­n zu dritt feiern und mit den Großeltern nur telefonier­en. Die Polizei werde ich nicht anrufen.

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FOTO: ND/ULLI WINKLER Andreas Fritsche hält sich an die Regeln, auch wenn er zuweilen skeptisch ist.

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