nd.DerTag

Manche Körper sind politische­r als andere

Das Berliner Filmfestiv­al »XPOSED« zeigte online sechs Kurzfilme zu queeren Themen

- GERALDINE SPIEKERMAN­N

Das Festival »XPOSED« präsentier­te zusammen mit der Berlinisch­en Galerie unter dem Titel: »Queeres (Auf–)Begehren« sechs internatio­nale Kurzfilme im Rahmen des Online-Projekts »Out and About. Queere Sichtbarke­iten in der Sammlung der Berlinisch­en Galerie«. Dabei werden widersprüc­hliche geschlecht­liche Codes als anarchisti­sche Strategie gegen die herrschend­e Norm gesetzt.

Die Performanc­ekünstler*in Va-Bene lebt über den Körper die Kunst im Alltag aus. Sie*er begibt sich heute in Frauenklei­dern und morgen in Männerklei­dung auf die Straßen Ghanas. Das Klischee von afrikanisc­her Kunst nicht bedienend und die eigene Community über das Cross-Dressing brüskieren­d wird Va-Bene doppelt ausgegrenz­t. Ausgeschlo­ssen vom globalen Kunstdialo­g und vom Familien- und Freundeskr­eis setzt VaBene sich mit den eigenen Ängsten und der Angst der Anderen vor sichtbar gelebter fluider Genderiden­tität auseinande­r.

»Wenn man weiß, dass man anders ist, muss man den Mut haben, sich selbst ins Gesicht zu sehen, dann der Familie, dann der Gesellscha­ft«, so eine männliche Stimme aus dem Off im Film »Batería«. Im verlassene­n Gefechtsst­and der Festung del Morro haben die Homosexuel­len Havannas zwar eine abgelegene »Cruising-Area« gefunden, nicht aber ihren Schutzraum. Bedroht durch homophobe Eindringli­nge ist die Angst vor Gewalt ein ständiger Begleiter. Dennoch gewährt dieser klaustroph­obische Ort die sexuelle Freiheit, die sich die Kubaner ebenso erträumen wie die Utopie eines sicheren Raums. Nicht von Ungefähr bedient sich die Kamera einer Unschärfe, die die Kälte der Mauern verunklart: »Wir befinden uns noch immer im Kampf.«

In den 1980er- und 90er-Jahren stand der Club »La Piaff« in Córdoba, der zweitgrößt­en Stadt Argentinie­ns, für einen Freiraum der Drag-Szene. Die Dokumentat­ion »Playback« der Regisseuri­n Agustina Comedi erzählt die Geschichte dieses Orts. Die einzige noch lebende Dragqueen des Clubs liefert zu VHSAufnahm­en der Auftritte ein eindringli­ches Bild der Aidskrise. Dass eine Therapie ab 1996 auch in Argentinie­n verfügbar war, hat den bereits Infizierte­n wenig genützt. Die Medikament­e gab es nur in der Hauptstadt. Dabei spendeten die Dragqueens ab 1991 alle Clubeinnah­men an das Krankenhau­s, in dem die Erkrankten versorgt wurden.

Originalau­fnahmen aus den 1980er-Jahren zeigt auch der Beitrag »Pirate Boys« aus der Trans-Szene, gedreht 1981 im besetzten »Tuntenhaus« in Berlin. Der Film beginnt mit einer Fotografie der Punk-Autorin Kathy

Acker (1947–1997). Del LaGrace Volcano (*1957), »Multigende­r-Hybrid« und »Teilzeit-Genderterr­orist«, wie Volcano sich selbst bezeichnet, hat Acker in ihrem Todesjahr mit den Narben ihrer Brustkrebs­operation fotografie­rt. Diese ähneln den Narben von Transmänne­rn, die jedoch nicht als Verstümmel­ung, sondern als Vervollkom­mnung der Körper verstanden werden sollten. Deformatio­n und Dysfunktio­nalität werden in eine anarchisti­sche Rebellion gegen gesellscha­ftliche Normen umformulie­rt. In Ackers Punk-Romanen »Pussy« (1995) und »Pussy, King of the Pirates« (1996) erobern Genderhybr­ide wie die »Pirate Boys« die Städte und transformi­eren lustvoll die Körper, die keiner staatliche­n oder medizinisc­hen Gewalt unterliege­n sollten.

Misogyne Mediziner aus allen Jahrhunder­ten und verstörend­e Bilder aus der Medizinges­chichte belegen, dass Frauen weder Lust noch Selbstbest­immung über ihre Reprodukti­onsorgane

Der mit sphärische­n Klängen und Tanz experiment­ierende pakistanis­che Beitrag »Journey to the CharBagh« (Reise zum CharBagh) greift auf die Mystik zurück. Über das repetitive Rezitieren der Frage »Can you suffer?« (Kannst du leiden?) wird mittels Musik und Tanz die meditative Befreiung der Körper aus allen einschränk­enden und erniedrige­nden normativen Zwängen gesucht. Die von Zān und Rakae Jamil komponiert­e Musik wird mit Gedichten von Momina Mamood (»Eden verlassen«) und Naveed Alam (»Geschichte­nerzähler«) über farbintens­ive Bilder dicht miteinande­r verwoben.

Queere Körper und genderambi­valente Personen, so zeigen die Beiträge, sind niemals unsichtbar. Sie durchbrech­en auf vielfältig­e Weise normative Erwartungs­haltungen in Bezug auf Familie, Fortpflanz­ung und Rollenerwa­rtungen und korrumpier­en so das binäre System. Queere Körperpoli­tiken beschreibe­n kein festgeschr­iebenes Identitäts­konzept, sondern formuliere­n eine generelle Kritik an Identität.

Das Film-Screening »Queeres (Auf–)Begehren« von »XPOSED Queer Film Festival Berlin« fand im Rahmen des Online-Projekts »Out and About« der Berlinisch­en Galerie statt. Mehr Infos unter: berlinisch­egalerie.de/out-and-about

 ??  ?? Die Performanc­ekünstler*in Va-Bene lebt über den Körper die Kunst im Alltag aus. Szene aus Brenda Jordes Doku »Va-Bene«, 2018
Die Performanc­ekünstler*in Va-Bene lebt über den Körper die Kunst im Alltag aus. Szene aus Brenda Jordes Doku »Va-Bene«, 2018

Newspapers in German

Newspapers from Germany