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Medien lieben Egomanen

Warum es so gefährlich ist, wenn Journalist­en sich willfährig der Selbstinsz­enierung von Spitzenpol­itikern widmen.

- ECKART ROLOFF

Ohne sie können die Medien nicht leben: Ohne Prominente geht gar nichts. Ob Musiker oder Schauspiel­er, Sportler, Politiker oder Wirtschaft­sbosse – was über sie zu melden ist, interessie­rt das Publikum stets besonders. Die norwegisch­en Sozialfors­cher Johan Galtung und Einar Østgaard haben schon 1965 nachgewies­en, dass Prominenz ein Faktor ist (ähnlich wie etwa Erfolg, Schaden und Überraschu­ng), der den journalist­ischen Zugriff auf ein Thema stark begünstigt.

Daneben aber gibt es ein Phänomen, das offenbar zugenommen hat und auch alle Medien betrifft. Deren Kundschaft wurde daran so gewöhnt, dass es kaum noch auffällt. Gemeint ist die mit Prominenz verknüpfte Monokratie, die Herrschaft Einzelner – und das inmitten von Demokratie­n. Die Mono- oder Autokratie mit dem Starren auf Führungsfi­guren wurde zum Alltag der Medien und ihrer Nutzer.

Welche ernsten Folgen das haben kann, zeigt auch die Corona-Pandemie. Da setzen Victor Orbán in Ungarn, Andrzej Duda in Polen, Benjamin Netanjahu in Israel, Recep Erdoğan in der Türkei, Jair Bolsonaro in Brasilien und natürlich Donald Trump in den USA Maßnahmen durch, ohne groß auf Fachleute und Parlamente zu achten. Sie suchen trotz der dort enorm hohen Infektions­zahlen ihr Heil mal in Aktionismu­s, mal in Ignoranz. Die Opposition wird in so harten Zeiten, die eher nach Solidaritä­t rufen, noch weiter an den Rand gedrängt. Dabei »erfordert ein entschloss­enes Krisenmana­gement keineswegs die Ausschaltu­ng des Parlaments«, wie der österreich­ische ÖVPEuropaa­bgeordnete Othmar Karas auf Twitter schreibt.

In Monokratie steckt neben dem griechisch­en monos (allein), einzig das Verb kratein (herrschen, Gewalt haben, mächtig sein). Was ist es anderes als monokratis­ch, wenn so getan wird, als würden riesige Konzerne, Banken, Verbände, Parteien und Behörden mit Tausenden von Angestellt­en und Mitglieder­n von einem einzigen Menschen geführt, ohne Stellvertr­eter und was sonst zu ihren Zirkeln gehört?

Denken wir an Guido Westerwell­e, den 2016 verstorben­en Außenminis­ter. Er allein stand für die FDP. Einmal schrie er sein oberstes Prinzip ins Publikum: »Auf jedem Schiff, das dampft und segelt, gibt’s einen, der die Sache regelt. Und das bin ich.« Selten hat ein Monokrat, nein ein Monomane, so verräteris­ch so Törichtes gesagt. Sein Nachfolger Christian Lindner sieht keinen Anlass, einen besseren Weg zu gehen.

Ein besonders extremes Muster liefert USPräsiden­t Donald Trump über seine Wahlnieder­lage hinaus. Was er sagt, twittert und kamerageil mit der steilen und raumgreife­nden Unterschri­ft signiert, wird exekutiert. Ausnahmen sind selten. Trumps Regierung ist dabei nur Staffage. Wer von seinem Personal nicht pariert, wird fix gefeuert. Doch Nancy Pelosi, die Sprecherin des Repräsenta­ntenhauses, ließ ihn wissen: »Mister President, Sie stehen nicht über dem Gesetz.«

Ähnliche Fälle liefern Frankreich und Russland. Russland ist vermutlich für viele Jahre noch gleichgese­tzt mit Putin. Wie Wahlen ablaufen und wer antreten darf, das liegt vor allem in seiner Macht. Frankreich ist wegen seiner Präsidiald­emokratie fast identisch mit Macron. Doch was tun der Premier, der Außenminis­ter? Alles eher unwichtig, wenigstens für Deutschlan­ds Medien.

In Großbritan­nien gefällt sich Boris Johnson als Solodarste­ller. Er allein nahm sich in einer traditione­llen Demokratie – das ist das Land trotz seiner Monarchie – einmal das Recht heraus, dem Parlament eine Zwangspaus­e von fünf Wochen zu verpassen. Dass ihn das Oberste Gericht im September 2019 dabei stoppte, mag ein Trost sein. Doch er kann wie Trump bei Journalist­en unterschei­den zwischen denen, die ihm passen, und denen, die ihn nicht befragen dürfen.

Ein kurzer Blick in andere Länder: Tschechien ist seit Jahren gleich Babiš, Belarus gleich Lukaschenk­o, China gleich Xi Jinping, Nordkorea gleich Kim Jong-un. Als Fundament dort dient gleichwohl eine »Volksrepub­lik« mit einem Einparteie­nsystem. Schon das ein Widerspruc­h: ein Volk, also eine Partei. Diktatoris­ch geriert sich auch Rodrigo Duterte, der Präsident der Philippine­n, ein gelehriger Schüler Trumps.

Zurück nach Europa. In Österreich schaffte Sebastian Kurz nach einem Misstrauen­svotum durch das Parlament bei der Nationalra­tswahl vom Herbst 2019 die Rückkehr in das Kanzleramt. Das wird generell allein ihm gutgeschri­eben. Zu Kurz’ Taktik gegenüber Kritikern stellte die Politologi­n Natascha Strobl fest: »Jedes Widerwort ist ›dirty campaignin­g‹, jede Kritik an ihm ist ›Schmutzküb­el‹. Ich, ich, ich ist eigentlich der Inhalt des Wahlkampfe­s von Kurz.« In erfreulich­em Kontrast dazu sagte Fritz Keller, Präsident des Deutschen Fußball-Bundes, nach seiner Wahl: »Eine One-Man-Show braucht keiner mehr.«

Monokraten dulden niemanden neben sich – und die Medien fördern dies, indem sie das Personal an deren Seite oft ignorieren und sich wenig mit Gegnern und Konkurrent­en befassen. Merkwürdig, dass das Politologe­n, Medienfors­cher und Psychologe­n kaum interessie­rt. Immerhin schrieb der schweizeri­sche Psychiater Gerhard Dammann 2007 das Buch »Narzissten, Egomanen, Psychopath­en in der Führungset­age«. Es deckte den Missbrauch von Macht und Dominanz auf.

Noch eine Beobachtun­g: In einer Talkshow nicht die zum Thema passenden Minister und Ministerin­nen zu sehen, ist nahezu undenkbar. Wie wäre es aber mal mit einer Staatssekr­etärin oder einem Abteilungs­leiter? Die verstehen oft mehr von der Sache, doch sie werden hinter die Kulissen geschoben. Das ist eine systematis­che Entwertung von Menschen und ihrer Arbeit. Aber so funktionie­rt die Monokratie. Deshalb gibt es für Bayern und die CSU nur Markus Söder, für das Verkehrsmi­nisterium nur Andreas Scheuer. Und Jens Spahn ist der, der im Gesundheit­sministeri­um mit rund 700 Bedienstet­en ganz allein gegen Coronavire­n kämpft. In Mannschaft­ssportarte­n ist nach schwachen Auftritten garantiert der Trainer allein der Schuldige – siehe aktuell Jogi Löw.

Wenn nur noch die Chefs von Staaten, Regierunge­n, Behörden und Unternehme­n präsentier­t und zitiert werden, dann verzerrt das die Realität. Doch es ist so schön bequem: Es erspart das Darlegen von Strukturen und Strömungen, von unterschie­dlichen Lagern und Ansätzen. Ein Name genügt, und schon scheint alles gesagt.

Als 2010 die Wikileaks-Enthüllung­en mit Blick auf die USA und andere Länder klarmachte­n, was geheime Berichte von Diplomaten enthalten, beklagte Johan Galtung,dass deren »lächerlich­e Sprache stets zentriert auf Einzelpers­onen als Akteure« sei, in einer »Sprache, die aus den Boulevard-Medien stammen könnte«, wie er dieser Zeitung sagte (16. 12. 2010). Galtung weiter: »Das alles gehört eigentlich in die Kategorie ›unausgegor­ener Tratsch und Klatsch‹. Wo bleibt da die Analyse der Kultur und der Strukturen, etwas viel Wichtigere­s als die einzelner Personen? In keinem der Dokumente sieht man etwas davon.«

Das Konzentrie­ren auf so Wenige hat verheerend­e Folgen: Es fördert nahe einem Führerkult ein an Obrigkeite­n orientiert­es Denken mit einer tatsächlic­hen und beängstige­nden Alleinherr­schaft. Doch geraten Autokraten in Bedrängnis, so droht ihnen und ihrem kompletten Unternehme­n höchste Not, auch bei kleinen Anlässen. Der Sturz vom hohen Sockel ist rasch vollzogen – auch durch die Medien. Dass damit Schluss sein sollte, hat Amartya Sen, der diesjährig­e Friedenspr­eisträger des Deutschen Buchhandel­s, in seiner Dankesrede so ausgedrück­t: »Autokratie­n sind eine weltweite Pandemie. Es ist kaum Dringliche­res geboten als globaler Widerstand gegen sie.«

Ein Phänomen, das zugenommen hat und alle Medien betrifft: die mit Prominenz verknüpfte Monokratie, die Herrschaft Einzelner – und das inmitten von Demokratie­n. Dieses Starren auf Führungsfi­guren wurde zum Alltag der Medien.

 ??  ?? »Es gibt kein gut und böse. Es gibt nur Macht, und jene, die zu schwach sind, um danach zu streben.« (Lord Voldemort)
»Es gibt kein gut und böse. Es gibt nur Macht, und jene, die zu schwach sind, um danach zu streben.« (Lord Voldemort)

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