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Auf die harte Tour Ann-Katrin Berger ist 30, hat den Krebs besiegt und steht nun zum ersten Mal im Tor der deutschen Fußballeri­nnen.

Ann-Katrin Berger ist 30, hat den Krebs besiegt und steht jetzt im DFB-Tor

- FRANK HELLMANN, FRANKFURT AM MAIN

Drei Jahre nach ihrer Krebsopera­tion soll Ann-Katrin Berger am Dienstag für die deutsche Fußball-Nationalma­nnschaft debütieren. Mit guten Leistungen will sie noch auf den Zug zur EM aufspringe­n, die in ihrer Wahlheimat ausgetrage­n wird.

Es ist fast drei Jahre her, als bei Ann-Katrin Berger mehr als nur die Karriere auf dem Spiel stand. Die Schwäbin hütete damals das Tor der Birmingham City Ladies, als die niederschm­etternde Diagnose Schilddrüs­enkrebs eintraf. Schon vier Monate nach der Operation stand sie jedoch wieder in der englischen Women’s Super League (WSL) auf dem Fußballpla­tz. Anfangs habe sie, erzählt die Torhüterin heute, natürlich Zweifel gehabt, »viele Menschen sind schon am Krebs gescheiter­t«. Aber nach dem Gespräch mit ihrem Arzt sei ihr bewusst geworden, dass alles wieder in Ordnung komme. »Ich war schon immer ein Kämpfertyp, habe es immer auf die harte Weise lernen wollen.«

Für die 30-Jährige geht nun ein Kindheitst­raum in Erfüllung, wenn sie an diesem Dienstag in Dublin für die deutsche Frauen-Nationalma­nnschaft gegen Irland (18 Uhr, Sport1) debütieren darf. Die inzwischen für den FC Chelsea spielende Torhüterin kann das letzte EM-Qualifikat­ionsspiel so wenig erwarten wie Kinder die weihnachtl­iche Bescherung. »Der Tag kann gar nicht schnell genug kommen«, sagt Berger, die lange auf diesen Einsatz hingearbei­tet hat. »Ich bin einen anderen Weg gegangen, vielleicht den schwereren Weg. Aber ich bin für diesen Moment auf die Welt gekommen.« Zeitweise plagte sie nach dem tiefen Operations­schnitt in den Hals das Gefühl, dass ihr Kopf kein Teil ihres Körpers mehr war, so fremd fühlten sich manche Bewegungen an. Nacken- und Schultermu­skulatur musste sie ganz neu aufbauen. Aber sie ließ nie locker: »Jeder weiß ja, dass Torhüter auf ihre Art und Weise verrückt sind.«

Bälle fangen verlerne der Mensch ebenso wenig wie Fahrrad fahren, erläutert sie lapidar. »Danach habe ich mich noch stärker gefühlt. Ich habe Fußball noch mehr aufgesogen.« Doch es hat viel Zeit gebraucht, alles zu verarbeite­n. Erst kürzlich bei einem Gespräch mit ihrer neuen Vereinskol­legin Melanie Leupolz wurde ihr gewahr, dass sie volle drei Jahre brauchte, um sich ins Bewusstsei­n zu rufen, »was ich geleistet habe«. Zwischenze­itlich musste sie das »Gehirn ausschalte­n und einfach nur funktionie­ren«.

Ihr Aufstieg in der vergangene­n Saison zur Stammtorhü­terin beim englischen Meister machte sie auch fürs Nationalte­am interessan­t. »Seit Beginn meiner Tätigkeit als Bundestrai­nerin habe ich sie auf dem Schirm«, verrät Martina Voss-Tecklenbur­g. Sie lud Ann-Katrin Berger zunächst nur zu Lehrgängen ein, um einander kennenzule­rnen. »Ich erlebe sie als in sich ruhenden Typ. Sie trifft auf dem Platz mutige Entscheidu­ngen, das spiegelt ihren Lebensweg wider«, findet die Bundestrai­nerin. »Sie weiß, was Lebensprio­ritäten sind. In einem Länderspie­l kann sie sich als Persönlich­keit einbringen.«

Für Berger soll es nicht bei einem Intermezzo bleiben. Die EM 2022 findet schließlic­h in ihrer Wahlheimat England statt: Bei dem Turnier dabei zu sein, sagt sie, stehe definitiv auf ihrer To-do-Liste. Folglich deutet sich ein spannender Mehrkampf zwischen völlig verschiede­nen Charaktere­n um die Nummer eins an. »Der Kampf um die Plätze wird immer forciert – auf allen Positionen. Im Torhüterin­nenbereich ist das extrem spannend«, sagt VossTeckle­nburg. »Wenn Almuth Schult es schaffen sollte, in alter Stärke zurückzuko­mmen, haben wir vier Torhüterin­nen, die für Deutschlan­d bei einem Turnier spielen können.« Aktuell sei aber Merle Frohms von Eintracht Frankfurt führend.

Die bereits 2014 von Turbine Potsdam ins Ausland gewechselt­e Ann-Katrin Berger ist die Kandidatin, die nur noch gewinnen kann. »Ich lebe noch bewusster, empfinde nichts mehr als normal, bin noch dankbarer«, sagt sie. Kein Wunder, gerade steckt auch ihr Leben wieder voller Risiken: Speziell für krebskrank­e Menschen stellt das Coronaviru­s eine gefährlich­e Bedrohung dar. Sie gehört zur Gruppe der Risikopati­enten, »weil mir ja die Schilddrüs­e und zwei Lymphknote­n fehlen«. Auf dem Platz ist davon nichts zu spüren. Mit ihrer starken Physis wird der gesamte Strafraum zum Hoheitsgeb­iet von Berger. Aktuell hat der Weltverban­d Fifa die 1,80 Meter große Athletin sogar zur Wahl als »Welttorhüt­erin des Jahres« nominiert. »Schon unter diesen besten sechs zu sein, fühlt sich für mich wie ein Sieg an«, sagt Berger. Ihre Mutter habe bei der Nachricht noch emotionale­r reagiert: »Sie hat sich bei der Arbeit ein kleines Eck gesucht und vor Freude geheult. Für alles, was ich durchmache­n musste.«

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FOTO: IMAGO IMAGES/PA 2022 will AnnKatrin Berger im deutschen EM-Tor stehen.

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