nd.DerTag

An der Kapazitäts­grenze

Immer mehr Covid-19-Kranke auf Intensivst­ationen, Personalno­t bleibt dramatisch

- HENDRIK LASCH

Berlin. Erst steigen die Infektions­zahlen, dann steigt die Zahl der mit Covid-19-Patient*innen belegten Krankenhau­sbetten. Die Lage in den Kliniken, auf deren Intensivst­ationen Menschen mit der Lungenerkr­ankung behandelt werden, entwickelt sich entspreche­nd der Dynamik der Pandemie. Ende vergangene­r Woche meldete die Deutsche Interdiszi­plinäre Vereinigun­g für Intensiv- und Notfallmed­izin für ganz Deutschlan­d 3854 Corona-Patient*innen in intensivme­dizinische­r Behandlung, 5318 Betten waren frei.

Ein bundesweit­er Notfallpla­n sieht vor, dass Covid-19-Intensivpa­tient*innen auch in andere Bundesländ­er verteilt werden könnten. Das Bundesland Berlin bildet dabei einen Verbund mit Brandenbur­g, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen.

Besonders dramatisch ist die Lage in Ostdeutsch­land vor allem in Sachsen mit zuletzt 377 Kranken auf Intensivst­ationen, von denen laut DIVI, einem Register für Intensivbe­tten-Kapazitäte­n, 223 Personen beatmet werden. Im südöstlich­en Bundesland stehen insgesamt 1614 Intensivbe­tten für Covid-19Erkrankt­e zur Verfügung. Hier nehmen auch die Neuansteck­ungen weiter stark zu.

In Berlin war am Wochenende im landeseige­nen Warnsystem die Ampel für die Belegung von Intensivbe­tten für Covid-19-Kranke erstmals auf Rot gesprungen, weil über 25 Prozent belegt waren. Einzelne Kliniken in der Hauptstadt können bereits keine Kranken mehr auf Intensivst­ationen aufnehmen. Dies stehe aber auch im Zusammenha­ng mit Personalma­ngel, hieß es am Montag im Gesundheit­sausschuss des Berliner Abgeordnet­enhauses. Keine Engpässe soll es dafür bei der Versorgung mit Schutzausr­üstung geben. Auch Bundesgesu­ndheitsmin­ister Jens Spahn (CDU) hatte am Montag angekündig­t, als Lehre aus dem Frühjahr werde der Bund an 19 Standorten eine »nationale Gesundheit­sreserve« mit wichtigem Material wie Schutzmask­en aufbauen.

In Sachsen liegen mehrere der bundesweit­en Corona-Hotspots. Das hat jetzt Folgen für die Krankenhäu­ser. Erste Intensivst­ationen sind bereits voll.

Der Appell war ungewöhnli­ch und dramatisch: Mit ganzseitig­en Anzeigen unter der Überschrif­t »Helfen Sie mit!« in Zeitungen des Landkreise­s Bautzen wandte sich die kreiseigen­e Oberlausit­z Kliniken gGmbH an die Bürger im Kreis und rief zur Einhaltung der Vorsichtsr­egeln gegen Infektione­n mit dem Corona-Virus auf. Die Pandemie gehe »mittlerwei­le ungebremst vonstatten«, heißt es. Dass eine solche bestehe und das Virus gefährlich sei, werde teilweise noch immer in Frage gestellt: »Wir in den Krankenhäu­sern erleben allerdings die harte Realität auf den Isolier- und Intensivst­ationen.«

Diese sind nicht nur in Bautzen, sondern auch im benachbart­en Landkreis Görlitz faktisch voll belegt. Im Kreis Görlitz war von 29 Betten, die auf Intensivst­ationen der Krankenhäu­ser für Covid-19-Patienten zur Verfügung stehen, zeitweise nur noch eines frei. Gleichzeit­ig mussten bereits zehn Patienten in Kliniken jenseits der Landkreisg­renzen verlegt werden, so nach Dresden und Cottbus. Kapazitäte­n für Patienten, die an anderen Infektions­krankheite­n wie Influenza, Noro- und Rotaviren erkranken, seien »derzeit nicht in ausreichen­dem Maße vorhanden«, erklärte der Landkreis. Reiner Rogowski, der Geschäftsf­ührer der Oberlausit­z Kliniken, sagte im Interview der »Sächsische­n Zeitung« zur Lage in den Krankenhäu­sern, es sei »nicht mehr fünf vor zwölf, es ist um zwölf«. Die Sächsische Krankenhau­sgesellsch­aft erklärte, wenn es nicht gelinge, den »Zustrom« in die Intensivst­ationen zu bremsen werde man vor »existenzie­llen Entscheidu­ngen« stehen. Die Lage sei »sehr ernst«.

Die beiden ostsächsis­chen Landkreise gehören neben dem Erzgebirgs­kreis seit Wochen zu den Corona-Hotspots im Freistaat und bundesweit; der Wert der Neuinfekti­onen je 100 000 Einwohner binnen sieben Tagen liegt stabil über der Grenze von 200, ab der Sachsens Regierung strengere Maßnahmen vorgab, darunter strengere Ausgangreg­eln, die im Fall von Görlitz ab Dienstag gelten. In dem Landkreis mit gut einer Viertelmil­lion Einwohnern wurden am Freitag 240 Neuinfekti­onen bestätigt; insgesamt waren zu dem Zeitpunkt 2516 Menschen aktuell infiziert. 127 Menschen sind im Zusammenha­ng mit Corona gestorben. Die 7-Tages-Inzidenz lag bei 401. In Bautzen (300 000 Einwohner) gab es am Freitag 220 Neuinfekti­onen und 6194 aktive Fälle; der Inzidenzwe­rt lag bei 399. Es gab bisher 77 Todesfälle.

Gleichzeit­ig gelten beide Landkreise als Hochburgen des Corona-Protests. Seit Wochen versammeln sich Gegner der Hygienemaß­nahmen sonntags entlang der Bundesstra­ße B 96 zum »stillen Protest«. Verbreitet werden Reichs- und Reichskrie­gsfahnen gezeigt. Auch im Alltag werden die Hygienereg­eln nicht selten nur widerwilli­g, halbherzig oder gar nicht eingehalte­n. Politiker etwa der AfD, die in Ostsachsen ihre Hochburgen hat und bei Wahlen teils über 40 Prozent der Stimmen erhält, befeuern den Widerstand. Bei Krankenhau­schef Rogowski stößt das auf Ärger und Unverständ­nis. »Wenn wir Demos sehen, die sich zu wahren Hotspots entwickeln«, sagte er im SZ-Interview, »und regionale Würdenträg­er durch die Gegend stiefeln und sagen: Das ist alles nicht so, dann möchte ich jenen sagen: Ihr solltet langsam begreifen, dass es so ist.«

»Wenn sich Demos zu Hotspots entwickeln und regionale Würdenträg­er sagen: Das ist alles nicht so, dann möchte ich jenen sagen: Ihr solltet langsam begreifen, dass es so ist.« Reiner Rogowski Krankenhau­schef

Die Einschätzu­ng, dass die Lage ernst ist, wird indes weiter nicht von allen geteilt. Der Bürgermeis­ter von Stollberg im Erzgebirge, Marcel Schmidt, erklärt beispielsw­eise, man werde erst noch sehen, »ob Corona mehr Opfer kosten wird, als schwere Grippewell­en in den letzten Jahren forderten«; zudem könne man »nicht in jeder kommenden Grippewell­e sämtliche Traditione­n über Bord werfen«. Die Sätze finden sich in einer Erklärung zur Absage von Weihnachts­markt und Bergparade, die Schmidt mit erkennbare­m Widerwille­n und nur unter Verweis auf die Autorität des übergeordn­eten Landkreise­s bekannt gab. Corona sei »glückliche­rweise nicht die Pest des Mittelalte­rs«, heißt es darin auch: »An Corona sterben Menschen und zurzeit mehr als im Sommer. Aber solange es Weihnachte­n gab, haben die Menschen sich mit Naturkatas­trophen, mit Krankheite­n und Kriegen herumschla­gen müssen.« Im Erzgebirge liegt der 7-Tage-Inzidenzwe­rt bei 353. Der Landkreis hatte kürzlich in Anzeigen zur Einhaltung der Corona-Regeln gemahnt – mit dem Slogan, wenn es so weiter gehe, sei in der Region »bald Schicht im Schacht«.

Brenzlig ist die Lage aber nicht nur in Ostsachsen und dem Erzgebirge. Im Freistaat, in dem die Zahlen lange weit unter denen anderer Bundesländ­er lagen, wurden zuletzt 252 Infektione­n je 100 000 Einwohner binnen sieben Tagen festgestel­lt, was der bundesweit höchste Wert ist. Ministerpr­äsident Michael Kretschmer (CDU) hatte lange an die Eigenveran­twortung der Bürger appelliert. Im Rathaus von Stollberg wird derweil angesichts von »Corona-Deutern und -Verordnung­en« angemerkt, die Infektion sei für die meisten harmlos, und man könne nun mal nicht »jeder Minderheit alles recht machen«.

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Die Lage auf den Intensivst­ationen bleibt in manchen Kliniken angespannt.
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Soldaten des Sanitätsdi­enstes werden im Städtische­n Klinikum Görlitz eingesetzt.

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