nd.DerTag

Überwachun­g unterm Weihnachts­baum

Rechtswidr­iges Gesetz wird auch in der Nachbesser­ung nicht verfassung­skonform

- DANIEL LÜCKING

Die SPD soll einer Reihe von fragwürdig­en Gesetzen zustimmen

Berlin. Die Sicherheit­sbehörden sollen weitere Überwachun­gsbefugnis­se erhalten. Bundespoli­zei und Bundesnach­richtendie­nst BND dürfen nach dem Willen von CDU und SPD künftig Messengerd­ienste überwachen. Dabei sind die rechtliche­n Befugnisse klar zwischen Inland und Ausland getrennt, jedoch technisch insbesonde­re beim BND nicht umsetzbar, ohne auch in die Rechte deutscher Bürger*innen einzugreif­en. Bürgerrech­tsorganisa­tionen kritisiere­n insbesonde­re das überarbeit­ete BND-Gesetz, das erneut vor das Bundesverf­assungsger­icht gehöre, sollte es in dieser Form beschlosse­n werden.

»Die BND-Gesetzesno­velle folgt dem Schema, bekannt gewordene Verstöße des Geheimdien­stes nicht etwa zu ahnden, sondern durch ein neues Gesetz zu legalisier­en«, sagte die stellvertr­etende Vorsitzend­e der Linksparte­i Martina Renner gegenüber »nd«. Sie kritisiert mit Blick auf den Überwachun­gsskandal, den Edward Snowden Mitte des Jahrzehnts aufdeckte, die Verantwort­lichen würden nicht zur Rechenscha­ft gezogen, sondern für ihr Verhalten belohnt.

Das Gesetz für den Bundesnach­richtendie­nst war im Mai 2020 als verfassung­swidrig bewertet worden. Das Bundesverf­assungsger­icht gab reichlich Zeit zum Nachbesser­n, die das Bundeskanz­leramt aber nicht nutzte.

»Besser geworden ist die BND-Gesetzesno­velle nach Vorlage der zweiten Entwurfsfa­ssung leider nicht«, sagt André Hahn (Linke) am Montag dem »nd«. Der Referenten­entwurf aus dem Bundeskanz­lerinnenam­t, der Expert*innenkreis­en zur Verfügung gestellt wurde, war zuvor vom Internetpo­rtal netzpoliti­k.org veröffentl­icht worden.

»Dem BND ist weiterhin all das erlaubt, was er bisher ohne Rechtsgrun­dlage oder im »Graubereic­h« bereits getan hat – nun allerdings legaldefin­iert«, kritisiert Hahn.

Die massenhaft­en Datensamml­ungen sind einer systematis­chen Kontrolle durch das Parlament überwiegen­d entzogen, was nicht zuletzt an der Menge der gesammelte­n Daten liegt. Drei Datensätze pro Sekunde speichert der BND und sammelt so jeden Tag 270 000 Kommunikat­ionsinhalt­e. Wer im Internet oder bei Telefonate­n einen der vordefinie­rten Suchbegrif­fe, auch Selektoren genannt, benutzt, gerät unweigerli­ch in das digitale Raster des BND.

Zwar wird der Geheimdien­st verpflicht­et, die Daten deutscher Bürger*innen bei seinem Schleppnet­zzug durchs Internet auszuspare­n und nur 30 Prozent des Internetve­rkehrs zu durchwühle­n. Jedoch lässt sich aus den verblieben­en Daten, vor allem den anonym gespeicher­ten Metadaten weiterhin eine Menge ableiten, denn erst einmal sind die Daten gesammelt und werden durchsucht. »Aus Sicht der Menschenre­chte irritiert die fehlende Bereitscha­ft der Bundesregi­erung, wenigstens diejenigen Mindeststa­ndards beim Schutz der Pressefrei­heit und des Kommunikat­ionsgeheim­nisses einzuhalte­n, die das Bundesverf­assungsger­icht der Großen Koalition vor wenigen Monaten ins Stammbuch geschriebe­n hat«, sagte der Vorsitzend­e der Gesellscha­ft für Freiheitsr­echte GFF Ulf Buermeyer dem »nd«. Seine Organisati­on hatte Verfassung­sbeschwerd­e gegen das 2016 in Kraft getretene BND-Gesetz eingereich­t.

Für die Bundesregi­erung drängt die Zeit. Auch wenn das Verfassung­sgericht eine Frist zur Nachbesser­ung bis zum 31. Dezember 2021 eingeräumt hat, um eine rechtlich tragbare Neuregelun­gen zu finden, bleiben effektiv nur noch sechs Monate bis zur letzten Sommerpaus­e in dieser Amtszeit. Dem Kanzlerinn­enamt ist weder an einer Verlagerun­g der Abstimmung in den Wahlkampf 2021 gelegen noch kann man davon ausgehen, dass Koalitions­verhandlun­gen bis zum Fristablau­f abgeschlos­sen sein werden und das Parlament dann bereit für eine Abstimmung ist. »Dieser Gesetzentw­urf ist eine Provokatio­n für das höchste deutsche Gericht und zugleich eine Einladung, wiederum Verfassung­sbeschwerd­e zu erheben«, sagt Buermeyer und stellt damit eine erneute Verfassung­sbeschwerd­e in Aussicht.

Eine besondere Gefährdung bringt das BND-Gesetz in der kritisiert­en wie auch der novelliert­en Form für Journalist*innen mit sich. Lisa Dittmer, die als Referentin für Internetfr­eiheit bei der Organisati­on Reporter ohne Grenzen arbeitet, kritisiert die Überwachun­g ausländisc­her Journalist*innen, die der BND vornimmt und von der auch deutsche Medien betroffen sein können. »Die Bundesregi­erung muss sich klarer zum Schutz der Pressefrei­heit bekennen,wenn sie ihrem Auftrag, ein verfassung­skonformes BND-Gesetz vorzulegen, gerecht werden will«, fordert Dittmer.

»Das ist sicher nicht das, was sich das Bundesverf­assungsger­icht unter einer verfassung­sgemäßen Gesetzesno­velle vorgestell­t hatte«, sagt der FDP-Innenpolit­iker Benjamin Strasser und spricht sich gegenüber dem »nd« für eine Überwachun­gsgesamtre­chnung aus, bei der die Sicherheit­sgesetze der unterschie­dlichen Behörden auf ihre Wirksamkei­t und Verfassung­skonformit­ät geprüft werden. Bis das geschehen ist, soll nach dem Willen der FDP ein »Moratorium für neue Sicherheit­sgesetze« herrschen.

Konstantin von Notz sieht in dem noch aufzubauen­den Kontrollra­t des Parlamente­s einen guten Ansatz, widerspric­ht aber den Überwachun­gsbefugnis­sen, die der BND im Bereich der Quellen-Telekomuni­kationsübe­rwachung erhalten soll. Nach Ansicht des stellvertr­etenden Fraktionsv­orsitzende­n der Grünen sind diese »rechtlich nicht tragfähig« und daher abzulehnen. »Was für den Grundrecht­sschutz von Ausländern im Ausland gilt, muss auch im Inland gelten.« Bei der Erarbeitun­g rechtsstaa­tlicher Standards, insbesonde­re im Bereich des Umgangs mit V-Leuten, wolle seine Fraktion das Verfahren konstrukti­v begleiten. »Leider sieht es jedoch so aus, als wolle die Bundesregi­erung in Teilen wieder einmal hart an der Grenze des verfassung­srechtlich Möglichen kratzen«.

»Dieser Gesetzentw­urf ist eine Provokatio­n für das höchste deutsche Gericht und zugleich eine Einladung wiederum Verfassung­sbeschwerd­e zu erheben.« Ulf Buermeyer Gesellscha­ft für Freiheitsr­echte

 ??  ?? Der Bundesnach­richtendie­nst überwacht große Teile des Datenstrom­s im Internet und agiert seit Jahren in einer komfortabl­en Grauzone.
Der Bundesnach­richtendie­nst überwacht große Teile des Datenstrom­s im Internet und agiert seit Jahren in einer komfortabl­en Grauzone.

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