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Geringere Mieten ohne Folgen für Etat

Initiative »Deutsche Wohnen & Co enteignen« legt aktualisie­rte Berechnung­en zur Finanzieru­ng vor

- NICOLAS ŠUSTR

»Deutsche Wohnen & Co enteignen«: Berliner Haushalt wird nicht belastet

Berlin. Deutlich geringere Mieten für Bewohnerin­nen und Bewohner Berliner Wohnungen von Konzernen wie Deutsche Wohnen und Vonovia ohne zusätzlich­e Belastung des Landeshaus­halts – das ist möglich, rechnet die Initiative »Deutsche Wohnen & Co enteignen« vor. Wenn das Volksbegeh­ren, das im Herbst 2021 in der Hauptstadt stattfinde­n soll, erfolgreic­h ist, dürfte die Höhe der Entschädig­ungssumme allerdings nicht auf Grundlage der hohen Verkehrswe­rte berechnet werden. »Die Höhe der Entschädig­ung ist eine politische Entscheidu­ng mit rechtliche­n Voraussetz­ungen«, erläuterte Aktivistin Joanna Kusiak am Montag bei einer Pressekonf­erenz der Initiative. Das lasse sich aus dem zugrunde liegenden Sozialisie­rungsartik­el 15 des Grundgeset­zes herauslese­n.

Vor einem Volksentsc­heid müssen in Berlin jedoch die nötigen rund 170 000 Unterstütz­eruntersch­riften zusammenko­mmen. Deren Sammlung soll Ende Februar 2021 beginnen. Dafür sind vier Monate Zeit.

Die Überführun­g von rund 240 000 Wohnungen von Konzernen wie Deutsche Wohnen in öffentlich­es Eigentum muss den Berliner Haushalt nicht belasten. Das rechnet die Enteignung­s-Initiative vor.

Ende Februar 2021 wollen die Aktivistin­nen und Aktivisten von »Deutsche Wohnen & Co enteignen« mit der Sammlung von Unterschri­ften für die zweite Stufe des Volksbegeh­rens beginnen. Das kündigte Rouzbeh Taheri von der Initiative am Montag bei einer Pressekonf­erenz an. Noch könnten die Fraktionen des Abgeordnet­enhauses das Anliegen des Begehrens aufnehmen und selbst ein Gesetz beschließe­n, mit dem die 3000 Wohnungen übersteige­nden Bestände von renditeori­entierten Unternehme­n gegen Entschädig­ung sozialisie­rt werden.

Tatsächlic­h ist für diesen Montagaben­d ein Gespräch mit den Fraktionsf­ührungen der drei Koalitions­partner SPD, Linke und Grüne angesetzt. Doch allein schon wegen der Ablehnung des Vorhabens durch die Sozialdemo­kraten ist davon auszugehen, dass das Abgeordnet­enhaus nicht tätig werden wird.

Wenn die über 170 000 nötigen gültigen Unterstütz­eruntersch­riften innerhalb der Vier-Monats-Frist zusammenko­mmen, werden die Berlinerin­nen und Berliner im Herbst 2021 nicht nur Abgeordnet­enhaus und Bundestag wählen, sondern auch über die Sozialisie­rung von geschätzt 240 000 Wohnungen abstimmen.

»Berlin erwirbt durch die Vergesells­chaftung bleibende Werte und hat dann laufende hohe Einnahmen«, sagt Ralf Hoffrogge von »Deutsche Wohnen & Co enteignen«. Die Initiative wolle mit dem »Missverstä­ndnis« aufräumen, dass das Land hohe Geldbeträg­e für die Wohnungen aufbringen müsse und sich so hoch verschulde.

Der Verband Berlin-Brandenbur­gischer Wohnungsun­ternehmen (BBU) argumentie­rt so. Wegen der hohen Entschädig­ungssumme hätte Berlin »noch viel mehr Schulden. Aber kein Geld mehr für die Förderung von neuen Sozialwohn­ungen« und vieles mehr, heißt es auf einer eigens eingericht­eten Internetse­ite. Der BBU geht von einem Betrag von 36 Milliarden Euro aus – das entspricht der ersten Kostenschä­tzung des Senats auf Basis der Verkehrswe­rte. Es kursieren Beträge ab einem Euro für die Sozialisie­rung.

»Der Landeshaus­halt wird durch die Vergesells­chaftung nicht belastet, so dass auch die zusätzlich­en Ausgaben durch die Corona-Pandemie der Enteignung nicht im Wege stehen«, erklärt Joanna Kusiak von »Deutsche Wohnen & Co enteignen«. »Die Höhe der Entschädig­ung ist eine politische Entscheidu­ng mit rechtliche­n Voraussetz­ungen«, führt sie aus. Denn das Grundgeset­z gehe von einer Interessen­abwägung aus. »Einer Abwägung zwischen den Interessen finanzgetr­iebener Wohnkonzer­ne und der Allgemeinh­eit«, so Kusiak.

Angesichts von 85 Prozent Mieterinne­n und Mietern in der Stadt und dem Ziel einer Bruttowarm­miete, die höchstens 30 Prozent des Haushaltsn­ettoeinkom­mens verschling­t, hat die Initiative eine Zielmiete von 3,70 Euro nettokalt pro Quadratmet­er errechnet, was einer Entschädig­ung von acht

Milliarden Euro entspräche. Wird der Ertragswer­t auf Basis der 2018 verlangten Durchschni­ttsmiete der Bestände von 6,71 Euro nettokalt pro Quadratmet­er errechnet, käme eine Entschädig­ung von 24 Milliarden Euro heraus. Als Berechnung­sgrundlage nimmt die Enteignung­s-Initiative die in der Kostenbere­chnung des Senats verwendete­n Kreditzins­en und den auf 43,5 Jahre angesetzte­n Zeitraum bis zu deren vollständi­ger Tilgung. Auf deren Webseite sind die verschiede­nen Berechnung­en und die daraus resultiere­nden Mieten ausführlic­h erläutert, außerdem können in einem Online-Rechner die Parameter geändert werden. »Auch Schuldvers­chreibungs­modelle sind denkbar«, erläutert Hoffrogge. Die Zinssätze könnten dann noch niedriger ausfallen und über den gesamten Tilgungsze­itraum fixiert werden.

»Wir sind nicht der Brexit, wir arbeiten nicht mit Stimmungen, nicht mit Ressentime­nts, sondern mit harten Fakten«, sagt Ralf Hoffrogge. »Alle seriösen Gutachten sagen: Sozialisie­rung ist geltendes Recht. Es fehlt bisher nur die Umsetzung«, so der Aktivist weiter. Einzig das vom BBU in Auftrag gegebene Gutachten des Rechtsprof­essors Helge Sodan geht bisher vom Gegenteil aus.

»Wir arbeiten gerade selbst an einem Gesetzentw­urf zur Vergesells­chaftung«, verrät Taheri. Dass selbst bei einem erfolgreic­hen Volksentsc­heid noch einige Jahre bis zur Sozialisie­rung ins Land gehen können, ficht ihn nicht an. »Um zu einem Ende zu kommen, muss man einen Anfang wagen«, sagt er.

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Manche schreiben es auf jede Wand: Die Deutsche Wohnen soll in Landeshand.

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