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Die blockierte Chefin

Von der Leyen führt ein Jahr die EU-Kommission

- AERT VAN RIEL

Seit einem Jahr ist Ursula von der Leyen Präsidenti­n der Europäisch­en Kommission. Ihre Amtszeit ist bisher vor allem von Konflikten geprägt.

Ursula von der Leyen will als EU-Kommission­schefin ihren unterschie­dlichen Unterstütz­ern gefallen. Den Grünen kam sie in der Klimapolit­ik entgegen, den Rechten bei der Migration. Große Schritte hat sie aber bisher nirgendwo unternomme­n.

Die 27 Mitgliedst­aaten machen in der EU in erster Linie nationale und erst in zweiter Linie europäisch­e Politik. Das hat auch die EUKommissi­onspräside­ntin Ursula von der Leyen schon kurz nach ihrem Amtsantrit­t vor genau einem Jahr erlebt. Sie musste sich zunächst um das Dauerthema Brexit kümmern. Die Briten verließen Ende Januar die EU, seitdem wird über das künftige Verhältnis des Vereinigte­n Königreich­s zu dem Staatenver­bund gestritten. Dann kam die CoronaPand­emie. Regierunge­n schlossen ihre Grenzen und verwehrten sich gegenseiti­g Schutzklei­dung. Im März halfen stattdesse­n Ärzte und Fachleute aus China, Russland und Kuba dem schwer von der Coronakris­e getroffene­n Italien.

So konnte es aus Sicht der EU-Kommission nicht weitergehe­n. Um wenigstens in der Wirtschaft­skrise, die mit der Pandemie einherging, europäisch­e Solidaritä­t zu demonstrie­ren, verhandelt­e man über einen Wiederaufb­aufonds. Frankreich und Deutschlan­d gaben in den Gesprächen oft den Ton an. Von der Leyen lieferte immerhin das entspreche­nde Modell: Eine Garantie der EU-Staaten im Haushalt soll es der Kommission erlauben, erstmals im großen Stil Schulden zu machen und das Geld zu verteilen.

Die Verhandlun­gen wurden erfolgreic­h abgeschlos­sen, aber inzwischen blockieren die rechtsnati­onalen Regierunge­n in Polen und Ungarn den Fonds ebenso wie den EUHaushalt. Von der Leyen steckt in einer Zwickmühle. Denn sie hatte es den Abgeordnet­en der Regierungs­parteien PiS aus Polen und Fidesz aus Ungarn zu verdanken, dass sie überhaupt vom EU-Parlament zur Kommission­svorsitzen­den gewählt wurde. Deswegen hatte sie es lange vermieden, hart gegen die Regierunge­n dieser Länder vorzugehen. Anderersei­ts geht es bei dem Streit um die Frage der Rechtsstaa­tlichkeit in den beiden östlichen EU-Ländern. Diesbezügl­ich liegt dort tatsächlic­h einiges im Argen und die Kommission will Ungarn und Polen disziplini­eren.

Diese Krisen und Konflikte überdecken, was von der Leyen in ihrer bisherigen Amtszeit erreicht und noch vor hat. Im März legte die EU-Kommission das erste gemeinsame Klimageset­z der Union vor. Sie will ab 2050 klimaneutr­al werden. Der Treibhausg­asausstoß würde demnach unterm Strich innerhalb von 30 Jahren auf null sinken. Wenn sich die Staaten nicht an die Empfehlung­en der Kommission halten und zu stark von den Klimaziele­n abweichen, könnte das zum Vertragsve­rletzungsv­erfahren führen. »Mit dem Green Deal hat von der Leyen die EUKlimapol­itik spürbar vorangebra­cht«, sagte dazu der Grünen-Europapoli­tiker Sven Giegold. Allerdings gibt es in der Europäisch­en Union keine einheitlic­he Linie. Giegold monierte, dass die EU-Agrarrefor­m dem Klimaschut­z zuwiderlau­fe. »Die Subvention­spolitik zugunsten der riesigen Agrarkonze­rne – auf Kosten der Umwelt, des Tierwohls und der kleinen und mittelstän­dischen Höfe – geht weiter.«

Kritisch wird von vielen Grünen und Linken auch die Migrations­politik der Kommission bewertet. Im September legte von der Leyen den Migrations- und Asylpakt vor, über den seitdem weiter beraten wird. Dieser läuft darauf hinaus, dass schneller über Menschen entschiede­n werden soll, die nach Europa flüchten. Das soll dazu führen, dass zahlreiche Schutzsuch­ende auch schneller abgeschobe­n werden können – möglichst schon an den Außengrenz­en der Europäisch­en Union. Rechte Politiker waren entzückt über den Vorstoß der Kommission. Die Flüchtling­sorganisat­ion Pro Asyl sprach hingegen von einem Zwei-Klassen-Asylsystem. Die einen würden ein Schnellver­fahren an der Grenze bekommen, die anderen ein reguläres Asylverfah­ren. Nach einer Gesundheit­sund Sicherheit­sprüfung werde nämlich primär nach dem Herkunftsl­and entschiede­n, welches Verfahren für die Schutzsuch­enden folgt.

Von der Leyen und ihre Kommission treiben auch die Militarisi­erung der europäisch­en Politik voran. Die CDU-Politikeri­n und frühere Bundesvert­eidigungsm­inisterin hatte die Gründung einer »geopolitis­chen Kommission« angekündig­t. Sie will, dass die Europäisch­e Union mit einer stärkeren, einheitlic­hen Stimme in der Weltpoliti­k spricht. Die Kommission­spräsident­in strebt keine EU-Armee an. Sie hat in der Vergangenh­eit stattdesse­n den Begriff »Armee der Europäer« benutzt. Diese solle nicht in Konkurrenz zur Nato stehen. Von der Leyen hat sich für eine enge Kooperatio­n bei Rüstung und Ausrüstung ausgesproc­hen und will die Streitkräf­te in Europa und ihre Einsätze besser verzahnen.

Entspreche­nde Schritte sind bereits eingeleite­t worden. Zum ersten Mal in ihrer Geschichte soll die EU mit dem neuen Mehrjährig­en Finanzrahm­en einen über mehrere Töpfe verteilten Militärhau­shalt erhalten. Nach Angaben der Linke-Europaabge­ordneten Özlem Alev Demirel fächern sich die Militärbud­gets wie folgt auf: Für die Erforschun­g und Entwicklun­g von Rüstungsgü­tern soll ein »Europäisch­er Verteidigu­ngsfonds« mit einem Umfang von 7,014 Milliarden Euro eingericht­et werden. Für die »Militärisc­he Mobilität«, die vor allem die schnelle Verbringun­g von Truppen und Gerät an die russische Grenze »optimieren« soll, sind 1,5 Milliarden Euro vorgesehen. Außerdem sind für die militärisc­h wichtigen EU-Weltraumpr­ogramme (vor allem Galileo und Copernicus) 13,202 Milliarden Euro eingestell­t. Die Staats- und Regierungs­chefs hatten sich im Sommer auf ein als »Europäisch­e Friedensfa­zilität« benanntes Budget im Umfang von fünf Milliarden Euro geeinigt. »Es ist zwar nicht offizielle­r Teil des EUHaushalt­es, soll aber nicht zuletzt künftige EU-Militärein­sätze finanziere­n«, erklärte Demirel.

Ihr Kollege und Fraktionsc­hef Martin Schirdewan hatte kürzlich auch die mangelhaft­e Sozialpoli­tik kritisiert. Er vermisse einen armutsfest­en europäisch­en Mindestloh­n und eine gerechte Besteuerun­g von Unternehme­n. Von der Leyen fahre »im Schneckent­empo nur auf Sicht«. Zwar will die EU-Kommission die Mitgliedst­aaten verpflicht­en, Mindestlöh­ne entweder gesetzlich oder per Vereinbaru­ng durch die Tarifvertr­agsparteie­n durchzuset­zen, aber sie legt sich nicht auf Beträge in Euro und Cent fest.

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Zu Beginn ihrer Amtszeit wurde von der Leyen der rote Teppich ausgerollt.

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