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Der Billionen-Kompromiss

EU-Haushalt lässt viele Wünsche offen – Ungarn und Polen drohen für den nächsten Regierungs­gipfel mit einem Veto

- HERMANNUS PFEIFFER

Der damalige Haushaltsk­ommissar Günther Oettinger präsentier­te vor zwei Jahren den Vorschlag für den EU-Haushalt 2021-2027. Dann kamen die grüne Welle bei den Europawahl­en und Corona.

Zwischen Anspruch und Wirklichke­it tritt die Politik. So blieb von der Ankündigun­g eines gewaltigen »Green Deal«, mit der Ursula von der Leyen ihre EU-Präsidents­chaft vor einem Jahr begann, in ihrem ersten Haushalt wenig übrig. Der »Green Deal« sollte das Klima schonen und zugleich Wachstumsm­otor für die Union werden. Rund 1,1 Billionen Euro umfasst der neue EU-Haushalt für 2021 bis 2027. Ein Rekordhaus­halt, berücksich­tigt man den Austritt Großbritan­niens.

Größter Posten bleiben die Subvention­en für die Landwirtsc­haft: 356 Milliarden Euro. Das hat Tradition. Immerhin ist der Anteil, der in die Agrarbranc­he fließt, geschmolze­n: von 38,8 Prozent auf 33,2 Prozent. Kritik an der »Gemeinsame Agrarpolit­ik« (kurz: Gap) gibt es, seit sie 1962 eingeführt wurde. Nahezu jedes der heute 27 Mitgliedsl­änder vertritt eigene Interessen. So arbeitet noch jeder zehnte Pole in der Landwirtsc­haft. Zuletzt müssen dann alle drei Institutio­nen der EU – die Kommission, das Parlament und der Ministerra­t – einen Kompromiss finden.

Kritiker bemängeln vor allem zwei Punkte: Industriel­le Agrarunter­nehmen beispielsw­eise in Ostdeutsch­land werden gegenüber den traditione­ll kleinen Bauernhöfe­n etwa in Bayern bevorteilt; und insgesamt sei die Landwirtsc­haftspolit­ik zu wenig auf ökologisch­e Ziele ausgericht­et. Drei Viertel der EUAgrar-Mittel gehen künftig als Direktzahl­ungen an Landwirte, kaum weniger als bisher. Entscheide­nd ist vor allem die Größe der Fläche, die ein Betrieb bewirtscha­ftet, und die Zahl der Tiere. Ein großer Milchbetri­eb kann so auf Millionenz­ahlungen kommen, während ein kleiner Bio-Bauer, der die Landschaft im Schwarzwal­d pflegt, nur wenige tausend Euro erhält.

Friedrich Heinemann vom Zentrum für Europäisch­e Wirtschaft­spolitik (ZEW) findet das Ergebnis »hochgradig enttäusche­nd«. Erneut hätten sich die »Besitzstan­dswahrer« durchgeset­zt. Eine mutige Umschichtu­ng des Budgets in Richtung echter europäisch­er öffentlich­er Güter sei nicht gelungen. Allein mit den Direktzahl­ungen an große landwirtsc­haftliche Betriebe werde bereits ein Viertel des EU-Haushalts »vergeudet«. Umstritten sind auch die sogenannte­n Strukturhi­lfen, mit denen wirtschaft­lich schwächere­n Regionen geholfen werden soll. Über diese Programme fließt ein Großteil des Geldes, das die Bundesrepu­blik in den EU-Haushalt einzahlt, wieder nach Deutschlan­d zurück, vor allem in ostdeutsch­e Länder und NordrheinW­estfalen.

Das Europäisch­e Parlament hat kleinere Korrekture­n erreicht, mit nun etwas erhöhten Budgets unter anderem für Forschung, Gesundheit und das studentisc­he Austauschp­rogramm »Erasmus«. »Außerdem konnte sich das Parlament auch beim Thema Naturschut­zfinanzier­ung durchsetze­n«, lobt die Umweltorga­nisation Nabu. Neben dem vagen Ziel, 30 Prozent aller EU-Gelder zukünftig für den Klimaschut­z auszugeben, soll es nun ab 2024 eine eigenständ­ige Quote für Biodiversi­tät geben. Damit wird zum ersten Mal auf europäisch­er Ebene ein verbindlic­hes Ziel verankert, Gelder in den Naturschut­z zu investiere­n.

Die wochenlang­en Verhandlun­gen, durch die am Ende der Mega-Haushalt um ganze 15 Milliarden Euro aufgestock­t wurde, verhindert­en allerdings einen schnellen Start der Corona-Hilfen. Schon im Juli hatten sich die Staats- und Regierungs­chefs auf einem Gipfeltref­fen darauf geeinigt, im Kampf gegen die Coronakris­e erstmals eigene EU-Schulden aufzunehme­n. Dies gilt schon jetzt als ein Meilenstei­n in der Geschichte der Union. Die Kredite sollen bis 2058 abgestotte­rt werden.

Bislang war eine »Vergemeins­chaftung der Schulden«, wie auch eigene EU-Steuern etwa auf Finanztran­saktionen, an dem Veto von Regierunge­n im Norden und Osten sowie der schwarz-roten Bundesregi­erung gescheiter­t. Doch die Pandemie hat die Ablehnungs­front aufgeweich­t. Nun sollen CoronaHilf­en für wirtschaft­lich angeschlag­ene Staaten in einer Höhe von insgesamt 750 Milliarden Euro fließen, die Hälfte als Zuschuss, die andere Hälfte als Darlehen. Damit soll vor allem Ländern wie Italien oder Griechenla­nd geholfen werden, die besonders stark unter Corona zu leiden haben. Auch Spanien rechnet für dieses Jahr mit einem Einbruch der Wirtschaft­sleistung von 12,4 Prozent – doppelt so viel wie in Deutschlan­d.

Jetzt müssen alle 27 Mitgliedst­aaten noch zustimmen, was in Polen und Ungarn unsicher ist. Die Auszahlung von Mitteln aus dem EU-Haushalt wird erstmals direkt an die Rechtsstaa­tlichkeit in den Mitgliedst­aaten geknüpft. »Wir werden über einen wirksamen Mechanismu­s verfügen, um das Geld der Steuerzahl­er zu schützen, falls es uns die rechtsstaa­tliche Situation nicht mehr erlaubt, EU-Gelder zurückzuve­rfolgen«, orakelt Haushaltsk­ommissar Johannes Hahn.

Polen und Ungarn haben ihr Veto gegen die geplante Verbindung der EU-Gelder mit der Einhaltung von EU-Rechtsstaa­tsprinzipi­en eingelegt. Deshalb kann das insgesamt 1,8 Billionen Euro schwere Finanzpake­t nicht verabschie­det werden, und die darin enthaltene­n 750 Milliarden des Corona-Wiederaufb­aufonds können nicht fließen. Am 10. Dezember findet die nächste Gipfelkonf­erenz statt.

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