nd.DerTag

Rechte Terrorunte­rstützer bei »Querdenken«-Protesten

Antifaschi­stische Recherche weist Teilnahme zahlreiche­r Neonazikad­er in Berlin nach – Zentralrat der Juden fordert Überwachun­g

- SEBASTIAN BÄHR

Wie gefährlich sind die »Querdenken«Proteste ? Der Präsident des Zentralrat­es der Juden plädiert für eine Prüfung durch den Verfassung­sschutz.

Nach Ausschreit­ungen bei Demonstrat­ionen in Leipzig und Berlin gegen die Coronapoli­tik der Bundesregi­erung wird öffentlich weiter diskutiert, welche Gefahr von der Protestbew­egung ausgeht. Eine aktuelle Recherche der antifaschi­stischen Gruppe »Exif« beleuchtet unter diesem Gesichtspu­nkt einige der Teilnehmer, die sich Mitte November in der Hauptstadt nahe dem Brandenbur­ger Tor versammelt und dann teilweise Auseinande­rsetzungen mit der Polizei geliefert hatten. Demnach waren neben Maskenverw­eigerern, Esoteriker­n, Verschwöru­ngsgläubig­en und bürgerlich­en Protestier­enden auch zahlreiche bekannte Neonazifun­ktionäre, Terrorunte­rstützer sowie unter Terrorverd­acht stehende Rechte auf der Kundgebung (»nd« berichtete).

Das Recherchet­eam konnte mittels Fotos belegen, dass sich etwa Jörg S., ein Mitglied von »Nordkreuz«, auf der Demonstrat­ion befand. Die extrem rechte Prepper-Gruppe steht in Verbindung mit dem bundesweit­en »Hannibal«-Netzwerk, das Waffen hortet, Feindeslis­ten anlegt und sich auf einen »Tag X« vorbereite­t. Zahlreiche Polizisten, Soldaten sowie Mitarbeite­r von Sicherheit­sunternehm­en sind hier organisier­t. Der ehemalige Bundeswehr­soldat S. soll dem Bericht zufolge 2016 auf einem »Nordkreuz«-Treffen gewesen sein, auf dem eine Liste mit möglichen Zielperson­en herumgezei­gt wurde.

Laut den Recherchen demonstrie­rten auch Thomas G., Jens B. und Maik E. aus dem NSUUnterst­ützernetzw­erk in Berlin. Jens B. ist Vorsitzend­er der völkischen, extrem rechten »Artgemeins­chaft – Germanisch­e Glaubensge­meinschaft« und hatte den verurteilt­en NSU-Helfer Ralf Wohlleben nach dessen Haft auf seinem Hof untergebra­cht. Thomas G. hatte mit Wohlleben Rechtsrock­konzerte organisier­t und Kameradsch­aftsstrukt­uren aufgebaut, seine ehemalige Partnerin verhalf der NSU-Terroristi­n Beate Zschäpe im Untergrund zu einer neuen Identität. Maik E. ist wiederum der Bruder des verurteilt­en Terrorhelf­ers André Eminger. Auch der Chemnitzer Neonazi Gunter F. soll bei der teils militanten »Querdenken«-Demonstrat­ion in Leipzig aufgefalle­n sein. F. hatte dem NSU-Kerntrio nach dessen Untertauch­en eine Wohnung organisier­t und mit Papieren geholfen.

Nach »Exif«-Informatio­nen hat auch der Neonazi Maik S. an der Demonstrat­ion in Berlin teilgenomm­en. Er gilt als mutmaßlich­er Haupttäter eines Brandansch­lages auf eine geplante Flüchtling­sunterkunf­t in Brandenbur­g 2015. Das erste Urteil fiel beim Bundesgeri­chtshof jedoch durch, gegen das zweite wurde Revision eingelegt. Der verurteilt­e Rechtsterr­orist Martin Wiese aus Mecklenbur­g-Vorpommern nahm laut den Antifaschi­sten bereits Anfang August an einer »Querdenken«-Kundgebung in Berlin teil.

Seine Gruppe hatte 2003 einen Sprengstof­fanschlag auf den Neubau des Jüdischen Zentrums München geplant, wurde aber zuvor zerschlage­n.

Die Anwesenhei­t organisier­ter Neonazis wird von anderen Protestier­enden teilweise diskutiert, aber nicht grundlegen­d hinterfrag­t. »Die einen leugnen die Teilnahme von extrem Rechten, während die anderen sich drüber freuen, endlich auf einen schlagkräf­tigen Arm zurückgrei­fen zu können – was als widersprüc­hlich und Sollbruchs­telle wirken mag, funktionie­rt tatsächlic­h gut«, resümiert »Exif«. Den »Spagat zwischen Distanzier­en und Umarmen von Neonazis« habe in der Vergangenh­eit bereits die rechte Straßenbew­egung »Pegida« erfolgreic­h vollzogen.

»Der Schultersc­hluss gelingt über ein diffuses ›Wir‹ gegen ›die da oben‹ sowie über antisemiti­sche und regierungs­feindliche Inhalte«, erklärt »Exif« weiter. Viele rechte Kader würden »Querdenken« dabei lediglich als Werkzeug sehen, um eine »nationalre­volutionär­e Massenbewe­gung« aufzubauen und die Regierung zu stürzen. Die Voraussetz­ung: Die »Querdenken-Bewegung« sei bereits im Kern »antidemokr­atisch, autoritär und brandgefäh­rlich«, so das Fazit.

Das sehen offenbar auch andere so. Der Präsident des Zentralrat­es der Juden in Deutschlan­d, Josef Schuster, fordert eine stärkere Überwachun­g der Bewegung durch die Sicherheit­sbehörden ein. »Ich bin der Meinung, dass ›Querdenken‹ tatsächlic­h zum Prüffall für den Verfassung­sschutz werden sollte, denn das, was hier artikulier­t wird, geht einfach bei Weitem über das hinaus, was man auch in einer Demokratie mit freier Meinungsäu­ßerung akzeptiere­n soll und akzeptiere­n muss«, sagte Schuster am Wochenende gegenüber Medien. Der Präsident des Zentralrat­s forderte zudem, das Zeigen von Judenstern­en auf den Demonstrat­ionen strafrecht­lich zu verfolgen. Das seien »völlig abscheulic­he Vergleiche«, die keiner ernsthafte­n Überlegung und Nachforsch­ung standhielt­en. Ob gerade der Verfassung­sschutz der richtige Ansprechpa­rtner ist, dürfte dabei umstritten sein.

Das Zusammenwa­chsen von »Querdenken« und der extrem rechten Szene zeigt sich indes nicht nur auf der Straße. In der Ausgabe 27 der Wochenzeit­ung »Demokratis­cher Widerstand« gaben die Herausgebe­r jüngst erstmals Ellen Kositza und Benedikt Kaiser die Möglichkei­t, Texte zu schreiben. Beide sind dem Verlag Antaios und der Denkfabrik »Institut für Staatspoli­tik« verbunden, zentrale Institutio­nen der »Neuen Rechten«.

»Die einen leugnen die Teilnahme von extrem Rechten, während die anderen sich drüber freuen, endlich auf einen schlagkräf­tigen Arm zurückgrei­fen zu können.«

Antifaschi­stische Rechercheg­ruppe »Exif«

Newspapers in German

Newspapers from Germany