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Brasiliens Linke nicht in Feierlaune

Guilherme Boulos scheitert in São Paulo – Bescheiden­e Ergebnisse bei den Kommunalwa­hlen

- NIKLAS FRANZEN

Die Tendenz der ersten Runde bestätigte sich bei den Kommunalwa­hlen in Brasilien: Für Bolsonaros Leute und linke Kandidat*innen gab es wenig zu holen.

Noch am Abend meldete sich Guilherme Boulos aus seinem kleinen Haus im Randgebiet von São Paulo zu Wort. Seine Kampagne, erklärte der linke Politiker per Videobotsc­haft, habe einen Weg in die Zukunft gewiesen. Wenige Minuten zuvor war klar geworden, dass der Sozialist die Stichwahl in der größten Stadt Lateinamer­ikas verloren hatte.

Am Sonntag waren Brasiliane­r*innen in 57 Städten zur Stichwahl für die Bürgermeis­terposten aufgerufen. Viele Linke blickten gespannt auf die Wahl in São Paulo, wo der Stratege der Wohnungslo­senbewegun­g MTST und Politiker der Partei für Sozialismu­s und Freiheit (PSOL), Guilherme Boulos, gegen den amtierende­n Bürgermeis­ter der rechten Partei PSDB ins Rennen zog. Am Ende fiel das Ergebnis deutlich aus und der an Krebs erkrankte Bruno Covas holte fast 60 Prozent der Stimmen.

Boulos hatte der aktuellen Stadtverwa­ltung im Wahlkampf Versagen im Umgang mit der Corona-Pandemie und sozialen Ungleichhe­it vorgeworfe­n. Covas, der innerhalb seiner Partei als moderat gilt, bezeichnet­e Boulos als »Radikalen« und erklärte, »keine Abenteuer« wagen zu wollen. Trotz der beidseitig­en Kritik: Die beiden Politiker hatten sich ein zivilisier­tes Duell geleistet, sich bei TV-Debatten ausreden lassen, keine persönlich­en Angriffe gestartet. Boulos gratuliert­e Covas noch am Sonntag zu seinen Wahlsieg. Covas hatte Boulos wiederum gute Besserung gewünscht, als bekannt wurde, dass sich dieser mit dem Coronaviru­s infiziert hatte und die letzten Meter des Wahlkampfe­s von zu Hause aus durchführe­n musste. Keine Selbstvers­tändlichke­iten in Brasilien im Jahr 2020.

In seiner Videoanspr­ache erklärte ein lächelnder Boulos, gesiegt zu haben, obwohl die Wahl verloren ging. Und in der Tat: Alleine das Erreichen der Stichwahl war für den Sozialiste­n ein Erfolg. Seine Kampagne begeistert­e viele junge Wähler*innen, es gelang ihm, ein breites Bündnis zu schmieden. Und Boulos, der selbst in der Vorstadt wohnt, holte in vielen armen Stadtteile­n die Mehrheit – dort, wo die Linke zuletzt Schwierigk­eiten hatte zu punkten. Der linke Shooting Star darf sich Hoffnungen bei kommenden Wahlen machen.

Dennoch war der Sonntag kein Grund zum Feiern für Brasiliens Linke und es bestätigte sich die Tendenz der ersten Runde. Insbesonde­re die traditione­llen Mitte-rechtsPart­eien waren die lachenden Sieger – also jene Kräfte, die bei der Präsidents­chaftswahl 2018 abgestürzt waren. In der südbrasili­anischen Hafenstadt Porto Alegre setzte sich der rechte Politiker Sebastião Melo gegen Manuela d'Ávila, Kandidatin der sozialdemo­kratisch ausgericht­eten Kommunisti­schen Partei von Brasilien (PCdoB), durch, die in den Umfragen kurzzeitig sogar vorne lag. Lediglich in der nordbrasil­ianischen Stadt Belém feierte der PSOL-Kandidat Edmilson Rodrigues mit seinem Wahlsieg einen Achtungser­folg. Die sozialisti­sche Partei, die 2004 von abtrünnige­n Politiker*innen der Arbeiterpa­rtei PT gegründet wurde, läuft der PT immer mehr den Rang ab. Bis auf einzelne Ausnahmen setzte diese ihren Abwärtstre­nd fort. Die Partei des populären Ex-Präsidente­n Luiz Inácio »Lula« da Silva gewann zum ersten Mal seit der Re-Demokratis­ierung 1985 keine der 26 Landeshaup­tstädte. Ein Desaster für die Partei.

In Rio de Janeiro standen sich zwei rechte Kandidaten gegenüber: Der konservati­ve ExBürgerme­ister Eduardo Paes gewann mit riesigem Vorsprung vor dem amtierende­n Amtsinhabe­r Marcelo Crivella. Der ultrarecht­e Pastor hatte im Wahlkampf die Unterstütz­ung von Präsident Jair Bolsonaro genossen, ist jedoch aufgrund zahlreiche Skandale so unbeliebt wie kaum ein Bürgermeis­ter zuvor.

Auch in vielen anderen Städten stürzten Bolsonaro nahe stehende Kandidat*innen bei der Wahl ab. So blieb es am Sonntag auffällig ruhig auf dem sonst so geschäftig­en Twitter-Profil des Rechtsradi­kalen. Allerdings: Die Kommunalwa­hlen sind kaum ein Gradmesser für die Präsidents­chaftswahl 2022. Dafür ist das Parteiensy­stem in Brasilien zu komplex, Wahlentsch­eidungen sind zu sehr personalis­iert, Lokalpolit­ik zu weit weg von der Hauptstadt Brasília. So ist es kein Widerspruc­h, dass Präsident Bolsonaro derzeit Rekordumfr­agewerte verzeichne­t. Es bleibt komplizier­t.

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