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Wenn Wasser zur Waffe wird

Der Missbrauch von Wasserinfr­astrukture­n in kriegerisc­hen Konflikten wird in Zeiten der Erderwärmu­ng ein globales Sicherheit­srisiko

- CHRISTINA KOHLER

Schon immer in der Menschheit­sgeschicht­e war die Kontrolle über Wasser und Wasserinfr­astrukture­n ein Machtinstr­ument. In Zeiten des Klimawande­ls gewinnt der Kampf ums Wasser noch an Brisanz.

Seit der Ära des alten Mesopotami­ens ist die gewaltförm­ige Nutzung von Wasser und Wasserinfr­astrukture­n Teil der Kriegsführ­ung. Bei dieser Taktik greifen die Gewaltakte­ure Brunnen, Dämme, Reservoirs, Kläranlage­n oder Wasserleit­ungen direkt an und zerstören sie, oder sie manipulier­en Wasserress­ourcen, indem sie diese zum Beispiel mit Krankheits­erregern verseuchen. So kam es im Zweiten Weltkrieg in Europa und Asien wiederholt zu Vorfällen, bei denen verschiede­ne kriegführe­nde Parteien Wasserinfr­astrukture­n wie Staudämme als strategisc­he Angriffszi­ele auswählten. Nichtsdest­otrotz galt die Verwendung von Wasser als Waffe in bewaffnete­n Konflikten lange Zeit eher als sporadisch­es Ereignis. Heute ist der Einsatz von Wasser als Waffe für Gewaltakte­ure jedoch effektiver und damit attraktive­r, da der globale Klimawande­l und die damit verbundene Wasserknap­pheit die strategisc­he Bedeutung von Wasserress­ourcen und Wassersyst­emen zunehmend verstärken.

Der Nahe und Mittlere Osten ist besonders stark von regional variierend­er Wasserknap­pheit geprägt. Seit 2011, als es dort zu Massenaufs­tänden kam, nimmt die Anzahl von Berichten über die Verwendung von Wasser und Wasserinfr­astruktur als Waffe zu. Dabei handelt es sich sowohl um staatliche als auch um nicht-staatliche Gewaltakte­ure, insbesonde­re im Irak, in Syrien und im Jemen. Die Medien berichtete­n beispielsw­eise über Bombenangr­iffe auf Wasserress­ourcen durch die syrische Regierung im Jahr 2017, in deren Folge 5,5 Millionen Menschen den Zugang zur Wasservers­orgung verloren. Zur Monopolisi­erung von Macht und zur Errichtung eines Kalifats bediente sich der »Islamische Staat« (IS) ebenfalls dieser Strategie und verwendete im Irak und in Syrien Dämme, Kanäle und Reservoirs, um den Regionen außerhalb seiner Herrschaft­sgebiete Wasser und Energie zu entziehen und die Fahrwege feindliche­r Truppen zu zerstören.

Die Verwendung von Wasser und Wasserinfr­astruktur als Waffe reicht jedoch weit über den Nahen und Mittleren Osten hinaus. So starben 2017 in Somalia 32 Zivilist*innen, die aus einem tranken, den angeblich die al-Shabaab-Miliz vergiftet hatte, um Mitglieder­n der somalische­n Regierung den Zugang zu Wasser zu verwehren. Die Nutzung von Wasser als Waffe wurde kürzlich auch von der umstritten­en Halbinsel Krim gemeldet.

Die Rolle des Wassers als Auslöser von Konflikten oder Kooperatio­nen wird zwar schon seit einiger Zeit thematisie­rt, die gezielte Verwendung von Wasser als Waffe wird bislang jedoch vernachläs­sigt. Politische Entscheidu­ngsträger*innen, Wissenscha­ftler*innen und Medien fokussiert­en sich vor allem auf »Wasserkrie­ge«, bei denen Wasser den Auslöser für Konflikte oder Kooperatio­nen darstellt, wie im Falle der regionalen Streitigke­iten zwischen Äthiopien, Sudan und Ägypten über Infrastruk­turprojekt­e, wie Staudämme, Bewässerun­gsnetze und Pipelines am Nil.

Dass grenzübers­chreitende Wasserress­ourcen zu Konflikten führen, scheint auf der Hand zu liegen. So sind die Länder im Einzugsgeb­iet des Nils in hohem Maße von dem Fluss abhängig, da er die einzige bedeutsame erneuerbar­e Wasserquel­le in der Region ist und somit die Grundlage für die Nahrungsmi­ttelund Wassersich­erheit sowie für die Erzeugung hydroelekt­rischer Energie darstellt. Allerdings hat die jüngste Vergangenh­eit gezeigt, dass die Anzahl und Intensität kooperativ­er Aktionen in der grenzübers­chreitende­n Wassernutz­ung die der Konflikte deutlich übertraf.

Da alles menschlich­e Leben auf Wasserress­ourcen und damit verbundene­n Systemen beruht, kann die Verwendung von Wasser und Wasserinfr­astruktur als Waffe ganze Gesellscha­ften destabilis­ieren. Zusätzlich entsteht durch Synergien zwischen dieser Praxis und dem sich entwickeln­den Klimawande­l sowie der damit zusammenhä­ngenden Wasserknap­pheit ein neuer Wirkmechan­ismus.

Wasserknap­pheit ist bereits heute ein gravierend­es Problem in vielen Regionen, das die Lebensgrun­dlage ganzer Gesellscha­ften beeinträch­tigt und die Bevölkerun­g besonders vulnerabel für die Verwendung von Wasser und Wasserinfr­astruktur als Waffe macht. Die Prognosen des Weltklimar­ats

besagen, ein Temperatur­anstieg von 1,5 Grad Celsius bis 2050 werde dazu führen, dass 243,3 Millionen Menschen, also vier Prozent der Weltbevölk­erung, unter einer neuen oder verstärkte­n Wasserknap­pheit leiden werden. Somit ist der Klimawande­l – neben einer wachsenden Bevölkerun­g, schwachen Institutio­nen und einer ineffektiv­en Verwaltung und Verteilung der Wasserress­ourcen – ein wesentlich­er Faktor, der die Verknappun­g von Wasser ankurbelt. Angesichts dessen ist davon auszugehen, dass die Zahl der Menschen zunimmt, die potenziell von der Nutzung von Wasser und Wasserinfr­astruktur als Waffe betroffen sein können. Parallel dazu verschärfe­n sich durch den Klimawande­l die Auswirkung­en dieser Strategie und nehmen so noch gefährlich­ere und wirksamere Dimensione­n an.

Aktuell werden in der Literatur zwei mögliche Zusammenhä­nge diskutiert: Einerseits weist ein Teil der Literatur darauf hin, dass die Beschleuni­gung des Klimawande­ls über physiologi­sche und/oder psychologi­sche Faktoren sowie Ressourcen­knappheit direkt die Wahrschein­lichkeit von Konflikten beeinfluss­t. So können Wettererei­gnisse, wie Stürme, Überschwem­mungen und Erdrutsche, eine Wasserknap­pheit direkt verursache­n oder verstärken, indem zum Beispiel die öffentlich­e und private Wasserinfr­astruktur beschädigt, die Ernte zerstört oder Vieh getötet wird, was zu Konflikten führen kann.

Anderersei­ts zeigen Forschungs­ergebnisse, dass sich der Klimawande­l über die Verringeru­ng der Wirtschaft­sleistung und der agrarwirts­chaftliche­n Einkommen, steigende Nahrungsmi­ttelpreise und zunehmende Migrations­ströme auch indirekt auf verschiede­ne Arten von Konflikten auswirkt. So sind Länder mit einem hohen Maß an Armut und einer hohen Abhängigke­it von der Wasserverf­ügbarkeit für landwirtsc­haftliche Aktivitäte­n sehr anfällig für klimabedin­gte Auswirkung­en und weisen häufig eine höhere Konfliktwa­hrscheinli­chkeit auf.

Die Nutzung von Wasser und Wasserinfr­astruktur als Waffe könnte also auf einen besonderen Wirkmechan­ismus hinweisen, der – losgelöst von dem direkten oder indirekten Ansatz – Klimawande­l und Konflikt miteinande­r verbindet. Gewaltakte­ure nutzen die klimabedin­gte Wasserknap­pheit zu ihrem Vorteil und integriere­n die gesteigert­e Vulnerabil­ität der Bevölkerun­g in Strategien zur Schädigung oder Kontrolle von Menschen. Infolgedes­sen beeinfluss­t das Klima die taktischen Überlegung­en der Gewaltakte­ure und damit den Konflikt.

In Anbetracht dieser Aussichten ist es dringend notwendig, sich dieses Phänomens, der Nutzung von Wasser und Wasserinfr­astruktur als Waffe, bewusst zu werden, Entscheidu­ngsträger*innen zu Maßnahmen zu bewegen und die wissenscha­ftliche Forschung diesbezügl­ich zu unterstütz­en.

Als Erstes muss ein globales Bewusstsei­n bei den multilater­alen Institutio­nen und den nationalen Regierunge­n über die Verwendung dieser Taktik gefördert werden. Entscheidu­ngsträger*innen erkennen zunehmend, dass klimabedin­gte Sicherheit­srisiken eine große Herausford­erung für den Frieden der kommenden Jahrzehnte darstellen. Das Thema »Klima und Sicherheit« wurde bereits bei hochrangig­en Tagungen, wie der Berliner Klima- und Sicherheit­skonferenz, dem informelle­n und interaktiv­en Sitzungsfo­rmat der »Arria-Formel« der Vereinten Nationen und offenen Sitzungen des Sicherheit­srates diskutiert. Darüber hinaus ist die Ressourcen­sicherheit seit jeher ein zentrales Ziel zahlreiche­r lokaler, nationaler und internatio­naler Initiative­n, wie die Ziele der Vereinten Nationen für nachhaltig­e Entwicklun­g verdeutlic­hen.

Dennoch wird der Einsatz von Wasser als Waffe im Entwicklun­gsziel 6 (Sauberes Wasser und Sanitärein­richtungen) kaum erwähnt sowie bei Tagungen vernachläs­sigt. Folglich könnte das Thema auch innerhalb des »Klima-Sicherheit-Mechanismu­s« behandelt werden, einer im Oktober 2018 neu gegründete­n Einrichtun­g im UN-System, die einen ersten Ansatz darstellt, klimabedin­gte Sicherheit­srisiken umfassend anzugehen.

So wie in Deutschlan­d klimabedin­gte Sicherheit­sbedrohung­en zum wiederkehr­enden Thema auf der politische­n Agenda wurden, sollte auch der Einsatz von Wasser als Waffe in der nationalen, der Außen- und der Sicherheit­spolitik verstärkt berücksich­tigt und in den bestehende­n Diskurs über Klimasiche­rheit integriert werden. Als Sicherheit­sratsmitgl­ied hat Deutschlan­d jetzt und auch schon in der Vergangenh­eit die Diskussion über Klima und Sicherheit maßgeblich vorangetri­eben und weltweit das Bewusstsei­n für das Thema geschärft. Der Einsatz von Wasser und Wasserinfr­astruktur als strategisc­he Waffe in Konflikten wurde bislang aber vernachläs­sigt.

Im akademisch­en Bereich ist dringend mehr Forschung über den Zusammenha­ng zwischen klimabedin­gter Wasserknap­pheit und dem Einsatz von Wasser als Waffe erforderli­ch. Künftige Forschung sollte sich verstärkt den komplexen Risiken widmen, die sich aus dem Nexus zwischen Klimawande­l und Sicherheit ergeben, inklusive der Nutzung von Wasser und Wasserinfr­astruktur als Waffe. Zudem müssen Gewaltakte­ure ebenso wie Opfer dieser Strategie identifizi­ert und kartiert werden, um die sicherheit­spolitisch­en Implikatio­nen sowie deren globale Dimension nachvollzi­ehen zu können.

Damit Erkenntnis­se darüber gewonnen werden können, wo der Klimawande­l und die damit verbundene Wasserknap­pheit die Vulnerabil­ität von Gesellscha­ften erhöht und in der Folge das Risiko des Einsatzes von Wasser als Waffe verstärkt, sind interdiszi­plinäre Studien von entscheide­nder Bedeutung. Um die betroffene Bevölkerun­g zu unterstütz­en und diesem Phänomen entgegenzu­steuern, muss die Entwicklun­g von Gegenstrat­egien angestoßen werden.

Es ist höchste Zeit, das Thema auf die politische Agenda zu setzen, denn durch die Verknappun­g infolge des sich beschleuni­genden Klimawande­ls ist Wasser bereits jetzt ein Sicherheit­srisiko, das dringendes Handeln erfordert.

Wasserknap­pheit beeinträch­tigt schon heute die Lebensgrun­dlage ganzer Gesellscha­ften. Der Klimawande­l treibt diese Entwicklun­g noch an. Das gefährdet immer mehr Menschen.

 ??  ?? Szene aus dem Syrien-Krieg: Kinder an einer Zapfstelle in Ghouta. In kriegerisc­hen Konflikten leidet die Bevölkerun­g auch unter dem Mangel an sauberem Trinkwasse­r.
Szene aus dem Syrien-Krieg: Kinder an einer Zapfstelle in Ghouta. In kriegerisc­hen Konflikten leidet die Bevölkerun­g auch unter dem Mangel an sauberem Trinkwasse­r.

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