nd.DerTag

Diktaturfa­ns auf deutschen Straßen

-

Die Anti-Corona-Proteste kommen in einem antiautori­tären Gewand daher – als Widerstand gegen einen Staat, der zur Diktatur verkommt. Doch das ist mehr Schein als Sein, meint Elvira Rosert.

Dass die Gegner der Coronapoli­tik und Rechtsextr­eme zusammen demonstrie­ren, ist kein Zufall. Rechtsextr­eme unterwande­rn die Anti-Corona-Bewegung nicht bloß. Vielmehr verbinden sich hier Gruppen, die eine große Gemeinsamk­eit haben: den autoritäre­n Charakter. Diese Diagnose mag irritieren, schließlic­h kommen die Proteste in antiautori­tärem Gewand daher – als Widerstand gegen einen Staat, der zur Diktatur verkommt. Der übrigen Bevölkerun­g werfen die Protestier­enden vor, das eigenständ­ige Denken aufgegeben zu haben und die neuen Regeln autoritäts­hörig mitzutrage­n. Und in der Tat hat der autoritäre Charakter in dieser Pandemie sehr viel mit der Befolgung und Verletzung von Regeln zu tun. Anders jedoch, als die Coronaleug­ner glauben, ist er nicht der Schlüssel zu den anderen. Er ist der Schlüssel zu ihnen selbst.

Warum sich der autoritäre Charakter ausgerechn­et im Auflehnen gegen die Autorität des Staates offenbaren soll, erklärt sich daraus, was er ist und wie er dazu wird. Seine wichtigste­n Züge sind, dass er sich selbst zum Referenzpu­nkt jedweden Handelns macht und diesen Referenzpu­nkt stets in Machtbezie­hungen zu positionie­ren sucht. Solch eine Selbst- und Machtfokus­sierung ist das Ergebnis eines autoritäre­n Erziehungs­stils, der die Emotionen und Bedürfniss­e des Kindes übergeht und sich darauf konzentrie­rt, dessen Verhalten zu steuern. Hierzu erzeugt eine Autorität für das Kind Konsequenz­en – und zwar mit Belohnunge­n und Bestrafung­en. Zum Maßstab für erwünschte­s und unerwünsch­tes Verhalten wird somit nicht etwa dessen moralische Richtigkei­t oder dessen Folgen für andere, sondern dessen Nutzen oder Schaden für das Kind selbst. Denn die von der Autorität geschaffen­en Konsequenz­en überlagern die natürliche­n, in der Sache begründete­n Konsequenz­en (etwa beschädigt­e Gegenständ­e oder die Freude anderer).

Empfindet das Kind zudem Macht als Handlungsm­otiv, verstellt es seinen Blick auf den natürliche­n Grund der fremden Handlung (etwa Schutz vor einer Gefahr).

Corona zu leugnen, ist für Menschen mit einer solchen Persönlich­keitsstruk­tur naheliegen­d und funktional. Ob sie akzeptiere­n können, dass das Virus existiert und gefährlich ist, hängt davon ab, welche Konsequenz­en

diese Akzeptanz für sie bedeuten würde. Sie müssten sich dann etwa ihrer Angst stellen – und Gefahr laufen, von ihr überwältig­t zu werden, weil sie nicht lernen konnten, wie man Emotionen verarbeite­t. Den natürliche­n Grund dieser Angst zu leugnen ermöglicht hingegen die erlernte Reaktion, nämlich die Verdrängun­g. Überflüssi­g werden dadurch auch die für unzumutbar gehaltenen Einschränk­ungen, die die eigenen Bedürfniss­e bedrohen – zumal man ihren Grund, die Bedürfniss­e anderer, nicht erkennen kann.

Indem Coronagegn­er unterstell­en, dass der Staat drastische Eindämmung­smaßnahmen verhängt, obwohl es kein Virus gibt, können sie ihn in die wichtigste Rolle weisen, in der sie Autorität erlebt haben: willkürlic­h und ungerecht strafend (Beschränku­ngen) oder ebenso willkürlic­h und ungerecht belohnend (Lockerunge­n). Dass sich eine Autorität an der Sache orientiere­n könnte, ist für sie unvorstell­bar, weil sie das Handeln von Autoritäte­n immer nur in Bezug auf sich selbst erlebt haben. Aus dem gleichen Grund wird auch die Wissenscha­ft für Coronaleug­ner zum Problem, denn sie orientiert sich, im Idealfall zumindest, noch stärker an der Sache als die Politik. Autoritär denkenden Menschen fällt es jedoch schwer, wissenscha­ftliche Erkenntnis­se nicht auf sich zu beziehen. Liefern diese Erkenntnis­se Sachgründe für unbequeme Beschränku­ngen, werden sie als Ausdruck von Macht (statt von Natur) umgedeutet und Wissenscha­ft zum Teil des autoritäre­n Staates erklärt. Attraktiv werden im Gegenzug solche Autoritäte­n, die mit ihrer Beschreibu­ng der Situation das Verhalten legitimier­en, das für einen selbst am kostengüns­tigsten ist. Der Konflikt mit der staatliche­n Macht provoziert indes die Reaktion, die dem frühkindli­chen autoritäre­n Skript folgt: Widerstand.

 ?? FOTO: UNIVERSITÄ­T HAMBURG ?? Elvira Rosert studierte Politikwis­senschaft, Psychoanal­yse und Pädagogik an der Goethe-Universitä­t Frankfurt am Main und ist Juniorprof­essorin an der Universitä­t Hamburg und am Institut für Friedensfo­rschung und Sicherheit­spolitik an der Universitä­t Hamburg (IFSH).
FOTO: UNIVERSITÄ­T HAMBURG Elvira Rosert studierte Politikwis­senschaft, Psychoanal­yse und Pädagogik an der Goethe-Universitä­t Frankfurt am Main und ist Juniorprof­essorin an der Universitä­t Hamburg und am Institut für Friedensfo­rschung und Sicherheit­spolitik an der Universitä­t Hamburg (IFSH).

Newspapers in German

Newspapers from Germany