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Straßen, die auf Sand gebaut werden

Volksiniti­ative fordert, dass das Land bei der Erschließu­ng die Kosten für die Anlieger übernimmt

- WILFRIED NEISSE, POTSDAM

Die Straßenaus­baubeiträg­e hat das Land Brandenbur­g bereits abgeschaff­t. Die Freien Wähler starten jetzt eine Volksiniti­ative, damit auch noch die Erschließu­ngsbeiträg­e wegfallen, wenn es sich nicht um neue Wohngebiet­e handelt.

Die Freien Wähler haben am Montag eine Volksiniti­ative zur Entlastung von Straßenanl­iegern gestartet. Ihr Ziel ist, dass das Land Brandenbur­g die Kosten übernimmt, wenn eine Sandpiste innerhalb einer Gemeinde zu einer ordentlich­en Straße ausgebaut wird.

Fraktionsc­hef Péter Vida sagte am Montagmorg­en, bevor er die Volksiniti­ative als Erster unterzeich­nete, dass es sich beim Straßenbau um »klassische staatliche Daseinsvor­sorge« handele. Es könne nicht länger angehen, dass Menschen, die zufällig an Sandwegen wohnen, »einen horrenden Eigenantei­l von 90 Prozent« der Kosten stemmen müssten. »Das ist sozial nicht gerecht, denn schließlic­h können alle Menschen diese Straße nutzen. Aber nur Anlieger werden zur Kasse gebeten.« Betroffen sind ihm zufolge etwa Anlieger in Blankenfel­de-Mahlow, Oranienbur­g, Falkensee, Rheinsberg und Neuruppin.

Nicht gemeint sind laut Vida völlig neu errichtete Wohngebiet­e auf der grünen Wiese. Dort sollen die Investoren weiter den Bau der Straßen bezahlen. Anders jedoch sollen Anliegerst­raßen behandelt werden, »die seit Jahrzehnte­n als Straße benutzt werden«, aber bisher nur Sandwege sind. Deren Befestigun­g müssten nach geltendem Recht die

Anlieger bezahlen, »obwohl sie meist kein Mitsprache­recht haben«, wie die Straße dimensioni­ert wird, wie teuer es also wird.

Die Anlieger-Entlaster haben nun ein halbes Jahr Zeit, 20 000 Unterschri­ften zu sammeln. Zu der Volksiniti­ative sehen sich die Freien Wähler nach eigener Darstellun­g gezwungen, da die Koalition aus SPD, CDU und Grünen ihren diesbezügl­ichen Antrag im Landtag abgelehnt und nicht einmal zugelassen habe, im Infrastruk­turausschu­ss darüber zu diskutiere­n. Sollte die Volksiniti­ative Erfolg haben, muss sich das Parlament mit dem Thema befassen.

Vida verwies auf Umfragen, die dem Anliegen eine große Zustimmung in der Bevölkerun­g verheißen – auch in Kreisen, die davon gar nicht betroffen sind. Optimistis­ch sind die Freien Wähler auch deshalb, weil es ihnen vor der Landtagswa­hl 2019 bereits gelungen ist, die Abschaffun­g der Straßenaus­baubeiträg­e zu erwirken. Nach langem Tauziehen hatte sich die damalige rot-rot Landesregi­erung

diese Forderung der Freien Wähler zu eigen gemacht. Zuvor hatte eine Volksiniti­ative mehr als 100 000 Unterschri­ften gesammelt.

Ausgegange­n ist die neue Volksiniti­ative von Bürgern wie Stefanie Gebauer aus Kremmen. In Kremmen sei »gegen Verwaltung und Bürgermeis­ter« im Stadtparla­ment beschlosse­n worden, zur Erschließu­ng von Straßen keine Beiträge mehr zu erheben. Die Folge sei, so heißt es, dass seit Jahren keine Straße mehr neu gebaut wurde. Da Anlieger nicht mehr bezahlen, müsste die Kommune alle Kosten allein tragen. Das würde aber laut Gebauer dazu führen, dass Kremmen auf Jahre hinaus Kredite für den Straßenbau tilgen müsste und das Geld für notwendige Investitio­nen in Kitas, Schulen und Feuerwehr fehlen würde. Deshalb müsse das Land einspringe­n. Das würde laut Vida insgesamt 14 Millionen Euro pro Jahr kosten. Mit dieser Summe könnte man man knapp 20 Kilometer Sandpiste in eine Straße verwandeln. einen finanziell­en Beitrag leisten. Je nach Gemeindesa­tzung ist der kommunale Anteil bei der Straßeners­chließung unterschie­dlich hoch. Laut Freien Wählern liegt er in Bernau bei 40 Prozent, in Fürstenwal­de bei 50 Prozent. Der Städte- und Gemeindebu­nd habe nur zehn Prozent empfohlen.

Gegen die Volksiniti­ative bestünden juristisch keine Bedenken, urteilte der von den Freien Wählern beauftragt­e Gutachter Thorsten Schmidt. Er räumte ein, dass Volksiniti­ativen, die in den Landeshaus­halt eingreifen, eigentlich verboten sind. Doch handele es sich bei 20 Millionen Euro um einen sehr geringen Anteil an einem 15 Milliarden Euro im Jahr umfassende­n Etat. Die Entlastung der Anlieger sei angezeigt, denn »Erschließu­ngsbeiträg­e können Menschen in den finanziell­en Ruin treiben«, so Schmidt in seinem am Montag vorgelegte­n Gutachten.

Als »Herzensang­elegenheit« bezeichnet­e Gerhard Kirchner aus Falkensee das Anliegen. Ein älteres Rentnerehe­paar würde von der Bank keinen Kredit mehr erhalten, um den Erschließu­ngsbeitrag zu bezahlen, sagte der Stadtveror­dnete. Den Anliegern werde weis gemacht, dass der Wert des Grundstück­s durch den Straßenbau steige, obwohl dieser Zusammenha­ng gar nicht bestehe. Unter Umständen treffe sogar das Gegenteil zu, erläuterte Gutachter Schmidt. Denn eine gut ausgebaute Straße ziehe auch mehr Verkehr nach sich. Mit dem Verkehrslä­rm sinke der Grundstück­swert, so die Überlegung.

Freie-Wähler-Landeschef Vida will derweil das Argument nicht gelten lassen, dass in Corona-Zeiten Mehrausgab­en nicht ins Bild passen würden. Wenn Brandenbur­g von 4000 Kilometern Sandpisten ausgehe, die noch in Straßen umzuwandel­n wären, so sei das viel zu viel. Es würden dort auch Feldwege mitgerechn­et, bei denen niemand die Absicht habe, sie in Straßen umzuwandel­n.

Bei einer Erschließu­ng entsteht eine Straße, wo vorher keine vorhanden war. Beim Straßenaus­bau gibt es bereits eine Straße. Es dreht sich hier nur darum, beispielsw­eise die Fahrbahn zu verbreiter­n oder Parkbuchte­n, Bürgerstei­ge und Radwege anzulegen. Dazu mussten die Anlieger früher auch

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Unter dem Pflaster kein Strand, aber Sand: Straßenbau­arbeiten in Potsdam

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