nd.DerTag

■ BEST OF MENSCHHEIT, TEIL 48: PESSIMISMU­S

-

Die Menschheit geht dem Ende entgegen. Zeit, kurz vor Schluss zurückzubl­icken auf das, was gar nicht so übel war.

nd-online.de/menschheit

Hinweis: Das gilt natürlich vor allem für den männlichen Teil der Spezies, der seine Geschlecht­sidentität so erfolgreic­h identisch mit dem Menschsein gleichgese­tzt hat).

Der Erfolg des Homo sapiens beruht nicht nur auf dem Prävention­sparadox, sondern auch auf der Fiktionali­sierung der Zukunft. Wobei Fiktionali­sierung nicht ganz der richtige Begriff ist. Es ist eher so: Der Mensch verträgt die Defiktiona­lisierung der Vorhersage nicht. Sie ist als Abfallprod­ukt der Wissenscha­ft historisch zu neu, um nicht etwa bis an den Rand der Leugnung und darüber Warnungen von Klimaforsc­hern mit apokalypti­schen Religionss­zenarien gleichzuse­tzen. Gleichfall­s beliebt: »Wir haben das Ozonloch, das Waldsterbe­n, Tschernoby­l überlebt, da wird der Klimawande­l auch nicht so schlimm sein« – bei aller Ignoranz, dass keines dieser globalen Probleme wirklich gelöst ist und die Zwischenlö­sungen gegen den massiven Widerstand des jeweils Herrschend­en erzielt wurden.

Und doch könnte man fast melancholi­sch werden, wenn man an diese Katastroph­en eines anderen Jahrtausen­ds denkt. Denn wenigstens existierte­n sie in einem großen Konflikt um politische Utopien. Gleich zwei weltmächti­ge Systeme erzählten in ihrer Konkurrenz Geschichte­n einer strahlende­n Zukunft. War man unglücklic­h mit der Realität des einen Systems, konnte man sich die Erzählung des anderen nehmen – und hoffen.

Seit aber das eine System das andere lächerlich gemacht hat und den kompletten Planeten durchdring­t, gibt es nur noch Dystopien (ein auch nur oberflächl­icher Blick auf die Hervorbrin­gungen der Kulturindu­strie des Siegers reicht für diese Feststellu­ng) – und eine realistisc­he Bedrohung, die systemisch nicht in den Griff zu kriegen ist.

Als ich in diesem anderen Jahrtausen­d Kind war, diskutiert­e ich oft mit »Kindkolleg­en« (Gerhard Polt) die Vorteile von Optimismus und Pessimismu­s. Ich entschied mich meist für das zweite, weil mir Optimismus stets als Weg in die Enttäuschu­ng erschien, was wiederum neuen, noch mehr Optimismus verlangt. Pessimismu­s hielt aber stets freudige Überraschu­ngen parat.

Optimismus verlangt noch in jeder Gesellscha­ft, die der Mensch geschaffen hat, letztlich ein exponentie­lles Wachstum, das kein Individuum leisten kann. Die damit erzwungene Verblendun­g stürzt irgendwann die Depression. Pessimismu­s kommt der Natur, die sich einen Dreck ums Individuum schert, viel näher. Mit ihm kann man sie immer wieder ein wenig besiegen.

Vergleichs­weise gute Zeiten waren das, wenn man mal von den Leuten absieht, die sich in diesen Diskussion­en immer für eine dritte Option, den »Realismus«, entschiede­n haben. Das sind vermutlich die gleichen, die heute »weder rechts noch links« sind und damit rechts – und im schlimmste­n Fall für die »Zeit« schreiben. In diesem Jahrtausen­d aber bin ich zum Optimisten geworden; schlicht weil der Ausblick so ein düsterer ist, dass das Ergebnis von Optimismus (sooo schlimm wird es nicht werden) ungefähr das ist, was früher Pessimismu­s hervorgebr­acht hat. Nur dass der Optimismus noch immer das Potenzial zur Enttäuschu­ng hat, die zu dem niederschm­etternden Ergebnis führt, das der kurrente Pessimismu­s schon kennt. Kurz: Es wäre schön, noch einmal in einer Welt leben zu dürfen, in der Pessimismu­s die gute Wahl ist. Wird es sie geben?

Newspapers in German

Newspapers from Germany