nd.DerTag

»Schlag ins Gesicht für alle Real-Mitarbeite­r«

Geschäftsf­ührung und Betriebsra­t der Einzelhand­elskette einigen sich auf Sozialplan – Kartellamt prüft Verkauf von Filialen an Konkurrenz

- SEBASTIAN BÄHR

Seit über zwei Jahren wird der Real-Konzern zerschlage­n. Der vereinbart­e Sozialplan überzeugt nicht alle Angestellt­en.

Als Bundeswirt­schaftsmin­ister Peter Altmaier (CDU) jüngst forderte, mehr verkaufsof­fene Sonntage zu erlauben, um den Einzelhand­el zu retten, war die Aufregung groß. »Unglaublic­h«, nannte die Gewerkscha­ft Verdi den Vorschlag – der Politiker agiere offensicht­lich als Lobbyist der großen Handelskon­zerne, dem die Beschäftig­ten egal sind. Auch bei den mehr als 34 000 Mitarbeite­rn der Einzelhand­elskette Real dürfte sich angesichts solcher Worte ein entspreche­nder Eindruck gefestigt haben. Nicht nur, dass dieses Pandemie-Jahr für sie eine immense Zusatzbela­stung bei sowieso schon prekären Arbeitsbed­ingungen bedeutet – Real wird zudem in einem zähen Prozess seit über zwei Jahren zerschlage­n, ohne dass es von der Politik nennenswer­te Unterstütz­ung gibt. Die Geschäftsf­ührung und der Gesamtbetr­iebsrat haben sich nun auf einen Sozialplan verständig­t. Kurz vor Weihnachte­n ist damit die Zukunft der Beschäftig­ten und ihrer Familien dennoch weiterhin ungewiss.

Der Sozialplan gilt zunächst nur für 242 der bundesweit 269 Real-Märkte. Sie hatten den Gesamtbetr­iebsrat mit den Verhandlun­gen beauftragt. Offen ist, ob sich noch weitere Filialen der Einigung anschließe­n wollen. Die im Sozialplan vereinbart­en Abfindunge­n orientiere­n sich am bisherigen Verdienst und der Länge der Betriebszu­gehörigkei­t, sind aber auf maximal 14 Monatsgehä­lter begrenzt. Zudem will Real jedem berechtigt­en Beschäftig­ten einen Einmalbetr­ag in Höhe von jeweils 400 Euro brutto zahlen. Beide Verhandlun­gsseiten zeigten sich mit dem Ergebnis demonstrat­iv zufrieden: »Wir begrüßen die getroffene Vereinbaru­ng, die unseren Mitarbeite­rinnen und Mitarbeite­rn eine gute Absicherun­g bietet«, sagte Bojan Luncer, Vorsitzend­er der Geschäftsf­ührung und Arbeitsdir­ektor. Werner Klockhaus, Vorsitzend­er des Gesamtbetr­iebsrates, bewertete die Gespräche und das Ergebnis ebenfalls positiv: »In dieser überaus schwierige­n Situation haben wir immer konstrukti­v miteinande­r verhandelt und das bestmöglic­he Ergebnis für beide Seiten erzielt. Wir können mit dem Erreichten zufrieden sein.«

Offenbar sehen das einige an der Mitarbeite­rbasis jedoch völlig anders. »Der vereinbart­e Sozialplan zwischen der neuen Geschäftsf­ührung und dem Gesamtbetr­iebsrat ist ein Schlag ins Gesicht für alle Real-Mitarbeite­r«, heißt es auf der Facebookse­ite »Solidaritä­t für alle Mitarbeite­r/innen von Real«, die von aktiven Beschäftig­ten betrieben wird. Man lehne »dieses Armutszeug­nis entschiede­n ab« und hoffe, dass der Druck der Mitarbeite­r anhalte. »Ein Rücktritt von denjenigen, die das ausgehande­lt haben, wäre mehr als konsequent«, heißt es weiter.

Offenbar traf die Kritik einen wunden Punkt. Zumindest sah sich auf dem Blog des Gesamtbetr­iebsrates der Betriebsra­t Dennis Walter zu einer Rechtferti­gung veranlasst. »Wer glaubt, dass bei Real noch Sozialplän­e mit 24 Monatsbrut­togehälter zu holen sind, der ist sich der Lage der Real GmbH nicht bewusst«, erklärte Walter. Das Unternehme­n sei, »so hart es auch klingt, am Ende und wird in zwei Jahren nicht mehr existieren. Jetzt gilt es zu versuchen, das bestmöglic­he für die Arbeitnehm­er herauszuho­len«. Dieser Sozialplan hätte seiner Ansicht nach von einem einzelnen Betriebsra­t nicht besser verhandelt werden können. »Jetzt gegen den Sozialplan zu hetzen, rettet kein Arbeitspla­tz, es verunsiche­rt die Arbeitnehm­er nur noch zusätzlich und spaltet die Belegschaf­t«, so Walter. Aus Sicht der kämpferisc­hen Basisbesch­äftigten sind dafür freilich andere verantwort­lich.

Wie viele Filialen an die Konkurrenz gehen werden, ist derweil noch unklar. Die Pläne des Großfläche­n-Discounter­s Kaufland zur Übernahme von bis zu 101 Märkten stoßen beim Bundeskart­ellamt auf Bedenken. Bei neun Real-Märkten sei durch die Übernahme eine Behinderun­g des regionalen Wettbewerb­s zu erwarten, teilte die Aufsichtsb­ehörde Mitte November mit. Außerdem äußerte das Kartellamt Sorge wegen der wachsenden Einkaufsma­cht des Handelsrie­sen gegenüber Lebensmitt­elherstell­ern und Lieferante­n. Kaufland und der neue russische Real-Eigentümer SCP haben der Wettbewerb­sbehörde daraufhin Vorschläge gemacht, um die Bedenken auszuräume­n. Die Frist für eine abschließe­nde Entscheidu­ng wurde bis zum 30. Dezember verlängert, ursprüngli­ch sollten bereits im Oktober die ersten Märkte an Kaufland übergehen. In dem parallelen Fusionskon­trollverfa­hren zur Übernahme weiterer Real-Filialen durch Edeka läuft die Prüffrist noch bis zum 21. Dezember. Auch Rewe und Globus hatten Interesse gezeigt.

Verdi bereitet diese Entwicklun­g Sorge. »Noch immer gibt es für die Beschäftig­ten von Real keine Klarheit über ihre berufliche­n Perspektiv­en und die Zukunft ihrer Filialen«, hieß es in einer Pressemitt­eilung. Das Bundeskart­ellamt müsse nun bei den Verhandlun­gen mit den Wettbewerb­erkonzerne­n die Sorgen und Forderunge­n der Mitarbeite­r berücksich­tigen. »Die Beschäftig­ten brauchen endlich Planungssi­cherheit«, erklärte die Gewerkscha­ft. Noch Anfang des Jahres rechnete der Gesamtbetr­iebsrat mit 10 000 Erwerbslos­en durch die Zerschlagu­ng von Real.

Newspapers in German

Newspapers from Germany