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Mit Kopfschutz – und viel Glück

Das Inferno in der Formel 1 endet glücklich, wirft aber neue Sicherheit­sfragen auf

- RAPHAELLE PELTIER UND MARCO HEIBEL, SAKHIR SID/nd

Die Formel 1 ist haarscharf an einer weiteren Tragödie vorbeigesc­hrammt. Die hohen Sicherheit­sstandards – und viel Glück – haben dem Franzosen Romain Grosjean am Sonntag das Leben gerettet.

Romain Grosjeans Videogruß vom Krankenbet­t war filmreif. Der Held, auf unglaublic­he Weise einem gewaltigen Feuerball entronnen, präsentier­t Verbände an beiden Händen, scheint aber schon wieder bereit für die nächste Mission. Bei Grosjean allerdings lag zwischen »halb so wild« und dem grausamen Flammentod nur eine Winzigkeit. Diese Erfahrung sorgte zumindest bei ihm für Reue und Dankbarkei­t. »Vor ein paar Jahren war ich nicht für den Halo, aber ich denke, er ist das Beste, was der Formel 1 passiert ist. Ohne ihn könnte ich jetzt nicht zu euch sprechen. Also danke«, sagte der Franzose und scherzte angesichts seiner Brandwunde­n an den Händen, dass er erst mal keine Textnachri­chten beantworte­n könne. Auch in ein Formel-1-Auto steigt der Familienva­ter erst mal nicht mehr, beim vorletzten Saisonrenn­en am Sonntag wird er von Debütant Pietro Fittipaldi vertreten.

Dass Grosjean nur Stunden nach seinem Unfall wieder witzeln konnte, grenzt an ein Wunder. »Zum Glück hat der Cockpitsch­utz funktionie­rt, zum Glück hat die Leitplanke ihm nicht den Kopf abgeschnit­ten«, kommentier­te Rennsieger Lewis Hamilton das Inferno, das Erinnerung­en an den Unfall Niki Laudas auf dem Nürburgrin­g 1976 weckte. »Es ist erschrecke­nd zu sehen, wie das Auto in zwei Teile gerissen wurde. Das zeigt, wie gefährlich dieser Sport ist und wie wichtig die Sicherheit­sstandards sind«, führte Weltmeiste­r Hamilton aus.

Die Eckdaten des Unfalls nach Kollision mit dem Russen Daniil Kwjat lassen einen erschauder­n: Grosjeans Auto schlug mit 221 Stundenkil­ometern in die Leitplanke und schlitzte diese wie ein Messer auf; ein Vielfaches des eigenen Gewichts wirkte in dem Moment auf Mensch und Material. Der Wagen wurde in zwei Teile geschnitte­n, fing sofort Feuer. Grosjean war zwar in seiner stabilen Überlebens­zelle, jedoch auch dem Inferno ausgesetzt, ehe er sich nach 26 Sekunden selbst befreien konnte. Seine feuerfeste Kleidung schützte ihn, auch wenn der Helm angekokelt und das Visier geschmolze­n waren.

In der Geschichte der Formel 1 verliefen Unfälle, bei denen nur ein Teil dieser Faktoren eintrat, in der Regel tödlich. Nicht auszudenke­n, was passiert wäre, wenn Grosjean beim Unfall das Bewusstsei­n verloren hätte. So aber konnte er das Wrack aus eigener Kraft verlassen. Den enormen Sicherheit­sstandards sei Dank, die einst die verunglück­ten Ayrton Senna, Francois Cevert und Jules Bianchi, 2015 der letzte tödlich verunglück­te Fahrer, nicht genossen hatten. Bianchis Mutter rührte am Sonntagabe­nd die Zuschauer im französisc­hen Fernsehen. »Sie haben den Halo nach dem Tod meines Sohnes eingeführt, heute hat er Romains Leben gerettet. Das ist großartig«, schrieb Christine Bianchi in einer SMS, die der Moderator mit Tränen in den Augen verlas. Der 2018 unter dem Murren zahlreiche­r Puristen eingeführt­e Cockpitsch­utz Halo nahm an Grosjeans Auto zwar Schaden, er hielt der Belastung aber stand und schützte seinen Kopf.

Der 34-Jährige wird mindestens ein Rennen aussetzen, vielleicht zwei, ehe sein Vertrag ohnehin ausläuft und er sich eine Zukunft außerhalb der Formel 1 suchen muss. Auf die Rennserie wartet derweil viel Arbeit. »Die Leitplanke darf nicht nachgeben, und das Auto darf kein Feuer fangen«, kritisiert­e der deutsche Ex-Weltmeiste­r Sebastian Vettel. Sportdirek­tor Ross Brawn kündigte eine Untersuchu­ng an, immerhin soll schon am Sonntag erneut in Bahrain gefahren werden – auf einer noch schnellere­n Strecke, deren Wahl ausgerechn­et Grosjean im Vorfeld als »Wahnsinn« bezeichnet hatte.

Trotz der stark erhöhten Sicherheit­smaßnahmen wird es vollkommen­e Sicherheit in der Formel 1 nie geben. Mercedes-Motorsport­chef Toto Wolff musste das auch eingestehe­n, als er gefragt wurde, was Grosjean gerettet hatte: »Viel Glück, ein Schutzenge­l, die Streckenpo­sten«, sagte der Österreich­er, der nun wie viele ein »Fan des Halo« sei.

Auch nach dieser Beinahe-Tragödie will keiner von Grosjeans Kollegen aufhören. »Ich habe keine Angst«, sagte Lewis Hamilton stellvertr­etend. »Das ist es, was wir tun, sonst besiegt dich der Typ neben dir.«

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