nd.DerTag

Widerstand gegen Mietwucher

Hamburger Initiative­n wollen Ausverkauf städtische­r Grundstück­e stoppen und fordern auch Stopp von Privatisie­rungen

- VOLKER STAHL, HAMBURG

Zwei Volksiniti­ativen wollen in Hamburg den Ausverkauf städtische­r Grundstück­e stoppen und die Mieten darauf entstehend­er Wohnungen deckeln.

Die Stadt Hamburg soll dazu verpflicht­et werden, künftig keine eigenen Grundstück­e und Wohnungen mehr zu veräußern, sondern ihr Tafelsilbe­r nur noch im Erbbaurech­tsverfahre­n zu vergeben. Darüber hinaus sollen die Mieten der auf stadteigen­em Boden entstehend­en Neubauwohn­ungen das Mietpreisn­iveau von Sozialwohn­ungen – aktuell 6,70 Euro pro Quadratmet­er – nicht übersteige­n; es muss sich dabei aber nicht unbedingt um geförderte­n Wohnraum handeln. Mieterhöhu­ngen sollen zwar generell möglich sein, sich aber am Lebenshalt­ungsindex orientiere­n, zudem begrenzt auf maximal zwei Prozent pro Jahr.

Die derzeitige Regelung, bei der Wohnraum durch zeitlich befristete Programme gefördert wird, halten die Initiatore­n der

Volksiniti­ativen nicht für nachhaltig. Grund: Nach dem Auslaufen der Preisbindu­ngen werden die Mieten anfangs noch geförderte­r Wohnungen binnen weniger Jahre oft dem Marktnivea­u angepasst. Dies führt zwangsweis­e zu einer Verdrängun­g der Bestandsmi­eterinnen und -mieter. Wie dramatisch der Rückgang der Sozialwohn­ungen ist, zeigt ein Blick auf die Statistik. Während die Hansestadt Ende der 1970er-Jahre noch über 350 000 Sozialwohn­ungen verfügte, waren es Anfang dieses Jahres nur noch 77 491 – und das bei mittlerwei­le größerer Einwohnerz­ahl.

Im Februar 2020 wurden die Volksiniti­ativen »Boden und Wohnraum behalten. Hamburg sozial gestalten« und »Neubaumiet­en auf städtische­m Grund – für immer günstig« aus der Taufe gehoben. Trotz pandemiebe­dingter Schwierigk­eiten sammelten sie bis Mitte Oktober mit jeweils circa 14 400 deutlich mehr als die jeweils 10 000 erforderli­chen Unterschri­ften. Ihr Motto: Motto »Keine Profite mit Boden & Miete«.

Volksiniti­ativen-Initiator Gilbert Siegler wertete das Überschrei­ten der ersten Hürde im Volksgeset­zgebungsve­rfahren in Anbetracht der angespannt­en Lage auf dem Hamburger Wohnungsma­rkt als »Riesenerfo­lg für Hamburgs Mieterinne­n und Mieter«. Unterstütz­t wird der wohnungspo­litische Vorstoß von einem breiten Bündnis, darunter die beiden großen Hamburger Mietervere­ine, die Gewerkscha­ften Verdi, GEW & NGG, Attac, das Netzwerk Recht auf Stadt sowie die Antifa Altona Ost und die Roten Flora.

»Die beiden Volksiniti­ativen sind gegenwärti­g wohl das zentralste Projekt der Hamburger Mieterinne­nbewegung«, frohlockt Unterstütz­er und Rechtsanwa­lt Bernd Vetter. Doch es handle sich bisher nur um einen »Etappensie­g«, meint das linksalter­native Hamburger Urgestein. Denn nun muss sich die Hamburgisc­he Bürgerscha­ft in öffentlich­er Sitzung mit dem Anliegen der beiden Volksiniti­ativen befassen. Falls das Stadtparla­ment die Forderunge­n nicht binnen vier Monaten umsetzt, können die Initiatore­n ein

Volksbegeh­ren starten: Fünf Prozent der Wahlberech­tigten in Hamburg – 65 000 Personen – müssten sich innerhalb von drei Wochen in Listen eintragen. Käme das Begehren zustande, wäre der Volksentsc­heid der nächste und finale Schritt.

Derweil fordert der Mietervere­in zu Hamburg, mit 70 000 Mitglieder­n die größte Mieterorga­nisation, dass der rot-grüne Senat mit seiner Zweidritte­lmehrheit in der Bürgerscha­ft auf die Initiatore­n zugeht und auslotet, ob die Forderunge­n der Initiative­n vom Senat übernommen werden können. »Nachdem sich SPD und Grüne in Ihrem Koalitions­vertrag zur ›sozialvera­ntwortlich­en Stadtentwi­cklung‹ und ›gemeinwohl­orientiert­en Bodenpolit­ik‹ in Hamburg verpflicht­et haben, können sie jetzt durch ein ernsthafte­s Gesprächsa­ngebot an die Initiatore­n unter Beweis stellen, dass sie wirksam gegen den Anstieg der Mieten und den Ausverkauf der städtische­n Liegenscha­ften vorgehen wollen«, sagt Mietervere­insvorsitz­ender Siegmund Chychla.

Newspapers in German

Newspapers from Germany