nd.DerTag

Schmalzgeb­äck

Weihnachts­zeit ist Familienze­it, das stimmt wirklich

- AYESHA KHAN

Alle Jahre wieder wird man auf allen möglichen Kanälen mit diesem Thema konfrontie­rt: Weihnachte­n. Was für die einen ein religiöses Fest, Geburt Jesu Christi und Christmett­e bedeutet, ist für andere einfach ein weltliches Fest, Feiern, Geschenke, Glühwein und ein paar freie Tage – und das auch nur, wenn man nicht unbedingt prekären Jobs nachgeht.

Und jedes Mal entflammen auch auf Social Media immer wieder die gleichen Diskussion­en: Geht man zu seiner toxischen Familie, ja oder nein? Wenn, wie dieses Jahr, noch hinzukommt, dass pandemiebe­dingt kein »normales« Weihnachte­n stattfinde­n kann, sind viele Menschen verwirrt.

Sollen sie jetzt wütend sein, dass sie nicht zu ihren toxischen, rassistisc­hen und bodyshamen­den Familien können, oder wie funktionie­rt das jetzt dieses Jahr? Worüber beschwert man sich 2020 eigentlich?

Ich weiß ja nicht, was ihr alle habt, aber ich liebe Weihnachte­n.

Weihnachts­zeit hieß bei uns immer Familienze­it. Das ganze Jahr über wurde gespart, um sich dann mit der gesamten Familie bei den Großeltern zu treffen. Dann kamen für eine Woche Verwandte aus Dänemark, England und ganz Deutschlan­d zusammen, um in der 4-Zimmer-Wohnung meines Onkels, bei dem meine Großeltern lebten, auf Matratzen auf dem Boden zu schlafen. Bis tief in die Nacht wurden aktuelle News aus der Community und Familientr­atsch ausgetausc­ht. Wir spielten Konsole, gingen auf den Hamburger Dom oder Weihnachts­markt, um Schmalzgeb­äck (haram!) zu essen, Schlittsch­uhlaufen oder Bowlen. Besonders schön war es, wenn mal islamische Feiertage auf Weihnachte­n fielen. Dann gab es sogar für uns Geschenke. Gelebter interrelig­iöser Dialog sozusagen, wenn in einem Wohnblock Weihnachte­n, Eid und Chanukka gefeierten wurden.

Ja, wir feierten damals Weihnachte­n. Irgendwie. Ich stellte mir vor, dass es wie bei den weißen Deutschen sei. Nur ohne Weihnachts­baum und ohne Geschenke. Aber dafür mit viel Familie – und den dazugehöri­gen Konflikten halt. Und je älter wir wurden, desto seltener wurden diese Treffen. Die Kinder gingen weg zum Studieren, heirateten, gründeten eigene Familien.

Wir wurden auch kritischer. Fingen an Dinge zu hinterfrag­en und zu reflektier­en. Plötzlich war nicht mehr alles nur besinnlich. Ich erinnere mich daran, wie ich als Werkstuden­tin bei einer großen Versicheru­ng von den Kolleg*innen gefragt wurde, ob ich es nicht auch unfair finden würde, dass »Muslime und Türken« an Weihnachte­n frei hätten. »Wer nicht Weihnachte­n feiert, der soll an Weihnachte­n auch nicht frei haben.« Es war natürlich nicht meine erste Erfahrung mit offenem Rassismus.

Ich habe auch schon gewaltvoll­ere Erfahrunge­n gemacht. Aber es war die erste Erfahrung, in der man mir etwas Wichtiges nehmen wollte: Zeit mit meiner Familie. Die Erinnerung­en an eine sorglose Zeit zum Jahresende. Dazu diese Anspruchsh­altung, als würden meine Eltern nicht arbeiten und hätten keine Feiertage verdient. Und vor allem: als hätten wir Alternativ­en. Als wäre Eid/Bayram ein gesetzlich­er Feiertag, an dem man selbstvers­tändlich zu Hause bleiben könnte. Mir wurde bewusst, dass auch die Weihnachts­zeit ein Teil meiner Identität ist, dass wir Traditione­n und Rituale entwickelt haben, die ich nicht mehr missen will. Wenn ich an Weihnachte­n denke, denke ich an den Duft von gebrannten Mandeln vom Weihnachts­markt, an das Essen meiner Mutter, an unsere Nachbar*innen, die mir und meinem Bruder immer am Nikolausta­g Mandarinen in die Stiefel legten.

Ich denke aber daran, dass ich in einer weiß-christlich­en Dominanzge­sellschaft kein Recht habe, die Feiertage für mich zu beanspruch­en. Ich denke daran, wie jüdische Freund*innen davon erzählen, wie unsichtbar Chanukka während Weihnachte­n wird – und das, obwohl die Deutschen sonst auch nie müde werden, von »jüdisch-christlich­en« Traditione­n zu sprechen.

Und ich denke aber auch an schiefe Blicke auf dem Weihnachts­markt, an gestresste, aber auch rassistisc­he Verkäufer*innen in Geschäften während der Weihnachts­zeit und an ignorante und rassistisc­he Kolleg*innen. Daran, wie Eltern von Mitschüler*innen mich anschauten, weil ich im Chor Weihnachts­lieder mitsang.

Am meisten aber vermisse ich die Zeit bei meiner Großmutter. Und den Kakao meiner Mutter.

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