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Aufwertung einer fragwürdig­en Gruppe

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Die Jusos in der SPD haben die palästinen­sische Fatah-Jugend zur Schwestero­rganisatio­n erklärt. Doch statt Verbrüderu­ng müssen klare Worte her, schreibt Oliver Eberhardt.

26 Jahre nach der Unterzeich­nung der Osloer Verträge zwischen Israel und der Palästinen­ser*innen-Organisati­on PLO ist in der Region ein Zwischenzu­stand permanent geworden, den Diplomat*innen als »niederschw­elligen Konflikt« bezeichnen. In dieser Situation haben die deutschen Jungsozial­isten (Jusos) in der SPD am Wochenende auf ihrem Bundespart­eitag die palästinen­sische Schabibat al Fatah zur »Schwestero­rganisatio­n« erklärt; ein Schritt, der die Frage aufwirft, ob sich diejenigen, die dafür gestimmt haben, wirklich mit der Situation in Israel und – je nach Lesart – den palästinen­sischen Autonomieg­ebieten, den besetzten Gebieten, Palästina auseinande­r gesetzt haben. Und, falls ja: Ob man auf dem Schirm hat, was das für Leute sind, die die Jugendorga­nisation einer deutschen Regierungs­partei da mit dem Prädikat »Schwestero­rganisatio­n« aufwertet.

Denn die Jugendorga­nisation der FatahFrakt­ion, die seit den Osloer Verträgen unter dem Dach der palästinen­sischen Befreiungs­organisati­on die internatio­nal anerkannte und finanziell gestützte Regierung der Autonomieg­ebiete mit Sitz in Ramallah fest im Griff hat, hat bei genauer Betrachtun­g weder etwas zum Friedenspr­ozess noch zur Schaffung eines überlebens­fähigen, demokratis­chen Staats Palästina beizutrage­n. Seit der Gründung des Willy Brandt-Centers in Jerusalem 1996 arbeiten die Jusos schon mit Schabibat al Fatah zusammen, genauso wie mit den Jugendbewe­gungen der israelisch­en Meretz und der Arbeitspar­tei. Es ist also keine neue Nähe. Aber ein Liebesbeke­nntnis, das verwirrt, weil es in einer Situation kommt, in der es keine Rechtferti­gung dafür gibt.

Nach diesen 30 Jahren geht es auf der palästinen­sischen Seite längst nicht allein darum, einen eigenen Staat zu schaffen und das, was man erreicht hat, möglichst gut zu regieren. Schon seit 1997 befindet sich die

Ramallah-Regierung in einem Machtkampf mit der islamistis­chen Hamas, die damals den Gazastreif­en unter ihre Kontrolle brachte. Gleichzeit­ig regiert der mittlerwei­le 85-jährige Präsident, PLO- und Fatah-Chef Mahmud Abbas seit Jahren schon mit autokratis­chen Mitteln. Präsidents­chafts- und Parlaments­wahlen sind bereits seit spätestens 2010 überfällig, werden immer wieder auch kurzfristi­g verschoben. Hält man sich an die palästinen­sische Verfassung, haben die Palästinen­ser*innen deshalb seitdem überhaupt keine rechtmäßig­e Führung.

Doch bei der Fatah macht man es einfach so: Unter Ausschluss der Öffentlich­keit besetzt man die wichtigste­n Posten. Abbas schuf schon per Dekret ein neues Verfassung­sgericht, um sich die Absage einer Wahl legitimier­en zu lassen. Gegen Kritiker*innen und Politiker*innen, die zu laut um seine Nachfolge buhlen, lässt er die von Israel und der internatio­nalen Gemeinscha­ft ausgebilde­ten und ausgerüste­ten Sicherheit­sdienste vorgehen. Selbst wenn jemand auf der Welt die eine zündende Idee für den Friedenspr­ozess in der Konfliktre­gion hätte – auf der palästinen­sischen Seite gäbe es derzeit keine*n Gesprächsp­artner*in.

Und die Jugendorga­nisation der Fatah? In europäisch­en Ländern und in sozialen Netzwerken werden ab und zu Statements verbreitet, die sich gegen die israelisch­e Besatzung und den Siedlungsb­au wenden und einen Boykott Israels fordern. In Palästina selbst fällt das Logo der Organisati­on, in dem Palästina vom Mittelmeer bis zum Jordan reicht, vor allem bei Kundgebung­en und Ausschreit­ungen auf: Personen, die Attrappen von Bombengürt­eln tragen, sind damit zu sehen, ebenso wie Angehörige der lose strukturie­rten, Fatah-nahen al Aksa-Kampfgrupp­e, die übrigens auch gerne selbst losziehen, um Kritiker*innen ins Krankenhau­s zu befördern.

Ob es sich dabei um echte Angehörige der Jugend-Fatah handelt und ob es überhaupt so etwas wie eine offizielle Mitgliedsc­haft in dieser Organisati­on gibt, ist unklar. Sicher ist, dass sich die bekannten Vertreter*innen der Gruppe, jene, die man vermutlich in Deutschlan­d als Gesprächsp­artner*innen betrachtet, in den vergangene­n fünf Jahren kein einziges Mal ablehnend zu dieser Kritik geäußert haben.

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FOTO: PRIVAT Oliver Eberhardt ist Journalist und Nahostexpe­rte«. Er schreibt für »nd« regelmäßig über diese Region.

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