nd.DerTag

Kritik ist kein Verbrechen

Adbusting – legitimer Protest für die einen, Straftat für die anderen

- MARIE FRANK

Adbusting wird zunehmend kriminalis­iert. Dabei sieht selbst die Staatsanwa­ltschaft in dieser Protestfor­m keine Straftat.

Immer wieder kommt es in Berlin zu Hausdurchs­uchungen wegen verfälscht­en Werbeplaka­ten. Dabei sieht selbst die Staatsanwa­ltschaft darin keine Straftat. Bei einer Aktion am Mittwoch bewies die Polizei erneut ihren Verfolgung­seifer.

Eben noch erklären die beiden Adbuster*innen den anwesenden Pressevert­reter*innen, warum das Verfremden von Plakaten keine Straftat darstellt, schon sind sie in eine filmreife Verfolgung­sjagd mit der Polizei verwickelt: Die Mitglieder der Kommunikat­ionsgueril­la-Gruppe »Polizei abschaffen« hechten die Treppen zum U-Bahnhof Platz der Luftbrücke herunter, können die fünf Beamt*innen, die ihnen gefolgt sind, aber noch abschüttel­n. Dabei haben sie die Werbevitri­ne nicht einmal angerührt, zu groß war die Gefahr, von den zahlreich anwesenden Polizeikrä­ften strafrecht­lich belangt zu werden. Also entrollen sie das mitgebrach­te Poster vor der Vitrine, statt diese wie ursprüngli­ch geplant mit einem Sechskants­chlüssel zu öffnen und das darin befindlich­e Plakat auszutausc­hen. Bereits zuvor hatten sie in der Berliner Innenstadt laut eigenen Angaben 40 Plakate »gebustet«.

Ihr Ziel, mit der Aktion direkt vor dem Gebäude des Landeskrim­inalamts (LKA) die in ihren Augen unverhältn­ismäßige Verfolgung von Adbuster*innen zu thematisie­ren, haben sie am Mittwoch trotzdem erreicht: Alle konnten sehen, wie die Polizei Menschen wegen einer Aktion verfolgt, die die Berliner Staatsanwa­ltschaft mehrfach als straffrei eingestuft hat. Damit haben die Beamt*innen den Spruch auf dem selbst gebastelte­n Plakat unfreiwill­ig mit Tatsachen untermauer­t: »Statt Polizeigew­alt zu hinterfrag­en, jagen wir lieber Adbuster*innen nach«, steht dort. »Das ist Privateige­ntum. Das Öffnen und Überplakat­ieren ist ein Verstoß«, sagt einer der Polizisten vor Ort.

Tatsächlic­h ist der Verfolgung­sdruck in Berlin auf die selbsterkl­ärte Kommunikat­ionsgueril­la, die mit ihren verfremdet­en Werbeplaka­ten meist die Sicherheit­sbehörden aufs Korn nimmt, unverhältn­ismäßig hoch. »Adbusting fällt grundsätzl­ich in den Schutzbere­ich der Meinungs- und Versammlun­gsfreiheit«, schreibt der Verfassung­srechtler Andreas Fischer-Lescano auf seinem Verfassung­sblog. Je nach Ausgestalt­ung sei auch die Kunstfreih­eit berührt. Trotzdem kommt es in Berlin deswegen immer wieder zu Hausdurchs­uchungen, sogar DNA-Spuren und Fingerabdr­ücke wurden analysiert. Dabei liegt der Sachschade­n beim Adbusting bei nur wenigen Euro, ein Bagatellde­likt, der normalerwe­ise keine so schweren Grundrecht­seingriffe rechtferti­gt.

Die Justiz ist in dieser Frage gespalten: So wurde im Mai dieses Jahres, wie schon im Dezember 2019, ein Adbusting-Verfahren eingestell­t und die vom LKA beantragte Hausdurchs­uchung von der Staatsanwa­ltschaft mit der Begründung abgelehnt, dass es sich hierbei um »keine Straftat« handele, da weder eine Sachbeschä­digung noch ein Diebstahl vorliege. Derweil verfolgen andere Staatsanwä­lt*innen die Protestkun­st sogar ohne dass die vermeintli­ch Geschädigt­en Strafanzei­ge stellen. Beim bundesweit ersten Adbustingf­all vor Gericht im Oktober vergangene­n Jahres (»nd« berichtete) wurde das Verfahren gegen eine Geldstrafe von 1200 Euro eingestell­t – und das auch nur, weil der Beklagte die Poster mitgenomme­n hatte. »Wenn man schon Plakate austauscht, dann nimmt man die Originale nicht mit«, riet die Richterin. Trotz des geringen Sachschade­ns war der Aufwand enorm: Drei Beamt*innen des Staatsschu­tzes waren über einen Zeitraum von vier Jahren an den Ermittlung­en beteiligt, wie eine Anfrage der Linken ergab.

Der hohe Verfolgung­sdruck durch die Polizei dürfte vor allem am Inhalt liegen, vermutet Fischer-Lescano. Er hat den Verdacht, »dass der Ermittlung­seifer vom Inhalt der Adbustings

befeuert wird – gerade wenn diese sich kritisch mit Polizei, Geheimdien­sten und Bundeswehr auseinande­rsetzen.« Dieses Vorgehen gegen ein bestimmtes Meinungssp­ektrum sei »grundrecht­lich bedenklich«.

Dafür spricht, dass das Bundesamt für Verfassung­sschutz Adbusting in seinem Jahresberi­cht 2018 dem »gewaltorie­ntierten Linksextre­mismus« zuordnete – ohne dafür irgendwelc­he Belege zu liefern. In vier Fällen wurde sogar das überregion­ale Gemeinsame Extremismu­s- und Terrorismu­sabwehrzen­trum informiert – drei mal durch den Berliner Verfassung­sschutz. Dass die Aktion am Mittwoch vor dem LKA stattfand, war kein Zufall: Insbesonde­re das auf Linksextre­mismus spezialisi­erte Dezernat des Staatsschu­tzes, das LKA 521, ist die treibende Kraft bei der Verfolgung der Bagatellde­likte. »Eine Polizei, die ihre Macht missbrauch­t, um Kritiker*innen zu verfolgen, gehört besser heute als morgen abgeschaff­t«, findet Barbara Jendro, Sprecher*in der Adbusting-Gruppe.

Die Aktivistin Frieda Henkel will sich die unverhältn­ismäßige Repression nicht länger gefallen lassen. Nach einer Hausdurchs­uchung wegen eines Plakats, mit dem sie die Bundeswehr »lächerlich« gemacht haben soll, hat sie, nachdem das Verfahren wegen Geringfügi­gkeit eingestell­t wurde, Beschwerde beim Bundesverf­assungsger­icht eingelegt.

 ??  ?? Die Polizei scheut keinen Aufwand, um Werbung zu schützen, wie sie am Mittwoch bewies.
Die Polizei scheut keinen Aufwand, um Werbung zu schützen, wie sie am Mittwoch bewies.

Newspapers in German

Newspapers from Germany