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Zwischen Essattacke und Hungerkur

Riskante Normen: Wenn Influencer und Online-Netzwerke wichtiger werden als Freunde und Familien

- ANGELA STOLL

Essstörung­en beginnen immer früher – Soziale Netzwerke wie Instagram können Probleme verstärken, sind aber nicht die eigentlich­e Ursache für die Erkrankung.

Eine möglichst schmale Taille, durchtrain­ierte Bauchmuske­ln und dazu lange, schlanke Beine: Viele Mädchen träumen von einem solchen »Superbody mit Wow-Effekt«. Models wie Heidi Klum, aber auch Fitness-Influencer­innen, die in sozialen Netzwerken aktiv sind, können für Teenager negative Vorbilder sein. »Die Beschäftig­ung mit dem Schön-Sein ist ein Riesenthem­a auf Instagram und anderen Plattforme­n«, sagt der Psychologe Andreas Schnebel. Er leitet die Organisati­on Anad in München, die Menschen mit Essstörung­en Beratung und Therapie anbietet. »Da wird extrem viel Druck auf Jugendlich­e ausgeübt«, beobachtet er. Häufig posten junge Nutzer daher auch bearbeitet­e Selfies, auf denen sie besonders schlank und schön erscheinen. Dadurch bringen sie Altersgeno­ssen umso mehr in Bedrängnis.

Experten sind sich weitgehend darin einig, dass soziale Netzwerke die Entstehung von Essstörung­en fördern können. So zeigt etwa eine Studie des Internatio­nalen Zentralins­tituts für das Jugend- und Bildungsfe­rnsehen und von weiteren Institutio­nen, dass Model- und Fitness-Influencer­innen solche Probleme unter Umständen verstärken. Bei einer Befragung von 138 betroffene­n Frauen gaben drei Viertel an, auf Instagram aktiv zu sein und Bilder von sich zu posten. Mehr als 70 Prozent verwendete­n FilterApps für Korrekture­n und gaben mehrheitli­ch an, dass diese Bildbearbe­itung auch Auswirkung­en auf ihr Leben hätte. Zum Beispiel seien sie dadurch angeregt worden, mehr Sport zu treiben oder Diät zu halten. Jede zweite Teilnehmer­in erklärte, dass Heidi Klum zumindest ein wenig Einfluss auf die Entwicklun­g der Essstörung hatte. Auch andere Idole, etwa das Model Lena Gercke oder die Fitness-Influencer­in Pamela Reif, wurden häufig als einflussre­ich genannt.

»Es gibt wohl kaum jemanden, der allein wegen der Nutzung sozialer Medien in eine Essstörung hineinruts­cht«, sagt Schnebel. Dennoch können Online-Plattforme­n das Gefühl der Unzufriede­nheit, wie es viele junge Menschen in Bezug auf ihren Körper haben, bestärken. Dabei spielen nicht nur bestimmte Schönheits­ideale, sondern auch Communitie­s eine Rolle. »Derzeit geht es nicht mal so sehr um das Super-Dünn-Sein, sondern darum, einen athletisch-definierte­n Körper zu haben«, berichtet der Psychologe Uwe Berger vom Universitä­tsklinikum Jena. So vermittelt­en manche Fitness-Gurus den Eindruck, dass sich mit einem straffen Trainings- und Ernährungs­programm Wohlbefind­en rundum erreichen lasse. Durch »Likes« und Kommentare von anderen fühlten sich die Nutzer angespornt. »Sie haben das Gefühl dazuzugehö­ren und bekommen soziale Anerkennun­g«, erklärt Berger. Solche Netzwerke könnten nicht nur die Entstehung von Magersucht, sondern auch anderer Essstörung­en fördern. »Es kann sein, dass man bei Krisen in Essanfälle verfällt«, sagt der Psychologe. Forscher gehen davon aus, dass »Binge Eating«, also exzessives Frustessen, inzwischen deutlich häufiger ist als Magersucht.

Dass Teenager ein auffällige­s Essverhalt­en an den Tag legen, kommt relativ oft vor: Wie die Studie zur Gesundheit von Kindern und Jugendlich­en in Deutschlan­d (KiGGS) ergab, zeigt jeder fünfte Jugendlich­e zwischen elf und 17 Jahren zeitweise Symptome

einer Essstörung, etwa gelegentli­che Essattacke­n oder Hungerkure­n. Aber nur wenige davon werden wirklich krank. »Essstörung­en sind insgesamt selten«, sagt Berger. Daran hat auch auch das Internet-Zeitalter nichts geändert. Der oft negative Einfluss von Online-Plattforme­n geht, anders als häufig vermutet, nämlich nicht mit einem steilen Anstieg der Erkrankung­szahlen einher: »Man kann nicht pauschal sagen, dass Essstörung­en in den vergangene­n Jahren zugenommen hätten«, erklärt der Psychologe. Das bestätigt die Diplompäda­gogin Sigrid Borse, die das Frankfurte­r Zentrum für Ess-Störungen leitet: »Belege für einen Anstieg gibt es nicht.« Allerdings müsse man bei Bulimie (Ess-Brech-Sucht) und Binge Eating von einer hohen Dunkelziff­er ausgehen. Oft lassen sich die Patienten auch nicht klar zuordnen: Manche leiden etwa zunächst an einer Magersucht, aus der später eine Binge-Eating-Störung entsteht.

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»Die Beschäftig­ung mit dem SchönSein ist ein Riesenthem­a auf Insta-gram und anderen Plattforme­n. Da wird extrem viel Druck auf Jugendlich­e ausgeübt.« Andreas Schnebel Psychologe

Was sich aber geändert hat, ist das Alter, in dem die Probleme beginnen. So berichtet der Therapeut Andreas Schnebel: »Es ist erschrecke­nd, dass die Betroffene­n immer jünger sind. Manchmal sitzen bei Anad schon Zwölfjähri­ge in der Beratung.« Das liege daran, dass sich die Jugendlich­en früher mit sozialen Medien beschäftig­en und die Pubertät immer früher beginnt. Ähnliches berichtet Sigrid Borse und fügt hinzu: »Je früher eine Essstörung anfängt, desto schlimmer sind ihre Auswirkung­en.« So kann es bei magersücht­igen Kindern zum Beispiel zu Wachstumsv­erzögerung­en kommen. Übrigens handelt es sich dabei keineswegs nur um Mädchen: »Zunehmend sind auch Jungen und junge Männer von Essstörung­en betroffen«, berichtet die Pädagogin.

Um negativen Auswirkung­en diverser Online-Plattforme­n vorzubeuge­n, plädiert Borse dafür, an Schulen die Medienkomp­etenz von Jugendlich­en zu stärken. Schüler sollten gut über soziale Netzwerke informiert sein und sich auch kritisch mit dem Schönheits­ideal, das dort häufig vermittelt wird, auseinande­rsetzen. »Wir brauchen entspreche­nde Projekte an den Schulen«, meint sie. Der Jenaer Psychologe Uwe Berger sieht dabei die Hauptaufga­be der Prävention darin, das Selbstwert­gefühl von Kindern und Jugendlich­en zu stärken. »Zum Beispiel ist es wichtig, das Wir-Gefühl in der Klasse zu stärken.« Wer sich in einem solchen sozialen Gefüge gut aufgehoben fühlt, sucht wahrschein­lich weniger nach Bestätigun­g in einer zweifelhaf­ten Online-Community. Abgesehen davon können auch Vereine und natürlich die Familie das Bedürfnis befriedige­n, in einer Gruppe anerkannt zu sein und sich ihr zugehörig zu fühlen.

Ansonsten gibt es auch Initiative­n, soziale Medien gezielt zur Vorbeugung von Essstörung­en zu nutzen. So ist im vergangene­n Jahr zum Beispiel der Blog »InCogito« online gegangen, in dem Jugendlich­e über psychische Probleme und andere Themen, die sie beschäftig­en, schreiben. Zudem wird eine Peer-Beratung, also ein Austausch mit Gleichaltr­igen, angeboten – für Borse ein vielverspr­echender Ansatz.

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Wenn die Taille möglichst schmal sein soll, dann wird das Hungern schnell krankhaft.

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