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Wir machen so etwas eigentlich nicht

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Nach jedem Anschlag vollzieht sich ein Ritual. Verlässlic­h. Sicher. Auch nach der Tat in Trier, beobachtet Stephan Anpalagan.

Bernd. Der Mann heißt Bernd. Und das wiederum ist natürlich nicht so gut.

Wann immer ein Anschlag auf Menschen, auf Menschenle­ben, auf die freiheitli­ch demokratis­che Grundordnu­ng in diesem Land verübt wird, entfaltet sich ein zynisches Ritual. Eingeübt. Routiniert. Immer. Ausnahmslo­s.

Kaum wird der Anschlag publik, diesmal in Trier, mehren sich die Stimmen, die Informatio­nen einfordern und Tathinterg­ründe erfragen. Die wissen wollen, was es mit der Tatwaffe und dem Täter auf sich hat. Die einzuordne­n versuchen, ob es politische oder religiöse Motive gegeben haben könnte, die zu dieser Tat geführt haben.

Nun ist diese Form der Neugier keineswegs verwerflic­h. Es liegt in der grausamen Natur der Sache, dass Menschen, die aus schlicht menschenfe­indlichen Motiven heraus Frauen, Männer und Kinder umbringen, die aus Verblendun­g, Ideologie oder purem Menschenha­ss solcherlei Anschläge begehen, nicht im Rahmen dessen agieren, was auf den ersten Blick verständli­ch oder nachvollzi­ehbar wäre. Aus journalist­ischer und wissenscha­ftlicher Sicht gibt es also eine Unmenge an Fragen, die sich im Anschluss an einen solchen Anschlag stellen. Fragen zur Tat, zum Tatmittel, zur Tatausführ­ung, zum Tatmotiv, zum Täter, zur Tätergrupp­e, sie alle werden wichtig werden, nicht zuletzt, wenn es darum geht, die genauen Hintergrün­de

eines solchen Mordanschl­ags aufzudecke­n und diejenigen zur Rechenscha­ft zu ziehen, die diesen Terror über die Opfer gebracht haben.

Aber, und man kann das kaum genug betonen, um all das geht es denjenigen, die wenige Minuten nach der Eilmeldung zum Anschlag nach der Staatsange­hörigkeit der Täter, nach Stammbäume­n und Vornamen fragen, nicht. Gar nicht. Überhaupt nicht.

Es geht vielmehr um vorgeferti­gte Pressetext­e, um Facebook-Kacheln, Politikers­tatements und menschenfe­indliche Kampagnen, die in Dauerschle­ife um die selben

Themenfeld­er kreisen: islamistis­cher Extremismu­s, kriminelle Ausländer, gewalttäti­ge Flüchtling­e. Allesamt angereiche­rt mit den immer gleichen Schreckens­visionen von vollen Booten, Menschenfl­uten, schwarzen Männern, die hierher kommen, um unsere weißen Frauen zu schänden. Es geht um nichts anderes als um Rassismus und Fremdenfei­ndlichkeit, es geht um »uns« und »die Anderen«, es geht um ein Menschenbi­ld, das eine unselige Tradition hat in diesem Land.

All dies ist in der Frage nach der Staatsange­hörigkeit, der Religionsz­ugehörigke­it, der familiären Situation und dem Vornamen des Täters verborgen. Kein gesellscha­ftliches oder wissenscha­ftliches Interesse, kein Relevanzkr­iterium und kein Nachrichte­nwert stecken dahinter, vielmehr ist es die Hoffnung nach einem politische­n Punktgewin­n, der sich darin erschöpft, dass die herbeigese­hnte Spaltung der Gesellscha­ft, die Mauer in den Köpfen und die Vorbehalte gegen »die Anderen« endlich Realität werden. Und mit ihr auch die Mutmaßunge­n am familiären Frühstücks­tisch oder all die strafrecht­lich relevanten Witze in der dienstlich­en Whatsapp-Gruppe.

Und dann das: Bernd. Der Mann heißt Bernd. Und das wiederum ist natürlich nicht so gut. All die aufgebaute Spannung, all die vorformuli­erten Pressetext­e werden mit diesem langweilig­sten aller deutschen Namen obsolet. Nein, sie verkehren sich gar ins Gegenteil: Es war nicht nur niemand von »den Anderen«, es war in diesem Fall gar jemand »von uns«! Der größte anzunehmen­de Unfall, das Worst-Case-Szenario, die Offenbarun­g, dass die Menschenfe­inde unter unseresgle­ichen weilen.

Das ist natürlich überhaupt nicht gut. Nun gilt es zu debattiere­n, welche Tathinterg­ründe infrage kämen. Natürlich hat nichts mit der Sozialisie­rung des Täters, mit seinen familiären Hintergrün­den oder seiner Religion zu tun – wie es der Fall wäre, wenn Muslime oder Flüchtling­e die Tat begangen hätten. Nein, Falle eines »Bernds« müssen wir, wie bei Amokläufen der Vergangenh­eit bereits hinreichen­d erprobt, über Killerspie­le, Paintball und Heavy Metal-Musik diskutiere­n, über Drogen und psychische Erkrankung­en. Über schlechte Einflüsse von Außen. Über alles, nur eben nicht über uns selbst.

Denn »wir« machen so was ja eigentlich nicht. Eigentlich.

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FOTO: JAN LADWIG Stephan Anpalagan ist Musiker und Journalist, Schwerpunk­t Rechtsextr­emismus.

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