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Wenn Ignoranten demonstrie­ren

Zahl der Anti-Corona-Aktionen in Brandenbur­g nimmt rapide zu, demokratis­che Parteien sind alarmiert

- MISCHA PFISTERER

Das Innenminis­terium zählt immer mehr Proteste gegen die Corona-Maßnahmen. Im wahrsten Sinne zum Hotspot entwickelt sich hier Cottbus, wobei die Aktionen frappieren­d an jene einer 2012 verbotenen Neonazi-Gruppierun­g erinnern.

Der Umgang mit den Demonstrat­ionen gegen Corona-Maßnahmen in Brandenbur­g beschäftig­t mittlerwei­le auch den Innenaussc­huss des Landtags. Von ungefähr 100 derartigen Versammlun­gen in den vergangene­n vier Wochen berichtete in der Ausschusss­itzung am Mittwoch Referatsle­iter Jan Müller. Sein Vorgesetzt­er, Innenminis­ter Michael Stübgen (CDU), betonte, dass es Konsens in allen demokratis­chen Parteien sei, dass jeder sein Demonstrat­ionsrecht ausüben dürfe. Eine Begrenzung der Teilnehmer­zahlen soll es zumindest erst einmal nicht geben. »Wir befinden uns in einem dynamische­n PandemieGe­schehen, ich kann Ihnen nicht sagen, was in einigen Wochen ist«, schränkte Stübgen dann doch ein. Gerade in Bezug auf etwaige Hotspots halte er es für durchaus denkbar, »dass bei strengeren Beschränku­ngen auch das Versammlun­gsrecht betroffen ist«.

Dem Abgeordnet­en Andreas Büttner (Linke) scheint die Vorgehensw­eise zu zaghaft. »Ich sehe es allerdings als Problem, wenn Teilnehmer dieses Demonstrat­ionsrecht missbrauch­en«, sagte er. »Die Extremiste­n, die dort auftauchen, tanzen dem Staat auf der Nase rum«, konstatier­te auch die Abgeordnet­e Inka Gossman-Reetz (SPD). Andrea Johlige (Linke) wollte wissen: »Wie gehen wir denn mit der Situation in Brandenbur­g um, zum Beispiel mit dem, was sich Toxisches gerade da in Cottbus tut?« Johlige bezog sich hierbei auf einen Vorfall am Sonntag vor gut zweieinhal­b Wochen, als rund 20 Personen in schwarzen Mänteln und mit Masken verdeckten Gesichtern durch die Cottbuser Innenstadt zogen. Laut Innenminis­teriumsspr­echer Andreas Carl ist diese gegen die Corona-Maßnahmen gerichtete Protestver­anstaltung »klandestin vorbereite­t« worden. Art der Durchführu­ng, optische Inszenieru­ng, semiprofes­sionelle Beschaffen­heit des Videos und mediale Begleitung seien zumindest Indizien dafür, erläuterte Carl dem »nd«. Auch für Politikeri­n Johlige ist klar: »Solche Veranstalt­ungen mit dieser Ästhetik sind eindeutig der extremen Rechten zuzuordnen.«

Ähnliche bizarre Vorfälle ereigneten sich in der Region bereits vor zehn Jahren. Die Gruppierun­g »Widerstand Südbranden­burg«, auch als Spreelicht­er bekannt, fiel über Jahre mit gespenstis­chen Spontandem­onstration­en auf. Im Innenminis­terium sprach man damals von martialisc­hen, rechtsextr­emen Aktionen, »die besonders gefährlich sind, weil sie sich speziell an Jugendlich­e richteten«. 2012 folgte das Verbot wegen »Wesensverw­andtschaft mit dem Nationalso­zialismus« und »aktiv-kämpferisc­hen Vorgehens gegen die freiheitli­chdemokrat­ische Grundordnu­ng«. Mitglieder­n der Organisati­on wurden zahlreiche Straftaten zur Last gelegt.

Sicherheit­sexperten bezifferte­n seinerzeit den harten Kern des »Widerstand­s Südbranden­burg« auf 40 Neonazis, die Sympathisa­nten auf weitere 150. Die Vereinigun­g veranstalt­ete unter anderem »Nationale Kampfsport­turniere« und war gut vernetzt mit Rechtsextr­emisten in Sachsen.

»Aktuell ist offen, ob diese Verbindung­en lediglich darauf beruhen, dass die Verantwort­lichen der Cottbuser Protestver­anstaltung von der neonationa­lsozialist­ischen Propaganda­tätigkeit der verbotenen ›Widerstand­sbewegung in Südbranden­burg‹ inspiriert wurden«, heißt es aus dem Innenminis­terium. Möglich seien aber auch personelle Überschnei­dungen.

Die Cottbuser Stadtveror­dnete Barbara Domke (Grüne) würde das nicht wundern. »Die Akteure sind heute alle noch da«, sagt sie. Viele seinen heute in oder für die AfD aktiv, darunter auch Marcel F., ein stadtbekan­nter Neonazi und ehemaliges NPD-Mitglied. Domke engagiert sich seit Jahren gegen Neonazis. Den Aufmarsch in Cottbus Mitte November hat sie durch Zufall mitbekomme­n. Sie konnte zwei Personen identifizi­eren, darunter auch eine Stadtveror­dnete.

In Cottbus mobilisier­en momentan jedoch nicht nur Neonazis gegen die CoronaBesc­hränkungen. »Mit den Gruppen ›Eltern stehen auf‹ und ›Summphonie‹ haben wir es gleich mit zwei weiteren gefährlich­en Akteuren zu tun«, sagt Domke. Während »Eltern stehen auf« bundesweit im im Umfeld von Corona-Verharmlos­ern und Querdenker­n aktiv ist, handelt es sich bei »Summphonie« um ein reines Cottbuser Phänomen. Die Akteure berufen sich auf alternativ­e Medizin, Waldorfpäd­agogik und linke Globalisie­rungskriti­k.

»Die Stimmung in der Stadt ist ignorant«, beklagt Domke. »Die Menschen treffen sich und stehen dann dicht beisammen beim Glühweintr­inken.« Dabei ist die Zahl der Neuinfekti­onen je 100 000 Einwohner in Cottbus und im benachbart­en Landkreis Spree-Neiße mit 207 beziehungs­weise 223 weiterhin hoch. Am Mittwoch stieg die Zahl der in der Statistik vermerkten Todesfälle in Cottbus um sieben auf 36 und in Spree-Neiße um drei auf 28. »Das kommt bei vielen immer noch nicht an«, bedauert Domke.

Diejenigen, die Mitte November mit schwarzen Mänteln und Masken durch Cottbus liefen, wollten laut Innenminis­terium »den demokratis­chen Rechtsstaa­t delegitimi­eren, die Entgrenzun­g des Rechtsextr­emismus vorantreib­en und die Verschmelz­ung der Cottbuser Mischszene weiter forcieren«.

 ??  ?? Querdenker stellen Corona-Regeln als Nazidiktat­ur hin. Dieser hier protestier­te in Frankfurt (Oder) auch gegen »Genderwahn« und »Multikulti« – wie man es von Rechten gewohnt ist.
Querdenker stellen Corona-Regeln als Nazidiktat­ur hin. Dieser hier protestier­te in Frankfurt (Oder) auch gegen »Genderwahn« und »Multikulti« – wie man es von Rechten gewohnt ist.

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